12. Kapitel

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Nach einem mehr oder weniger erheiterndem Vormittag, den ich und Zoe ausnahmsweise allein und nicht in Anwesenheit von einem ihrer Kollegen verbracht hatten, hatte mich meine Freundin die Geschehnisse von gestern vergessen lassen. Mehr oder weniger.

Nachdem ich ihren Vorschlag in einen Freizeitpark zu gehen abgelehnt und mich mit der Entschuldigung Lernen zu müssen ins Zimmer verzogen hatte, saß ich nun stumm vor meinem Schreibtisch und starrte gespannt auf das virtuelle weiße Papier meines Laptops, auf dem sich bis heute Abend ein Essay zum Thema „Verkannte Künstler in der Biedermeierzeit".

Die Entscheidung damals freiwillig für ein Kunstgeschichtsstudium einzuschreiben, schien mir heute unerklärlich. Aber wer hatte auch ahnen können, dass ich würde seitenlange Arbeiten zu vollkommen witzlosen Themen würde schreiben müssen.

Für einen Moment rang ich mit mir, ob ich nicht doch ein paar Stunden warten wolle und mich dann in Last-Minute Panic zu einer Glanzleistung treiben lassen würde, oder aber in die Tasten zu hauen und diesen Essay zu schreiben. Schließlich entschied ich mich für letzteres und bald war ich metertief in trockene Lektüre vertieft, sodass ich kaum bemerkte, dass es bei uns an der Tür klingelte.

Da ich aber absolut KEINE Lust hatte aus meinem Schreibmodus aufzutauchen, reagierte ich auch nicht auf Zoes genervte Rufe, die mich dazu aufforderten, endlich meinen Hintern in Bewegung zu setzten.

Ich war gerade beim nächsten Absatz angelangt, als meine Tür mich einem Karacho aufflog, dass man hätte meinen können eine Bombe wäre explodiert und meine Mitbewohnerin ihr Gesicht hereinsteckte.

Inzwischen war ich vor Schreck aufgesprungen, hatte den Sessel umgeworfen und sah Zoe mit entnervter Miene an. „Was?!", knurrte ich.

„Da ist jemand für dich."

„Wenn du jetzt das ganz Theater veranstaltet hast, weil du dem Postboten nicht Hallo sagen willst, dann werde ich aus dir heute mein Mittagessen machen, verstanden?!"

„Keine schöne Vorstellung, aber darum geht es nicht."

„Na jetzt bin ich aber gespannt."

Zoe stemmt gespielt verärgert die Hände in die Hüften und gab einen frustrierten Laut von sich. „Drei Mal darfst du raten, Schätzchen! Tipp: Der Weihnachtsmann ist es nicht!" Damit verschwand sie aus der Tür und tänzelte pfeifend zurück in Richtung Wohnzimmer.

Mit offenem Mund starre ich ihr hinterher, besann mich dann aber eines Besseren und rannte ihr nicht hinterher, um ihr den Hals umzudrehen. „Wenn das jetzt nicht was Dringendes ist!"

Ich stampfte angespannt aus meinem Zimmer und als ich sah, wer da in unserem Vorzimmer lehnt, sackte mein Kiefer ein paar Stockwerke ab.

Tiefgrüne Augen, die wie das Abbild eines tiefen Waldes wirkten, blickten mir tief in die Augen. „Thomas." Meine Stimme spiegelte nur einen Bruchteil meiner eigenen Wut, Enttäuschung und meines verletzten Stolzes wider. Und doch zuckte mein Gegenüber leicht zusammen, als ich seinen Namen mit relativ ruhiger Stimme aussprach.

„Nadiya."

Eine quälende Stille füllte den Raum, während wir uns beide musterten. Thomas wirkte blass, noch blasser als bei unserer ersten Begegnung, und sein Haar stand wie wild von seinem Kopf ab. Seine Augen wirkten müde, seine Bewegungen träge und er machte einen sehr kränklichen Gesamteindruck.

Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen. Vielleicht hatte er sich tatsächlich nicht gut gefühlt und war deswegen nicht gekommen. Doch sofort meldete sich auch meine innere Stimme zurück. So etwas wie Halbtagskrankheiten gibt es nicht. Und warum hätte er nicht zumindest eine SMS schreiben können? Nur dieses Mal konnte sie ihrer inneren Stimme nicht einmal widersprechen.

„Warum bist du hier?", fragte ich mit fester Stimme, die brodelnde Wut nur schwer zurückhaltend.

„Ich...du verdienst eine Erklärung. Und es hätte sich falsch angefühlt, dich einfach nur anzurufen."

Ich schnaubte. „Und?"

„Ich habe mich gestern nicht gut gefühlt – mir ging es schlecht."

„So schlecht, dass du nicht einmal eine verdammte SMS hättest schreiben können"; fuhr ich ihn an.

Thomas starrte mich einen Moment an. „Ja", fuhr er dann fort. „Ich habe die meiste Zeit vor mich hin gefiebert und war kaum bei mir. Selbst heute Morgen habe ich es kaum aus dem Bett geschafft, aber es war mir wichtig dir persönlich zu sagen, dass mir das mit gestern Leid tut. Wirklich."

Und wieder einmal wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich konnte weder beweisen, dass er log, noch dass seine Geschichte stimmt. Auch, wenn sein kränkliches Aussehen sehr dafür sprach.

„Nadiya?", fragte er mit zitternder Stimme.

„Thomas", ich nahm einen tiefen Atemzug, bevor ich weiterredete, „du musst wissen, ich tue mir recht schwer, jemandem auf diese Art und Weise näherzukommen. Und das gestern...ich war furchtbar enttäuscht und um ehrlich zu sein, will ich das nie wieder erleben."

„Heißt das-"

„Aber manchmal muss man etwas Mut beweisen", redete ich weiter. „Und manchmal muss man verstehen, dass einige Dinge außerhalb unserer Reichweite liegen."

„Hätte ich das gestern vorausahnen oder verhindern können, dann hätte ich es anders gemacht. Das schwöre ich", erklärte Thomas und seine grünen Augen starrten mich undurchdringlich an. „Wärst du bereit noch einen Versuch zu starten? Vielleicht könnten wir einfach nur Frühstücken gehen? Oder Kaffee trinken?"

Ich nickte langsam und ich konnte förmlich spüren, wie Thomas Schuldgefühle den Raum überschwemmten. „Das hört sich nach einer guten Idee an. Wie wäre es mit Montag in der früh - geht das bei dir?"

„Klar, so gegen 9:00? Ich hol dich vom Campus ab?"

„Okay."

Thomas nickte beruhigt, doch ich konnte noch immer spüren wie es in seinem Kopf arbeitete. „Ich kann zwar nicht behaupten, dass es toll ist sitzengelassen zu werden, aber wenn du die Wahrheit sagst, dann verzeihe ich dir."

„Ich bin erleichtert, das zu hören."

„Komm mich einfach am Montag abholen. Bis dahin sind wir hoffentlich beide besser gestimmt."

Thomas nickte stumm und trottete zurück zur Eingangstür. Für einen Moment schien es, als wollte er noch etwas sagen, doch keine fünf Sekunden später fiel die Tür ins Schloss und ich stand allein im Gang.

The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt