30. Kapitel

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Manon ließ ein gekünsteltes Lächeln erscheinen. „Ich meine damit, dass er es einfach akzeptiert hat. Es hat Tränen gegeben, aber er hat es akzeptiert."

„Und dann?"

„Dann habe ich erkannt, dass niemand die Mauer um mein Herz einreißen konnte, außer ich selbst. ICH musste kämpfen. Ich musste mich dafür öffnen. Denn zugegeben, die Zeit ohne Eaton war fast noch schlimmer, als die Angst ihn zu verlieren."

Manon blinzelte eine Träne weg. „Das Geheimnis ist, sich nicht vor dem Schmerz zu schützen, sondern ihn zu akzeptieren. Die guten Zeiten genießen und trauen, wenn sie vorbei sind. Nutze die Chance, die du mit Thomas hast. Es ist vielleicht eure letzte."

„Ich weiß nicht, ob ich das kann.", sagte ich ehrlich. Aber wer würde es wissen, wenn nicht ich?

„Du wirst nie bereiter sein als jetzt. Es gibt keine perfekte Beziehung. Man muss immer damit rechnen die Person, die man liebt zu verlieren. Manche bei einem Autounfall, manche durch eine Krankheit."

Meine Stimme war furchtbar rau, als ich mich bei ihr bedankte.

„Ich helfe gerne."

Und in diesem Moment entschied ich mich dazu über eine meiner vielen, sorgsam aufgebauten mauern zu springen und machte einen Schritt auf Manon zu. Und dann umarmte ich sie. Und sie mich. Und ich fühlte mich ein kleines bisschen mehr, wie zu Hause.

* * *

Sonntag, kurz nach dem Mittagessen stand ich mit gepackter Tasche im Eingangsbereich des Hauses und wartete auf meinen Vater.

Ich lehnte am hüfthohen Schuhschrank, den jemand derart überstopft, hatte, dass er nicht mehr ganz schloss. Nach der Größe und Farbe der Schuhe schloss ich auf meinen kleinen Halbbruder. Nein, mein Bruder.

„Soll ich dir noch ein kleines Brötchen einpacken? Oder etwas von heute Mittag? Dann musst du für heute Abend nichts mehr kochen.", rief Manon aus der Küche und keine Sekunde später lugte ihr Kopf aus dem Durchgang.

„Du hast mir doch eh schon was davon eingepackt!", erwiderte ich belustigt. „Und ich bin mir sicher, hast du mir auch einen der Schokoriegel in die Tasche gepackt, damit ich nicht verhungere!"

„Schuldig im Sinne der Anklage.", gestand Manon. „Und bevor du mir wieder erklärst, dass ihr eh nur eine Stunde mit dem Auto fahrt, lass mich dir aus Erfahrung sagen, dass-"

„Nadiya hat doch gar keinen Platz mehr für das ganze Essen, das du ihr mitgeben willst.", errettete mich eine Stimme, die ebenfalls aus der Küche kommen zu schien.

„Eaton – wie oft habe ich dir gesagt, du sollst mit deinen dreckigen Schuhen nicht in die frisch geputzte Küche kommen?! Du bist schon wie unser Sohn!"

Ich verkniff mir ein Grinsen. Oder zumindest versuchte ich es. Aber ich versagte- Und das hatte vermutlich auch etwas damit zu tun, dass ich es nicht mehr verkneifen wollte. Ich wollte die Freude spüren.

Denn auch wenn ich es nicht geglaubt hätte, hatte mir der Besuch – und vor allem Manon – sehr geholfen. Sie hatte mir in gewisser Weise die Augen geöffnet. Und mein Vater schien einfach nur glücklich darüber zu sein, dass ich da war.

Und jetzt war es Zeit wieder nach Brighton zurückzukehren und mich dem zu stellen, was mich dort erwartete. Zoe. (Und Helen). Die Uni. Und...Thomas.

Ich seufzte innerlich und ein Gefühl der Unruhe, der Angst überkam mich. Doch bevor ich mich erneut in die diversen Szenarien, die in meinem Kopf herumspukten, hineinsteigern konnte, traten mein Vater und Manon aus dem Durchgang.

„Abmarschbereit?"

Je suis prest." Ich bin bereit. Oder zumindest hoffte ich das.

Mein Vater nickte lächelnd, verteilte an Helen, Mark und Manon jeweils ein Küsschen mit Umarmung und machte sich mit mir auf zum Wagen.

Erst als die Tür hinter uns in Schloss fiel und ich Marks kleines, momentan plattgedrücktes Gesicht durch das Glas in der Tür sehen konnte, überkam mich eine andere Nuance von Verlust. Doch diesmal ließ ich meine Gedanken nicht zu meiner Mutter wandern. Hier ging es um mich. Nicht um sie.

Und zum ersten Mal in langer Zeit baute ich keine Mauer auf, sondern ließ den Verlust auf mich wirken. Und ich kam zum Schluss das Manon vielleicht doch recht gehabt hatte. Dass die Zeit, die ich fern von den Leuten, die ich liebte, verbrachte, schmerzhafter war als die Angst vor dem Verlust.

The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt