Manchmal fragte ich mich, wofür mich das Leben so bestrafen wollte. Warum musste ich das ganze Trauma, dass ich mit der Krankheit meiner Mutter davongetragen hatte, nochmals durchleben. „Dieser Mistkerl! Er hätte zumindest etwas sagen müssen!", entfuhr es Zoe und drückte mich heftiger an sich.
Ein weiterer Tränenschwall lief mir über die Wangen. „Ich kann das nicht nochmal durchmachen! Ich kann nicht!", schluchzte ich. „Da finde ich mal einen Typen und dann-" Eine unsichtbare Hand drückte mir die Kehle zu und hinderte mich am Weitersprechen.
Aber es war nicht der Fakt das Thomas vielleicht sterbenskrank war, es war die Ungewissheit das sich wie ein Geschwür ausbreitete und sämtliche ihrer Gedanken infizierte. Ich schien an nichts anderes mehr denken zu können.
Drei Tage vergangen, seitdem Thomas zusammengebrochen war. Drei Tage. Drei verdammte Tage. Ich hatte ihn am nächsten Tag bestimmt 50-mal angerufen in der Hoffnung, dass es eine Erklärung gab, die keinen Tod beinhaltete. Doch keine Reaktion. Gestern Mittag hatte ich es schließlich aufgegeben.
Einziges Überbleibsel waren Thomas Tabletten, die auf meinem Schreibtisch standen und ich war mehr als einmal versucht gewesen mir die ganze Dose Pillen einfach reinzuschütten, um den Schmerz zu betäuben, doch Zoe hatte mich in den letzten Tagen mehr als einmal von Abgrund zurückgezerrt.
Gerade saßen wir auf der Couch und ich war beim Schreiben einiger E-Mails an meine Professoren, dass ich für die nächsten Wochen nicht den Unterricht besuchen würde, in Tränen ausgebrochen. Schon wieder.
Meine Nase befand sich in einem Dauerzustand der Verstopftheit und Taschentücher lagen wie übergroße Schneeflocken im Raum verteilt. Mein Hals fühlte sich an als hätte ich einen Baseball verschluckt und meine Augen nach zu urteilen war gerade Pollensaison. Kurz gesagt: Ich sah scheiße aus und fühlte mich auch genauso.
Das Brummen meines Black Berrys holte mich aus meinen Gedanken und mein Blick fixierte sich auf den leuchtenden Bildschirm, der mir eine neue Nachricht anzeigte. Ich war scheinbar süchtig nach neuem Schmerz, denn ohne groß Nachzudenken drückte ich auf die Nachricht und wappnete mich für das Schlimmste.
Thomas sagt, ich soll dir schreiben. Ihm geht es gut, mach dir keine Sorgen.
Dann noch ein Brummen und eine weitere Nachricht leuchtete im Chat auf.
Sorry für meinen Ton letzte Woche, ich kann es nur nicht leiden, wenn sich fremde Leute in unser Leben einmischen.
Ich wusste nicht, welcher Teil mein Herz dazu brachte wie ein wild gewordenes Tier in meiner Brust zu klopfen. Dass Thomas seine Schwester gebeten hatte MIR zu schreiben? Dass es ihm „gut" ging? Oder dass mich jeder Gedanke automatisch zu dem Schluss brachte, dass es Thomas ganz und gar nicht gut ging.
Ich saß bereits einige Minuten vor meinem Handy, als Zoes vertrautes Gesicht in der Tür erschien und mich besorgt musterte. „Hat er sich gemeldet?"
„Seine Schwester.", antwortete ich mit kratziger Stimme. „Es geht ihm gut, sagt sie."
„Aber das glaubst du nicht.", schlussfolgerte Zoe aus meinem Gesichtsausdruck.
„Ich will es glauben, Zoe, ich will das es Thomas gut geht aber...", ich schloss für einen Moment die Augen, um die Tränen zurückzuhalten, „er hatte diese ganzen Medikamente bei sich. Er ist bei unserem letzten Date zusammengebrochen, und beim ersten ist er gar nicht erst erschienen. Und seine mysteriöse Migräne..." Ich rang nach Atem. „Ich will es glauben, Zoe, so sehr! Aber ich weiß, dass das nur Schönrederei wäre."
Zoe sah mich mit einem undurchdringlichen Blick an. „Und was willst du jetzt tun? Ihn zur Rede stellen? Ihn ignorieren?"
„Ich...ich weiß es nicht.", erwiderte ich und mein Blick glitt zum Display. „Ich weiß nur, dass ich das alles nicht nochmal durchmachen kann! Nicht, nachdem was mit meiner Mutter war."
„Weißt du was ich glaube, Naya, du hast den Typen wirklich gerne und wenn man jemanden wirklich gerne hat, dann steht man ihm bei. Egal was. Ich denke du solltest seiner Schwester schreiben, frag sie, ob du ihn besuchen kannst, frag-"
„Was verstehst du daran eigentlich nicht?! Ich KANN nicht!", entfuhr es mir, in einem Gemisch aus einem verzweifelten Schrei und einem Schluchzen. „Ich bin in Thomas verliebt und genau deswegen kann ich das nicht! Ich habe meiner Mutter beim Sterben zugesehen – meiner Mutter! Ich habe mich jeden Tag gefühlt als würde mir jemand das Herz aus der Brust reißen und als sie gestorben ist, war da nurmehr dieser leere Fleck! Und jetzt erwartest du von mir, dass ich das alles beiseiteschiebe um dass alles nochmal auszuhalten?!"
Zoes Gesicht hatte sich verzerrt und ihr Blick war fester geworden. „Und jetzt denkst du, es wäre besser ihn in seinem Leid einfach allein zu lassen? Was glaubst du denn wie es ihm geht? Wird ihm nicht auch täglich das Herz gebrochen, bei dem Gedanken, dass er vielleicht bald sterben wird? Und falls er nicht sterben wird, denkst du nicht, dass es helfen würde, wenn du einfach nur zu ihn gehst und ihm sagts, dass du ihn nicht verlassen wirst?"
Ich sah sie fassungslos an. „Hast du mir gerade überhaupt zugehört?!", fuhr ich sie an.
„Ja, und alles was ich höre sind die Klagen eines Mädchens, dass ihre Mutter zu früh verloren hat und dass sich jetzt aus Angst vor einem weiteren Verlust wie ein Feigling zurückzieht!"
Wie ein Fausthieb trafen mich ihre Worte und wäre ich nicht auf unserem Sofa gesessen, wäre ich wohl unter der Kraft ihrer Worte zurückgetaumelt. „Dass...dass meinst du nicht erst."
Doch Zoes Blick sagte alles. Ich stieß keuchend die Luft aus und stieg vom Sofa auf. „Ich, ich glaube es ist besser, wenn ich gehe."
Vielleicht hatte ich gehofft, dass Zoe mich aufhielt, mir sagte, dass sie alles zurücknahm, doch sosehr ich auch hoffte, stand ich wenige Momente draußen in der Kälte. Allein.
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The Way of our Hearts - Ist Liebe Stärker als die Angst?
Chick-LitIst Liebe stärker als die Angst? Nach dem Verlust ihrer Mutter hat Nadiya Lacroix nur ein Ziel - ihr Studium am University College London beenden und einen Job als Psychologin bekommen. Und natürlich die Schulden bei ihrem Vater begleichen. Liebe ha...