Im Nachhinein sollte ich vermutlich dem Alkohol die Schuld geben. Oder meinem Vater. Oder beiden. Schließlich war es seine Schuld gewesen, dass ich gestern in die Situation gekommen war, von Thomas nachhause kutschiert zu werden. Ausgerechnet von Thomas.
Sein Freund war dankenswerterweise an der Haustür abgedampft, oder zumindest war es, dass, was ich vermutete. So genau konnte ich mich dann auch wieder nicht erinnern.
Woran ich mich allerdings noch sehr wohl erinnern konnte, waren sexy, starke Hände, die mich gefühlte neun Stockwerke hochgeschleppt hatten. Noch nie hatte sich ein Liftservice so gut angefühlt!
Das, was danach kam, konnte man allenfalls als katastrophal bezeichnen. Denn ausnahmsweise war es nicht Zozo gewesen, die die halbe Nacht durchgeheult hatte, sondern ich. Und wenn ich Thomas schon nicht mit dem vergraut hatte, dann bestimmt, als er meinem betrunkenen Ich zuhören musste, dass gerne 90er-Jahre Pop-Lieder sang. Doch, ob man mein Gejaule wirklich als Gesang betiteln konnte, war da natürlich die andere Frage.
Als ich dann vollkommen mies gelaunt und, oh Wunder, verkatert aufwachte, schaffte ich es gerade noch die Rollladen herunterzuziehen, bevor ich mich zurück unter die Laken verzog und mich für gestern Abend verfluchte. Ich hatte vermutlich gerade den herrlichsten Typen in ganz Brighton verscheucht – und Schuld daran war einzig und allein ich selbst.
Irgendwann am späten Vormittag tauchten dann Kaffee, Wasser und ein Aspirin auf meinem Nachttisch auf und trotz heftigster Kopfschmerzen schaffte ich es nach einer halben Stunde endlich aufzustehen und mich ins Wohnzimmer zu Zoe zu gesellen, die seelenruhig eine Zeitung las.
„Und, Naya, gestern noch einen schönen Abend mit deinem Schmusebärchen verbracht?"
Ich warf ihr einen bösen Blick zu.
„Ist das ein Nein?", fragte sie scheinheilig und ich hob drohend die Faust.
„Ich hasse dich", murrte ich.
„Sieh an, es spricht!"
„Zoe Cristina Harper!"
„Ja, ja, ist schon gut. Dein überaus besorgter Freund hat uns, wie du dich hoffentlich erinnerst, wie ein perfekter Gentleman nach Haus gebracht und dir stundenlang beim Heulen zugesehen."
Oh nein. „Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist!", murrt ich und schloss die Augen. Möge der Erdboden sich vor mir auftun!
„Oh doch, meine Liebe, oh doch!", erklärte sie mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck. „Und du kannst dich glücklich schätzen, er scheint nicht einmal besonders abgeschreckt von deiner Aktion gestern – er hat sogar angeboten zu bleiben."
„Ich..."
„Ja?"
„Ich stecke in der Scheiße."
„Und wie", ergänzte meine Mitbewohnerin mit einem Grinsen. „Aber wer wäre ich, wenn ich dir nicht wieder heraushelfen würde?"
* * *
Mit zitternden Fingern griff ich nach meinem schwarzen Black Berry, das wie eine gefährliche Monstrosität vor mir am Tisch thronte. „Und du glaubst, dass das eine gute Idee ist?", fragte ich Zoe bestimmt schon zum drölfzigsten mal.
„Gemessen an deinen Ideen, wie du das mit Big-T wieder hinbekommst, ist meine Idee grandios, non?."
„Kannst du bitte aufhören, ihn so zu nennen?", bat ich, mit den Nerven am Ende.
„Jetzt hab dich nicht so, Schätzchen, mach es so, wie du es mir ständig vorhältst: Mit entwaffnender Ehrlichkeit."
„Leichter gesagt, als getan."
Zoe machte ein zustimmendes Geräusch.
„NICHT HILFREICH."
„Jetzt mach schon! Bring's hinter dich!"
„Du nervst!"
Doch ich nahm all meinen Mut zusammen und begann Thomas Nummer zu wählen und mir das Handy ans Ohr zu halten. Immer wieder war das vertraute Tuten am anderen Ende der Leitung zu hören, dass sich momentan für mich eher wie Alarmklingeln anhörte.
Gerade als ich erwartete auf Thomas Mailbox zu landen, verstummte das nervige Dudeln und mein Herz rutschte mir in die Hose.
Am anderen Ende war es still, nur das kaum hörbares Atmen war alleiniges Zeichen dafür, dass ich nicht mit einem Geist sprach. Ich räusperte mich und begann nervös vor mich hinzustottern. „Thomas, bist du das?" Dummkopf, natürlich ist er das!
Als nur weitere Atemgeräusche zu hören waren, plapperte ich einfach weiter, in der Hoffnung nicht allzu dumme Sachen von mir zu geben. „Ich wollte mich für gestern entschuldigen. Du weißt schon, die Sache mit dem Pub... Tut mir leid, nochmal."
Wieder nur stilles Atmen.
„Und außerdem wollte ich dir sagen, dass ich keine verkappte Alkoholikerin bin. Mein Tag war einfach nur...scheiße."
„Nadiya?" Als ich Thomas zerstreute Stimme am anderen Ende hörte machte mein Herz mehr als einen Freudensprung.
„Ja?", fragte ich unsicher.
„Ich bin froh, dass es dir gut geht."
Einige Sekunden lange sprach keiner von ihnen ein Wort. Wahrscheinlich war Thomas genauso überfordert mit der Situation wie ich. In welcher Schule wird einem denn schon beigebracht, wie man auf Entschuldigungs-Anrufe einer fast-wildfremden Frau reagierte, die scheinbar Alkoholprobleme hatte.
„Danke. Auch wegen gestern...das hättest du nicht tun müssen."
Ich glaubte ein Schnauben zu hören, bevor Thomas weitersprach. „Du sagts mir ständig was ich alles nicht tun müsse. Überleg doch einfach mal, ob ich das vielleicht tun WILL."
„Dann wärst du aber der Erste.", erklärte ich und ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen.
„Tatsächlich? Na dann, umso besser."
Ich räusperte mich erneut. „Dann habe ich dich also nicht verschreckt? Mit Gestern?"
„Würde ich jetzt mit dir reden, wenn es so wäre?"
Ich hatte die Augen geschlossen und atmete mehrmals tief ein und aus, sammelte meinen ganzen Mut. „Dann könntest du dir also vorstellen, mit mir, einer nicht verkappten-Alkoholikerin, auf ein Date zu gehen?"
„Sind dir die Bücher schon zu langweilig geworden?", fragte er neckend.
„N..nein! Ich lese gerade Romeo und Julia fertig – deinetwegen!"
„Gefällt es dir etwa noch immer nicht?"
„Warum antwortest du mir nicht?", fragte ich ungeduldig, während ich Zoe im Auge behielt, die wie wild in unserem Wohnzimmer herumtollte und mir dabei fest die Daumen drückte.
„Ah, das Date?"
„Ja, das Date!", wiederholte ich, während meine Stimme einen immer verzweifelt wirkenden Ton annahm.
„Darf ich dich ausführen? Übermorgen?", fragte er lässig und mein Herz setzte einen Schlag aus.
„JA!", schrie ich beinahe ins Telefon und man hörte ein amüsiertes Lachen am anderen Ende.
„Gut. Ich hole dich um 17:00 ab."
„Ich...ich-"
„Ich freue mich auch, Nadiya", unterbrach er mein Gestotterte. „Und zieh dir was Schickes an!" Dann war die Leitung tot.
Geschockt sah ich zu Zoe, die mich mit einem teuflischen Grinsen betrachtete. „JAAAAAA!!! Meine Nadiya hat es geschaffte! Sie hat Big-T um ein Date gebeten! Sie hat es geschafft!"
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The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?
Literatura KobiecaIst Liebe stärker als die Angst? Nach dem Verlust ihrer Mutter hat Nadiya Lacroix nur ein Ziel - ihr Studium am University College London beenden und einen Job als Psychologin bekommen. Und natürlich die Schulden bei ihrem Vater begleichen. Liebe ha...