Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sich mich endlich auf bewegen konnte, um die nächstgelegene Apotheke aufzusuchen, um Aspirin zu kaufen. Zwischendurch wurde ich immer wieder schief angesehen – hatte wohl etwas damit zu tun, dass ich mit Sonnenbrille herumspazierte, obwohl eine Wolkendecke jegliche Sonnenstrahlen ....
Selbst unsere liebgewonnene Nachbarin mit den Eheproblemen konnte sich ihren Kommentar zu Teenagern und zu viel Alkohol nicht verkneifen. Zwar war ich weder ein Teenager noch alkoholsüchtig, aber auch ich hatte eine Toleranzgrenze für Ignorante und Bildungsresistente, und die hatte man heute gewaltig überschritten.
Ich schob mir mit dem Mittelfinger die heruntergerutschte Sonnenbrille wieder auf die Nase und formte mit den Lippen die Worte: Fuck you!
Als sich unsere Nachbarin beleidigt und angeekelt wieder in ihrer Wohnung verschwand, atmete ich tief aus. Denn die richtige Herausforderung stand noch vor mir. Thomas.
Auch wenn ich mich nicht mehr genau an alles erinnern konnte, wusste ich, dass Zoe und ich ein langes, für unserer Verhältnisse tiefgründiges Gespräch geführt hatte. Jede Menge Tränen waren geflossen, deren einzige Zeugen Unmengen an Taschentüchern waren. Und ich hatte mich endlich befreit gefühlt.
Aber Thomas...Thomas war ein ganz anderes Kapitel. Er würde kaum mit einem Gläschchen Alkohol und Taschentücher warten, damit wir die Sache wie alte Freunde bereinigen konnten.
Mein Magen krampfte sich bei dem Gedanken an unser letztes Gespräch zusammen und ich kam nicht umhin mir ausreden zurechtzulegen, warum ich nicht zu Thomas gehen würde, können.
Doch ich hatte mir schon viel zu viel Zeit gelassen, hatte schon zu viele Ausreden gefunden. Und auch wenn sich alles in mir sträubte mich in mein Auto zu setzten und einfach zu fahren, vermisste ich ihn doch.
Sein Lachen, seine liebevollen Blicke, seine verdammte Musikliebe für Taylor Swift. Seine niedlichen Grübchen, die mein Herz schneller schlagen ließen.
Es brauchte meine ganze Willenskraft, um mich, trotz allem, nicht sofort wieder in meinem Zimmer zu verkriechen. Dem Alptraum ein Ende zu bereiten. Den einfachen Ausweg zu nehmen, anstatt mich meinen Problemen zu stellen.
Ich fühlte mich hin und hergerissen zwischen dem was ich tun sollte und dem was mein vernarbtes Herz mir sagte. Und ich war nun mal ein Mensch, der von seinem Herz geleitet wurde. Aber diesmal würde ich die richtige Entscheidung treffen. Würde mich nicht vor dem Schmerz schützen, sondern ihn annehmen.
* * *
Die ganze Fahrt über war mir kotzübel gewesen. Und das hatte rein gar nichts mehr mit den Eskapaden von letzter Nacht zu tun. Aufregung ließ meine Hände zittern und mein Kopf konzentriere sich auf all die möglichen Szenarien, wie alles heute schiefgehen konnte.
Es war ein Kampf mit mir selbst, einen Parkplatz zu finden und nicht doch in letzten Minuten umzukehren. Es wäre so einfach – noch hatte er mich nicht gesehen. NEIN, ich laufe nicht mehr weg! Nie mehr!
Ich schloss die Augen und gab mir einen letzten Moment, um meine Gedanken zu sortieren, als ich ein sanftes Plätschern wahrnahm. Ich schnaubte. Die ehemals dicke Wolkendecke hatte sich zu einem kolossalen Monster zusammengetan und jetzt scheinbar ganz Brighton mit Regen beehrte. Und natürlich – gerade an dem Tag wo ich keinen Regenschirm mithatte. Aber ich war auch irgendwie selbst schuld. Jeder wusste, dass das Wetter hier unberechenbar, aber meist regnerisch war.
Ich bereitete mich auf den unglaublichen Wasserschwall vor, bevor ich schnell die Tür aufriss und mich unter den Torbogen von Thomas Wohnhaus stellte.
Meine leichte Jeansjacke klebte, wie eine zweite Haut an mir und ich war versucht sie gleich auszuziehen. Ich hatte irgendwo einmal gelesen, dass man nasse Kleidung immer ausziehen sollte, um nicht zu erfrieren. Dem Körper wurde so nämlich immer mehr überlebensnotwendige Energie entzogen.
Vermutlich wären mir noch tausende von unnützem Wissen eingefallen, doch ich riss mich zusammen und drückte aus dem Knopf neben dem Klingelschild. Es summte einige Sekunden – dann Stille.
Er will dich nicht sehen – du hast ihn schließlich verlassen! Ich verpasste meiner inneren Stimme einen mentalen Knebel und drücke ein zweites Mal auf die Klingel.
Mach schon auf, Thomas! Mach bitte auf! Lass es nicht zu spät sein!
Doch niemand öffnete die Tür. Nicht nach einer Minute, nicht nach zwei. Nach fünf Minuten, die ich damit verbracht hatte auf die digitale Anzeige meines Handys zu sehen, war ich kurz davor einfach umzudrehen.
Wir stiegen Tränen in die Augen und Panik machte sich in mir breit. Es fühlte sich an, als wäre ein wilder Vogel in meiner Brust gefangen. Ein Vogel, der sich gegen seine Fesseln auflehnte. Ein Vogel der in die Freiheit wollte. Nur hieß seine Freiheit, dass ich erneut weglaufen würde.
Ich tippte einen SMS. Ich steh unter vor der Tür. Bitte lass mich rein. Meine Finger zitterten, als ich die Nachricht absendete und erneut wartete.
Ich drückte nochmals auf die Klingel. Vielleicht war er auch einfach nicht zu Hause – dann machte es auch keinen Sinn hier noch weiter zu warten. Sofort verdrängte ich den Gedanken. Ich würde hier auf ihn warten, selbst wenn er erst Morgen wiederkäme.
Das Holz des großen Tors war massiv, aber die Jahre hatten es an manchen stellen splittern lassen. Ein Fakt, den ich am eigenen Leibe zu spüren begann. Als ich an ihm zum Boden sank.
Doch die Holzsplitter in meiner Hand spürte ich kaum, es war der Schmerz des Verlustes, die Panik vor dem Verlassenwerden, die mehr wehtaten.
Tränen kullerten über meine Wange, während ich zittern neben der Tür saß. Minute um Minute verging und je länger ich dasaß, desto weniger Mut hatte ich.
Die Tränen benetzen mittlerweile mein ganzes Gesicht und immer wieder lösten sich Schluchzer aus meiner Kehle. Ich hatte jeden Versuch aufgegeben auch nur irgendwie meine Würde zu bewahren. Meinen Stolz.
Der Regen war stärker geworden, sodass ich die dumpfen Schritte, die aus dem Haus drangen, beinahe überhört hätte. Doch als sich die Tür öffnete, stand nicht Thomas vor mir.
Es war ein Mann, ja, aber er war weitaus älter und eleganter gekleidet. Vermutlich ein Geschäftsmann aus London.
Seine Augen funkelnden herablassend, als er seinen Blick kurz über mich schweifen ließ und mit einem geringschätzigen Schnauben abzog. Sah ich wirklich so schlimm aus.
Ich schloss die Augen. Mir war kalt. So kalt. Und ich war müde. Zu müde zu kämpfen und zu müde, um aufzustehen. Also blieb ich einfach nur sitzen.
„Nadiya?"
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The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?
ChickLitIst Liebe stärker als die Angst? Nach dem Verlust ihrer Mutter hat Nadiya Lacroix nur ein Ziel - ihr Studium am University College London beenden und einen Job als Psychologin bekommen. Und natürlich die Schulden bei ihrem Vater begleichen. Liebe ha...