Was als nächstes passierte, fand wie unter Trance statt. Ich machte einen Schritt nach vorne, dann einen zweiten. Thomas öffnete seine Arme und schlang sie um mich, als wäre ich das einzige, dass ihn vor dem Ertrinken bewahrt.
Zeit spielte keine Rolle mehr, nur das Gefühl gehalten zu werden. Sicher zu sein. Ich spürte die Wärme seines Körpers, wie sie durch seine dürftige Bekleidung sickerte. Ich spürte seinen gleichmäßigen Atem in meinen Nacken und seinen Mund, wie er über meinen Hals strich. Verlangend. Sehnsüchtig.
Es konnte Minuten gedauert haben, bevor wir uns aus der innigen Umarmung lösten und einander ins Gesicht sahen. Noch immer hatten wir kein Wort gesagt. Vielleicht war es auch besser so. Vielleicht genügte ihn ein letztes Mal zu umarmen und dann zu gehen. Vielleicht mussten wir nicht reden.
Doch irgendwie wusste ich, dass das nur eine Lüge war. Thomas war wie eine Droge für mich. Sicher, ich brauchte seine schützenden Arme, doch ich brauchte auch seine Worte. Ich wollte seine Stimme hören. Nein, ich musste sie hören. Selbst wenn sie heute keine Liebesworte flüstern würde, sondern nur eine schmerzhafte Wahrheit.
„Ich wusste, dass du kommen würdest.", sagte Thomas und ich sah beschämt weg. Denn wie nah war ich heute daran gewesen nicht zu kommen, sondern ihn einfach zu vergessen?
„Ja." Zumindest wirkte meine Stimme fester, als vorhin.
„Komm rein, wir müssen nicht hier draußen stehen bleiben.", erklärte er und zog mich an meinem Arm hinein in seine gemütliche, warme Wohnung.
Irgendwie schaffte ich mich aus seinem Griff zu lösen und mich soweit zu beruhigen, sodass ich sicher war ihn nicht gleich wieder in seine Arme zu stürzen.
„Warum hast du mich belogen?!", fragte ich, doch ich konnte nicht verhindern das Anklagende aus meiner Stimme zu filtern.
Thomas sah mich geschockt an. Eine Blässe die rein Garnichts mit Krankheit zu tun hatte, kroch über sein Gesicht. „W...was?"
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du krank bist? Warum hast du mich belogen?! Warum hast du nicht von Anfang an alle Karten auf den Tisch gelegt? Warum musste ich es so erfahren? Warum muss ich mich erst in dich verlieben, bis du mir das Herz brichst?!"
Thomas stützte sich an der Kommode neben ihm ab. „Nadiya-"
„Nein! Nicht, Nadiya! Sag mir endlich die Wahrheit!", fuhr ich ihn wieder an. Ich spürte wie die mühsam zurückgehaltenen Tränen ihren Weg herausgefunden hatten und jetzt meine gesamten Wangen bedeckten.
Es vergingen einige Sekunden, bevor Thomas antwortete. „Ich wollte es dir sagen. Zuerst bei unserem ersten Treffen. Aber es war alles irgendwie so perfekt und ich...wollte das nicht kaputt machen. Dann habe ich mir vorgenommen es dir bei unserem ersten Date zu sagen, aber da konnte ich nicht. Und später" er schloss die Augen und ein melancholischer Ausdruck kroch über sein Gesicht, „da hatte ich Angst. Ich hatte so viel Angst dich zu verlieren."
Er starrte mich an und ich konnte in seinem Blick sehen wie viel ihm das Gespräch abverlangte. „Ich wollte es einfach nur vergessen. Ich wollte einfach nur Leben. Mit dir."
Ich brauchte einen Moment, um wieder klar denken zu können und die Frage zu stellen, die mich eigentlich hergebracht hatte. „Wie lange hast du noch?"
Thomas schluckte. „Etwa ein Jahr."
Ich nickte, doch seine Antwort half mir nicht das geringste bisschen. Ein Jahr. Ein verdammtes Jahr.
„Meine Mutter ist an Bauspeicheldrüsenkrebs gestorben. Zu dem Zeitpunkt bin ich gerade 18 geworden. Gerade alt genug, um nicht in das Pflegekind-System zu rutschen, aber auch nicht alt genug um ohne Eltern klarzukommen." Ich schnaubte, wie um mich selbst zu verspotten.
„Sie ist über Jahre hinweg dahingesiecht. Ich habe mich in jeder freien Minute um sie gekümmert. Ich habe sie gewaschen, für sie gekocht, Geld verdient. An manchen Tagen, da wollte ich einfach nur, dass es aufhört. Aber als meine Maman dann gestorben ist, dann habe ich mich nicht das kleinste bisschen besser gefühlt. Ich habe mich dafür gehasst, unsere Zeit nicht besser genutzt zu haben und dafür nicht dankbarer zu sein, dass ich sie so lange hatte."
Die Tränen flossen wie in Strömen über meine Wangen und ich konnte kaum noch sprechen. „Als ich deine Tabletten gesehen habe, da habe ich gewusst, dass etwas nicht stimmt. Aber ich wollte einfach nur noch ein bisschen Glücklich sein."
„Und dann bin ich zusammengebrochen.", ergänzte Thomas still und ich nickte.
„Ich wünschte ich könnte sagen, dass das hier nicht für mich ändert, aber...aber ich kann das nicht noch einmal durchmachen. Ich kann nicht! Verstehst du? Ich habe schon jemanden auf diese Art und Weise verloren und ich kann-"
Ein Lauter Schluchzer löste sich aus meiner Kehle und ich knickte ein. Meine Knie krachten auf den Boden und meine Hände bedeckten mein Gesicht.
Eine warme Hand strich übe meinen Rücken und ich fühlte wie er seine Arme um mich legte. „Ich liebe dich. Und ich hasse dich. Ich hasse dich so sehr.", flüsterte ich.
„Ich weiß. Es tut mir leid."
Ich riss den Kopf in die Höhe. „Es tut dir leid? Es tut dir jetzt leid?! Du hättest uns beiden eine Menge Schmerzen ersparen können, wenn du es mir einfach gesagt hättest!"
Traurigkeit und Wut vermischten sich, bis ich glaubte ich würde unter dem immensen Druck in meinem Inneren explodieren müssen. Es war einfach zu viel. Zu viel.
„Glaubst du ich hab mir ausgesucht mich in dich zu verlieben?! Oder dass ausgerechnet du ein furchtbar sturköpfiger Mensch bis, der die Leute lieber auf Abstand hält, als sie zu sehr an sich heranzulassen?! Dass ich dich einfach nicht verlieren wollte?! Das Herz lässt einem keine Wahl, wenn es um die Liebe geht"
Ich löste mich aus seiner bedeutungslosen Umarmung und rrappelte mich hoch. „Man hat immer eine Wahl. Und du hast die falsche getroffen."
Ehe ich es mir anders überlegen konnte, oder auf die dumme Idee kommen konnte mich doch noch einmal in sThomas Arme schließen zu lassen, verließ ich fluchtartig seine Wohung. Und diesmal, so sagte ich mir, würde es das letzte Mal sein.
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
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The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?
Chick-LitIst Liebe stärker als die Angst? Nach dem Verlust ihrer Mutter hat Nadiya Lacroix nur ein Ziel - ihr Studium am University College London beenden und einen Job als Psychologin bekommen. Und natürlich die Schulden bei ihrem Vater begleichen. Liebe ha...