5. Kapitel

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Ich starrte nervös auf die riesige, in einem französischen Stil gehaltenen Wanduhr und begann die Minuten zu zählen, während ich eigentlich den Bestand einiger Bücher aktualisiertes sollte. Doch da der Computer, genauso wie der Rest des Ladens, eine Antiquität war und über kein funktionsfähiges Betriebssystem verfügte, sowie eine Tendenz zum Abstürzen besaß, konnte ich nicht anders außer gelangweilt sein, als sich die Kiste zum neunten Mal in Folge wieder ausschaltete.

„Da ist ja Windows Vista noch besser", murrte ich vor mich hin.

„Was?"

Erschreckt zuckte ich herum und entdeckte Madame Dubois, welche zu mir in die kleine Vorhalle getreten war und mich argwöhnisch musterte.

„Äh nichts. Aber vielleicht solltest du trotzdem überlegen, ob du nicht doch einen anderen Computer anschaffen willst. Der hier ist nämlich fast schon so alt wie ich."

„Ich brauche euere neu-modernen Technikwunder nicht!", empörte sie sich prompt. „Das Einzige, wofür ich ihn brauche, ist zum Dokumentieren und Bestellen. Ich will darauf keine lächerlichen Schießspiele spielen oder mit den Fingern darauf herumwischen können oder-"

„Ist schon gut! Ich hab's verstanden", unterbrach ich sie und hob kapitulierend die Hände. „Aber wenn Nokia Computer bauen würde, wärst du sicher eine der ersten Käufer", fügte ich murmelnd hinzu.

„Wie bitte?", fragte Madame Dubois, beide Hände in die Hüften gestemmt.

„Nichts.", wieder holte ich unschuldig und begann mich wieder darauf zu konzentrieren, die Datei wiederherzustellen, die die Teufelsbrut bei seiner stündlichen Abschaltaktion geschlossen, aber natürlich nicht gespeichert hatte.

Meine Chefin schnaubte, ließ mich aber in Ruhe weiterarbeiten. Zumindest vorerst.

Ich atmete einmal tief ein und aus, bevor ich einen erneuten Versuch begann besagten Computer zu bedienen und nicht in Tränen auszubrechen oder das Gerät aus dem erstbesten Fenster zu werfen.

Plötzlich vernahm ich ein lautes Räuspern und mein Kopf schoss augenblicklich nach oben. „Oh, Scheiße!"

„DAS hat wirklich noch nie jemand zu mir gesagt", erklärte Thomas selbstzufrieden und starrte mich grinsend an.

Ich schloss die Augen und betete, dass sich der Erdboden neben mir öffnen und mich mitsamt dem lächerlichen Gerät, das sich Computer nannte, in den Abgrund ziehen würde.

„Ich hab voll auf unser...unseren-" Fast war ich versucht Date zu sagen.

„Buchclub", ergänzte Thomas grinsend.

„Genau! Unseren Buchclub!"

Hecktisch sprang ich auf, warf sogleich einen Stapel mit sortierten Blättern um und wurde von einer starken Hand gepackt, bevor ich, zur Krönung des Tages, auf meinem eigenen Missgeschick ausrutschen und den Boden knallen konnte.

„Na, Hopperla!", entfuhr es Thomas, der mit einem Moment wieder ernst geworden war und mich zurück auf die Füße stellte. „Nicht gleich so übermütig!"

Ein nervöses Lachen entschlüpfte mir und ich sah ihn verlegen an. Die verdammten roten Flecken, die sich auf meinen Wangen gebildet hatten, waren dabei wieder einmal in keinster Weise hilfreich.

„Tut mir leid. Ich hab vollkommen vergessen, dass wir uns verabredet hatten. Nein, eigentlich hatte ich es nicht vergessen – aber dann ist dieser verdammte Computer abgestürzt und ich hab die letzte halbe Stunde versucht, die Daten wiederherzustellen. Und dann habe ich die Zeit übersehen-"

„Ist schon in Ordnung, Nadiya", beruhigte er mich mit sanfter Stimme, die ein Kribbeln durch meinen Körper sendete. „Ich hab dich ja gefunden."

„Das hast du", gab ich lachend zu und bückte mich schnell, um die Papiere aufzuheben. Ich räusperte mich und lächelte Thomas an, der durch mein Verhalten nicht im Geringsten verunsichert wirkte. Vielleicht hatte Zoe ja doch recht und Thomas war nicht so ein Arsch wie Tyler – einen Unterschied hatten sie zumindest schon mal. Thomas liebte Bücher anscheinen genauso, wie ich. Tyler hatte meine Obsession nie verstanden.

„Also, über welches Buch willst du reden?", fragte ich.

„Kommt darauf an. Antik, klassisch oder modern?", fragte er schelmisch.

„Ich muss zugeben, dass ich kaum moderne Werke lese. Aber dafür kenne ich jedes von Shakespeares Stücken."

„Auch gut", meinte er mit einem Grinsen. „Was hältst du von Titus Andronicus?"

Ich sah ihn irritiert an. Von all den guten Werken, suchte er sich ausgerechnet dieses aus?

„Dachtest wohl, ich nehme Romeo und Julia", kommentierte er neckend.

„Ich hätte wissen sollen, dass du nichts von richtig klassischen Werken hältst."

Ein melodisches Lachen löste sich aus seiner Kehle und ich sah Thomas überrascht an. „Wir können auch gerne über Romeo und Julia und ihre außerordentlich tragische Lebensgeschichte philosophieren", warf er mit gespielter Ernsthaftigkeit ein.

Mit einem einnehmenden Grinsen nahm ich den Fehdehandschuh an. „Das, was die beiden hatten, kann man nicht ernsthaft als Liebesgeschichte betiteln – die beiden kannten sich ja nicht einmal richtig!"

„Manchmal reicht eine Sekunde, um zu wissen, dass der Mensch vor einem, derjenige ist, mit dem man sein Leben teilen will", erwiderte er seltsam poetisch und sah mich dabei mit einem funkeln in den Augen an. „Aber in Bezug auf das Stück, hast du recht – die Handlung war schon etwas sehr abrupt."

„DANKE!"

„Aber trotzdem wunderschön", schob er hinterher.

„Wieso? Die ganze Geschichte war derart tragisch, und unrealistisch, dass ich sie gut und gerne als literarische Farce bezeichnen würde!"

„Tragisch stimmt - aber unrealistisch?"

„Ja! Das Ganze sollte nicht Romeo und Julia heißen, sondern eine Geschichte von sechs Toten – hätte besser gepasst, bei dem ganzen Mord, Selbstmord und Totschlag. Und das wegen einer Beziehung, die nicht einmal drei verdammte Tage gehalten hat!", erklärte ich wild. „Ich kann zwar noch nachvollziehen, dass ihr Testosteron-Kumpel ganz wild auf Kämpfen seid, aber ernsthaft? SECHS TOTE?"

Thomas lachte erneut. „Was man nicht alles tut, um seine holde Maid zu beschützen."

Ich verdrehte die Augen, begann aber ebenfalls zu lächeln. „Jetzt erklär du mir doch, warum du das Werk trotzdem magst!"

„Ganz einfach, es ist perfekt – genauso wie das Leben. Ihre Liebe mag unmöglich gewesen sein, kurz und letzten Endes auch tragisch, aber genau das ist Liebe. "

Für einige Momente füllte eine gähnende Stille den Raum. Dann antwortete ich zögernd: „Das hast du schön gesagt. Finde ich."

„Danke. Aber heißt das, ich konnte dich auch erfolgreich überzeugen?"

„Ich werde Romeo und Julia noch einmal lesen...und versuchen es etwas mehr wie du zu sehen. Auch wenn ich immer noch denke, dass die sechs Toten etwas überflüssig waren."

The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt