An den Weg zurück konnte ich mich hinterher nichtmehr richtig erinnern. Nur dass ich weinend aus dem Haus gestürmt und hier, in meinem Wohnzimmer, zu mir gekommen war. Umringt von Leuten, die ich absolut nicht um mich haben wollte.
„Nadiya, rede doch mit mir!", befahl eine Stimme, die verdächtig nach Madam Isla klang. Was machte sie überhaupt hier?
„Jetzt sag doch was, wir machen uns alle große Sorgen! Was ist passiert, als du bei Thomas warst?", erklang es von Zoe.
Ich legte mir die Hände auf die Ohren und vergrub den Kopf in meinem Schoß. Konnten die denn mich nicht einfach mal in Ruhe lassen?
Dauern spürte ich, wie irgendjemand mich berührte. Ein Streicheln über das Haar hier, eine gutgemeinte Berührung am Rücken. Doch für mich war es pure Folter. Ich wollte einfach nur weg hier.
Als Zoe versuchte mich durchzuschütteln, hielt ich dem Druck nicht mehr stand. „Hört auf! Hört einfach auf! Geht weg und lasst mich in Frieden! Geht einfach weg!", schrie ich schluchzend und stieß Zoes Hand von mir weg.
Beide Frauen sahen mich daraufhin verletzt an. „Du brauchst Hilfe, Nadiya. Wir wollen doch nur, dass es dir wieder gut geht."
„Ich brauche eure Hilfe aber nicht! Ich will sie nicht! Lasst mich einfach in Ruhe, versteht ihr das nicht?!"
„Nadiya-", begann eine der beiden wieder mit dieser elenden, beruhigenden Stimme, als jemand an unserer Tür klingelte.
Als ihr ständiges auf mich einreden endlich verstummt, vergrub ich meinen Kopf wieder und versuchte dem Lärm meiner Gedanken Herr zu werden.
Schlecht. Schlecht Schlecht.
Du bist abartig, dass du ihn einfach so verlässt!
Mach das es aufhört!
Wie lange noch, bis Maman tot ist?
Wie lange noch bis er tot ist?
Wie viel Zeit? Zeit?
Du hast ihn verlassen. Du hast Maman verlassen!
Stopp!
Du bist ein Niemand!
Du bist ein Nichts!
Du verdienst das!
Bitte, stopp!
Es liegt an dir! Du gibst zu leicht auf!
Warum kämpfst du nicht?!
Ich kämpfe doch!
Du bist schwach – du bist ein Niemand!
„Nadiya!" Ich fühlte, wie mich jemand hoch hob und an seinen Körper presste. „Nadiya!", rief mich eine angenehme, männliche Stimme.
Thomas? Nein, das war nicht Thomas.
Aber irgendwie war es auch egal. Die Umarmung tat gut. So gut.
„Tut mir leid, dass ich nicht für dich da war, Nadiya. Aber jetzt bin ich es. Und ich werde auch nicht weg gehen."
Die Stimme kannte ich irgendwo her. Irgendwo... Ich öffnete die Augen, doch durch die vielen Tränen konnte ich kaum etwas erkennen.
„Ich hatte solche Angst, dass dir etwas zugestoßen sei. Bitte mach so etwas nie wieder!"
Noch immer hielten mich zwei starke Arme an jemandes Brust gedrückt und langsam wurde auch meine Sicht klarer. Und mir dämmerte, wer mich da im Arm hielt.
„Papa?" Ich hätte wütend sein müssen, doch irgendwie fehlte mir mittlerweile die Kraft dafür.
Ein Zittern ging durch den Körper, der mich festhielt. „Ja, Papa ist da. Und er wird nicht wieder weg gehen."
„Sie ist auch weg gegangen."
„Wer?"
„Maman."
„Ich weiß, Nadiya. Ich weiß.", tröstete seine Stimme.
„Thomas geht auch."
Stille.
„Ihr alle geht. Ihr verlasst mich."
„Niemand wird dich mehr verlassen, Nadiya. Niemand!"
„Lügner.", murmelte ich, bevor mich eine tröstende Dunkelheit umfing.
Endlich war es vorbei.
* * *
Ich hatte noch nie zuvor auf einer so weichen Matratze geschlafen. Was vielleicht damit zusammenhängen konnte, dass ich nie das Geld dazu gehabt hatte mir einen zu kaufen. Doch sobald ich meinen Master-Abschluss in der Tasche hatte und ein wenig Geld übrig war, würde das meine erste Investition sein.
Ich kuschelte mich noch etwas tiefer in die wohlige Wärme und genoss für einen Moment die Stille. Zumindest bis ich bemerkte, dass ich voll angezogen in einem fremden Bett lag. Nein, sogar in einem fremden Hause! Hatte mich jemand entführt und aus Mitleid dann in diesem wunderbaren Bett schlafen lassen? Klang irgendwie unrealistisch.
Obwohl ich so gar nicht aufstehen wollte, entschied ich mich gegen aller Gegenwehr meines inneren Schweinehundes, die Augen aufzumachen und herauszufinden, wie zum Teufel ich hierhergekommen war.
Doch dieser Plan wurde je vereitelt, als ich meinen Arm auf der Matratze abstütze und ein jeher Schmerz durch meinen Arm schoss. Mit noch verschwommenem Blickfeld suchte ich nach dem Übeltäter, konnte jedoch nur einen durchsichtigen Schlauch ausmachen, der von einer Metallstange zu meinem Arm ging. War das eine Infusion? War ich in einem Krankenhaus? Aber Krankenhäuser hatten doch keine so weichen Betten?
Ich blinzelte einige Male, bis ich etwas schärfer sehen konnte und nahm den Raum, in welchem ich mich befand genauer unter die Lupe. Vor mir befand eine moderne Kommode mit vier hohen Beinen, darauf einen Flachbildfernseher. Rechts daneben war ein minimalistich wirkendes Bücherregal mit gemütlichem, hellblauem Ohrensessel davor. Unter dem großen Fenster auf der linken Seite befand sich ein Schreibtisch und darauf eine Sporttasche, die verdächtig nach meiner aussah.
Vom Gezwitscher der Vögel und dem Fehlen von Autolärm, schloss ich, dass ich mich irgendwo weiter ländlich befinden musste. Somit war ich schon mal nicht mehr in Brighton.
Langsam glitt ich vom Bett und meine Füße streiften den von der Sonne gewärmten Parkettboden. Oh man, das hier kam mir vor wie ein Traum. Wie ein verdammt guter Traum! Nicht so einer, in denen ich meine Maman vor meinen Augen sterben sah.
Wieder zog es an meinem Arm und ich beschloss kurzerhand die Infusion zu entfernen. Anders als in diversen Filmen, war es nicht besonders geschickt die Nadel samt Zugang herauszureißen, sondern beiden einzeln und sachte aus der haut zu ziehen. Wieder eine der positiven Aspekte, wenn man einen Großteil seines Lebens Pflegerin gespielt hatte.
Gerade drückte ich mir das Pflaster etwas fester auf die Wunde, da ging die Tür auf und mein „Vater" kam herein. Plötzlich erinnerte mich wieder. Oder zumindest an Teile.
„Ich kann nicht behaupten, dass du dich anders, als alle anderen meiner Patienten benimmst.", kommentierte er mit einem Lächeln.
Vielleicht hätte ich auch zurückgelächelt, wäre da nicht... Ich schloss die Augen. „Wo bin ich? Und vor allem, warum bin ich hier und nicht zu Hause in meiner Wohnung?"
Mein Vater trat seufzend ins Zimmer und schloss die Tür sachte hinter sich. Ich beobachtete ihn mit Argusaugen, als er den Raum überquerte und es sich dann auf dem Schreibtischstuhl bequem machte.
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The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?
ChickLitIst Liebe stärker als die Angst? Nach dem Verlust ihrer Mutter hat Nadiya Lacroix nur ein Ziel - ihr Studium am University College London beenden und einen Job als Psychologin bekommen. Und natürlich die Schulden bei ihrem Vater begleichen. Liebe ha...