3. Kapitel

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Als ich morgens ins Badezimmer getrottet kam, war Zoes Türe noch geschlossen. Zumindest blieb mir jetzt die Weiterführung unseres Gesprächs erspart, dass sich hauptsächlich um die neuesten Skandale in ihrer Kollegenschaft drehte. Anscheinend hatte ihr Chef etwas mit der Sekretärssekretärin angefangen – doch dann hat die Frau von ihrem Boss davon Wind bekommen und zur Rache etwas mit einem seiner Klienten angefangen.

Gott sei Dank hatte ich kurz nach unserem Gespräch zur Uni gemusst und war so weiteren Theorien entkommen. Abends war Zoe sowieso zu müde gewesen, um mich weiter zu quälen, weshalb ich mir einen mehr oder weniger gemütlichen Abend hatte machen können.

Ich drückte gegen den Lichtschalter und das grelle Licht der Neonleuchte über unserem Spiegel ließ mich die Augen schließen. Mit geschlossenen Augen begann ich Zähne zu putzen und mir das Gesicht zu waschen. Als sich meine Augen schließlich an das viel zu helle Licht gewöhnt hatten, griff ich gähnend nach dem Kamm und begann zwei Zöpfe zu flechten. Nicht lange und ich hörte, wie Zoes Zimmertür aufging und eine verschlafene Gestalt sich dem Badezimmer näherte.

Ich begann zu lächeln als Zoe sich auf den Hocker in der Ecke plumpsen ließ und lauthals gähnte. „Klappe", maulte sie.

„Keine Sorge, Zozo, Kaffee ist schon unterwegs", zwitscherte ich ihr entgegen und verließ eiligst da Badezimmer, als ein Gegenstand, der sich verdächtig nach einer Shampoo-Flasche anfühlte, durch die Gegend sauste und mich an der rechten Schulter traf.

Kichernd betrat ich das Wohnzimmer und befüllte die Teekanne mit Wasser. Während ich die French-Press aus dem Küchenschrank holte und begann einige Löffel Kaffeepulver hineinzuschütten, griff ich nach dem Handy in meiner Hosentasche. 1 verpasster Anruf und 3 neue Nachrichten.

Ich muss gar nicht nachsehen von wem der Anruf kam - es gab seit dem Tod meiner Maman, nur zwei Personen, die mich gestern extra angerufen hätten. Gestern – zu meinem Geburtstag. Madame Dubois, und mein Vater. Und Madame Dubois kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ihre Glückwünsche mir gestern mehr Kummer als Freude bereitet hätten. Denn gestern war nicht nur mein Geburtstag gewesen, sondern auch der Todestag meiner Mutter.

Allein schon der Gedanke an gestern ließ eine tiefe Leere in mir aufkommen. Keine Trauer, nur mehr eine tiefe, tiefe Leere. Meine Maman war in den letzten beiden Jahren vor ihrem Tod nurmehr eine Hülle ihrer Selbst gewesen. Und als selbst diese gestorben war, war etwas in mir zerbrochen. Es war fast, als wäre ich nicht mehr zum Weinen fähig gewesen, als wären meine Tränen und die Fähigkeit zu Trauern einfach aufgebraucht gewesen.

Schnell legte ich mein Handy wieder beiseite und begann, als das allzu bekannte Pfeifen der Teekanne ertönte, das heiße Wasser in die French-Press zu leeren. Gerade rechtzeitig als Zoe durch die Türe kam, war auch der Kaffee, oder zumindest, dass, was sie als Kaffee bezeichnete, fertig und ich hatte mich wieder gefasst.

„Gut geschlafen?"

Zoe schnaubte. „Hab von einem Riesennagel in meinem Zeh geträumt."

„Und das hat viel, oder wenig damit zu tun, dass du gestern einen Fall verhandelt hast, in dem die Gattin ihren Mann im Haus mit einer Nagelpistole angenagelt hat?"

Ich hatte Zoe schon immer dafür beneidet, wie spannend ihr Job als Anwältin manchmal wurde. Aber manchmal war ich auch einfach nur froh Kunst zu studieren und irgendwann eine eigene Galerie zu eröffnen.

„Das war einfach nur grausam", erklärte sie mir prompt und schüttete die Tasse Kaffee in sich hinein, als wäre es das einzige, dass sie am Leben halten konnte.

„Hm."

Zoe sagte eine ganze Weile nichts mehr, erst als ich mir den Rucksack auf den Rücken schwang und dabei war, die Haustüre zu öffnen, hielt sie mich auf. „Hey...ähm. Alles Gute zum Geburtstag."

Ich blieb stehen. „Danke", erwiderte ich, meine Stimme rauer als erwartet. Doch bevor sich Zoe weiter in dem Thema verbeißen konnte, schloss ich die Tür hinter mir und begann meinen Weg zur Uni.

* * *

„...und das Thema ist prüfungsrelevant, als bitte prägen Sie sich den Stoff gut ein!", skandierte der Professor im Hörsaal und augenblicklich wachte ich aus meinem Koma auf.

Prüfungsrelevant - wie sehr ich dieses Wort verabscheute. Noch mehr verabscheute ich aber den Ausblick noch mehr lernen zu müssen. Keine Frage, niemand in diesem Fach lernte freiwillig irgendwas, aber in letzter Zeit fand ich es immer schwerer Begeisterung zu verspüren.

Zu Beginn meines Studiums hatten mich die Themen auch interessiert. Aber seitdem mein alter Professor in der Versenkung, namhaft Pension, verschwunden war und ein neuer, hoch motivierter Leistungssportler an seine Stelle getreten war, konnte ich kaum noch Begeisterung aufbringen.

So nahm der Tag seinen Lauf, ich versuchte mit Mühe und Not meine Augen offenzuhalten, während ich den Lesungen der verschiedenen Professoren folgte und mir mal mehr, mal weniger Notizen machte.

Als ich schließlich, den grauenhaften Tag überstanden, den weitreichenden Campus der Universität überquerte, war die Sonne noch hoch am Himmel. Kein Grund also sich zu beeilen. Ich hatte Madame Dubois zwar gesagt ich würde heute noch zu ihr in den Laden kommen, aber ich hatte ihr nicht gesagt wann. Wenn ich mir also noch schnell ein Sandwich Jambon besorgen würde, war die Wahrscheinlichkeit, dass sie mir den Kopf abreißen würde, gering genug, um das Unterfangen zu wagen.

Wenige Minuten später ging ich, mit dem Sandwich in der Hand, dann doch etwas schneller als beabsichtigt zu meiner Beschäftigung für den Abend – Buch einsortieren, bei den Abrechnungen helfen und Bestellungen erledigen.

Eine halbe Stunde später fand ich vor der antik wirkenden Buchhandlung, mit dem blauen Schriftzug über dem Eingang wieder. Der Hunger gestillt und bereit mich in die Arbeit zu stürzen. Worauf ich jedoch nicht vorbereitet war, war das allzu bekannte Gesicht eines jungen Mannes in hellbraunen Mantel,

Mit klopfendem Herzen öffnete ich die gläserne Schwingtür, als sich Thomas auch schon umdrehte. Ein roter Schimmer begann von meinem Hals über meine Wangen zu kriechen und ich versuchte sofort das Ganze mit einem höflichen Nicken und einem starren Blick zum Boden zu kaschieren.

Dabei war das hier eigentlich mein Territorium, kein Grund sich von einem fremden Typen einschüchtern zu lassen. Fast schon rebellisch hob ich mein Kinn und stolzierte neben ihm vorbei in Richtung des kleinen Büros.

Thomas, der mich mit hochgezogenem Mundwinkel beobachtete, hielt mich nicht auf. Vielleicht hatte er die Botschaft ja doch verstanden und würde mich nicht stören. Nach meinem letzten Freund war der Traum eines liebevollen, respektvollen männlichen Gegenstücks derart zersprungen, dass ich kein Verlangen danach spürte, in nächster Zeit einen neuen Versuch zu starten.

Wie ein Geist bewegte ich mich durch Madame Dubois Laden und begann neuen Lieferungen auszupacken, einzuräumen oder Bestellungen für Kunden zusammenzusuchen. Thomas verhielt sich ruhig und schien nicht zu wirken als wäre er an einem Gespräch mit ihr interessiert.

Hinterher fühlte sich der Gedanke, er wäre ausgerechnet meinetwegen in Buchladen gekommen, mehr als dumm an. Und obwohl ich dieses Gefühl gerne verdrängt hätte, fühlte ich Enttäuschung darüber, dass er nicht einmal ein Wort mit mir wechselte. Trotzdem kam ich nicht darum ihn heimlich beim Stöbern und Lesen zu beobachten.

Es war nicht mehr als eine Stunde vergangen, als Thomas seiner Bücher wieder zurück in die Regale legte und still und klammheimlich wieder aus dem Geschäft zu verschwinden. Ohne sich zu verabschieden. Bald war das Gefühl der Enttäuschung nicht mehr zu verleugnen und ich sah mich bitter um. Nur noch eine weitere halbe Stunde, dann wäre ich auch hier fertig, konnte mich ins Bett legen und meine kläglichen sozialen Fähigkeiten zu beweinen. Er hätte mir zumindest winken können!

Mit verbissener Miene griff ich nach einem Stück Papier, das zusammengeknüllt auf der Sitzbank lag, die Thomas besetz hatte. Ich runzelte die Stirn, während ich den Zettel entknüllte und die hastig geschriebenen Zahlen in einer unbekannten Schrift las. Darunter ein: Wir haben unser Gespräch noch nicht zu Ende geführt... Ich drehte, und wendete das Blatt mehrmals, doch außer der Zahlenreihe, die verdächtig nach einer Telefonnummer aussah und der kurzen Nachricht, fand ich nichts.

Ich war mir sicher, dass diese Nachricht von Thomas sein musste. Aber warum so geheimnisvoll? Er hätte mich doch einfach fragen können? Genauso wie er mich hätte begrüßen, oder sich verabschieden können, flüsterte meine innere Stimme. Klappe!, knurrte ich zurück.

The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt