„Danke, Mom!", rief Mark, der kleineste meiner beiden Stiefgeschwister, begeistert, als seine Mutter Manon das Essen servierte.
Der kleine Kerl klatschte aufgeregt in die Hände und strahlte mit einem breiten Lächeln an. Ich wusste jetzt schon, dass Mark eines Tages vielen Mädchen mit diesem Lächeln das Herz brechen würde. Doch jetzt war der siebenjährige Bengel einfach nur niedlich.
Als meine Stiefmutter auch mir einen Teller mit köstlich riechendem Boef Bourguignon vor die Nase stellte, lächelte ich ihr schüchtern zu. Ich fand noch immer nicht, dass ich besonders gut in die perfekte Familie meines Vaters passte, aber ich versuchte meinen inneren Konflikt nicht auf Leute zu übertragen, die selbst kaum etwas damit zu tun hatte. Diese Lektion hatten mir Zoe und Helen zu guter recht verpasst und ich hatte sie nicht vergessen.
Manon nickte und verteilte auch an den Rest des Tisches ihr Essen. Als auch sie sich setzte, begannen wir endlich zu essen.
Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich Manon für eine waschechte Französin halten können, so gut war das Essen geworden. Das Fleisch war genau richtig – zart, sodass es auf der Zunge zerfiel und gemeinsam mit dem Gemüse in der Sauce konnte das Gericht wohl aus einem Haubenlokal kommen.
Während ich mehr mit dem Essen selbst beschäftigt war, beobachtete ich neugierig, wie mein Vater verliebte Blicke zu seiner Frau war, wie Helen unter dem Tisch mit jemandem simmste und wie Mark den halben Tisch bekleckerte. Ich wünschte ich hätte bei diesem Anblick Freude empfinden können. Freude für sie – für mich. Aber alles was mich in diesem Moment erfüllte, war purer Neid.
Einerseits bereute ich es, mich an das andere Ende des Tisches gesetzt zu haben, doch irgendwie gab mir das auch die nötige Distanz, um nicht gleich wieder in Tränen auszubrechen.
Denn so sehr ich es auch versuchte, brachte ich die Worte meines Vaters nicht aus dem Kopf. Dass er mich Teil seiner Familie wissen wollte. Dass er für mich da sein wollte. Dass er seinen Fehler, wenn er ihn schon nicht rückgängig machen konnte, wieder gut machen wollte.
Doch waren das nicht gleichzeitig genau die Dinge, welche es umso schwerer für mich machten? Hätte er sich nach unserem ersten Zusammentreffen vor ungefähr zehn nie wieder gemeldet, hätte meine Mutter und mich wirklich in Ruhe gelassen...dann hätte ich ihn als Gewissenloses Arschloch abstempeln und vergessen können.
Aber das hatte er nicht. Mein Vater hat mindestens einmal im Monat bei uns vorbeigeschaut. Und obwohl wir seine Hilfe jedes Mal abgelehnt hatte, war er immer wieder gekommen.
Als meine Maman gestorben war, hatte er angeboten, dass ich bei ihm und seiner Familie bleiben konnte. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch so voller Hass für ihn gewesen, dass ich nicht einmal über sein Angebot nachgedacht hatte.
Denn sein Kümmern machte es mir einfach so viel schwerer. Denn entweder plagten ihn wirklich Schuldgefühle und er versuchte ernsthaft etwas zu verbessern, oder er wollte nur sein Gewissen erleichtern. Vielleicht war es auch Manon, die ihn dazu drängte mich nicht so im Stich zu lassen.
Manon war durch und durch ein liebevoller Mensch. Sie hatte kein einziges Mal einen harten Ton angeschlagen, mir keine bösen Blicke zugeworfen – nichts. Auch Helen und Mark hatten mir gegenüber keinem schlechten Wort verloren.
Und wieder stand ich vor dem Punkt mich zu fragen: War vielleicht nicht mein Vater, sondern ich das Problem?
So sehr ich mich auch für den Gedanken schämte, wollte ich das hier! Ich wollte eine liebende Familie! Ich wollte kleine Geschwister! Ich wollte Eltern, die sich um mich kümmerten, nicht ich mich um sie! Ich wollte die Liebe spüren, die hier am Tisch zu großzügig und offenkundig gezeigt wurde.
Ich wollte mich für sie freuen. Doch alles was ich fühlte war Neid.
* * *
Kaum hatten wir fertiggegessen, da machten Helen und ihr Bruder sich auf, um Hausübungen zu erledigen. Bei Mark tippte ich zwar eher auf Computerspielen, aber das quittierte ich höchstens mit einem leichten Grinsen. Auch mein Vater entschuldigte sich mit den Worten, er müsse noch ein wichtiges Telefonat führen, womit ich und Manon allein zurückblieben.
In die unangenehme Stille hinein, war ich versucht ebenso aufzustehen und schnellstmöglich mein vorübergehendes Zimmer aufzusuchen, doch ich entschied mich dagegen. Zumal es sehr unfreundlich wäre Manon allein mit dem Geschirr zu lassen, wollte ich nicht noch mehr wie ein trotziger Teenager wirken, als die mich mein Vater bezeichnet hatte.
„Darf ich dir beim Abwasch helfen?"
„Das ist das erste Mal, das mich DAS jemand fragte!", kommentierte sie belustigt, und drehte sich zu mir, ein Geschirrtuch über die Schulter geworfen. „Ich mag zwar wie eine fleißige Fee wirken, aber ich freue mich immer über Hilfe!"
Irgendwie brachte mich das zum Lächeln. „Meine Mitbewohnerin Zoe glaubt auch immer, dass ich ein Putzroboter bin! Immer lässt sie ihre Sachen irgendwo liegen – letztens habe ich sogar eine Socke aus dem Geschirrspüler geholt!"
Ein tiefes Lachen erklang von der Frau neben mir und ich kam nicht um das Gefühl umher, mich plötzlich sehr...dumm zu fühlen. Ich fühlte mich verlassen, obwohl ich eigentlich diejenige gewesen war, die alle verlassen hatte. Ich fühlte mich vom Karma verarscht weil es mir erst alles weggenommen hatte – und als ich mich mühsam zurückgekämpft hatte, mir das gleiche wieder drohte. Aber vor allem vermisste ich meine Maman.
Zwischen dem leisen klirren der Teller war es still geworden. Doch ich hätte auch nicht gewusst, was ich Manon hätte sagen sollen. Über was sprach man mit der neuen Lebensgefährtin seines Vaters, die man vielleicht dreimal im Leben gesehen hatte?
„Nadiya, ich möchte, dass du weißt, dass ich nie versuchen möchte deine Mutter zu verdrängen. Aber wenn du Reden möchtest, oder einfach nur mal eine Umarmung, dann...dann ist das okay."
Ich blickte von meiner Arbeit auf, meinen Gefühlssturm nur schwer im Zaum haltend. Genauso wie meine Tränen. „Danke... Aber ist es nicht komisch für dich? Du kennst mich doch kaum."
Manon seufzte, doch es war kein Seufzen der Genervtheit. Es klang viel eher traurig.
„Ich habe meine Eltern auch sehr früh verloren, weißt du. Und lange Zeit war ich furchtbar einsam – dass ist etwas das ich niemand anderem zumuten möchte. Ich weiß, dass man das nicht vergleichen kann, mit dem, was du erlebt hast, aber...ach ich weiß nicht."
Ich schluckte. „Wie alt warst du?"
„Dreizehn. Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie sind von einem Theaterbesuch nach Hause gefahren und gegen einen Baum gefahren."
„Das tut mir leid." Und das tat es wirklich. Niemand verdiente es, so etwas durchzumachen.
„Ist schon lange her. Anders als bei dir. Ich weiß noch, dass ich jahrelang Probleme hatte Menschen in meine Nähe zu lassen. Ich habe deswegen sogar fast deinen Vater verloren. Weil ich mich nicht noch einmal für diese Art von Schmerz öffnen wollte."
„Was hat dich dazu gebracht deine Meinung zu ändern? Dass die Liebe es doch wert ist?"
„Zu einem Zeitpunkt hatten wir uns tatsächlich getrennt - Eaton und ich. Ich habe es beendet und er – er ist einfach gegangen."
Ich runzelte die Stirn. „Einfach gegangen?"
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The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?
ChickLitIst Liebe stärker als die Angst? Nach dem Verlust ihrer Mutter hat Nadiya Lacroix nur ein Ziel - ihr Studium am University College London beenden und einen Job als Psychologin bekommen. Und natürlich die Schulden bei ihrem Vater begleichen. Liebe ha...