Kapitel 76

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Traurig starrte Tae seinem Mann hinterher und fühlte sich in seiner Haut gerade so gar nicht wohl. Es fühlte sich fremd an derjenige zu sein, der zuschaute wie der Liebste ins Flugzeug stieg - und warum?

Seine Trauer wurde langsam von einem stärkeren Gefühl überschattet, welches ebenfalls seit einiger Zeit in ihm wütete, aber noch keine Chance hatte nach oben zu kommen - Wut.

Warum fühlte er sich Schuldig? Er war doch nur ein klitzekleiner Teil von dem Problem.

Alle die ihn gerade beobachteten waren mit Schuld daran, dass es so abgelaufen war und wahrscheinlich wussten sie es noch nicht mal - oder hatten das Gefühl, dass sie nichts falsch gemacht hatten. Nannte man sowas nicht Realitätsverlust oder sich selbst Belügen, damit man sich besser fühlte?

Wütend drehte er sich um, blickte einmal in die Runde und sah jeden von seiner Crew abschätzig an. Bevor er aber etwas sagen konnte spürte er neben sich bereits seinen Bruder, der ihm beruhigend die Hand auf die Schulter gelegt hatte. Auch Yoongi kam auf ihn zu und stellte sich direkt vor ihn, damit er den Blicken der anderen nicht mehr ganz ausgeliefert war - funktionierte zwar nur minimal, weil Yoongi kleiner war als Tae, aber der Wille zählt ja bekanntlich.

"Überleg dir jetzt genau, was du machst", kam flüsternd von Namjoon. "Die Leute um uns haben in den letzten Tagen nicht ihre beste Seite gezeigt und du musst nach der Tour auch nichts mehr mit ihnen zu tun haben - aber jetzt bist du auf sie angewiesen. Sie können beeinflussen, ob diese letzte Tour vor deiner Pause gigantisch wird oder nur auf Sparflamme läuft."

Schnaubend antwortete er auf das, was Namjoon sagte. Es gefiel ihm nicht und zuerst wollte er es auch ignorieren - wollte ihnen an den Kopf werfen, was sie für engstirnige oberflächliche Vollpfosten waren - aber um so länger er diese Worte durch seinen Kopf wandern ließ, um so mehr verstand er sie. 

Fest ballte er seine Fäuste und hatte gerade das Gefühl, dass er zwischen Pest und Cholera wählen musste. Mit keinem davon war er zufrieden. 

Das war nicht er, der sich zusammenriss und gute Miene zum bösem Spiel machte. Es wirkte Falsch sie an seiner Seite zu haben. Er fühlte sich verraten. Von seinen eigenen Kollegen, von Leuten mit denen er sich eigentlich bisher immer gut verstanden hatte. 

"Durchatmen, TaeTae", erhob nun auch Yoongi die Stimme und griff nach einer seiner Fäuste. "Ich weiß, wie du dich fühlst und wenn du willst, dann mach ich sie platt - wenn du aber das Gefühl hast, dass das nicht die Genugtuung ist, die du brauchst, dann denk ich gerne mit darüber nach, was stattdessen getan werden könnte, ok?"

"Das hört sich doch gut an", drang wieder Namjoons Stimme zu ihm durch. "Nachdenken und dann handeln. Findest du nicht auch, Tae?"

Nein, fand er gar nicht.

Wütend, aber noch ruhig genug, ließ er langsam seinen Blick zu seinem Bruder wandern, der ihn fragend und besorgt anschaute. Dessen Haltung sagte klar: Wenn du jetzt austickst, halt ich dich davon ab. 

"Ich bin damit nicht einverstanden", presste er zwischen seinen Zähnen durch. "Die hätten mehr verdient, als Schweigen. Irgendjemand davon ist zu Sejin gegangen und hat gesagt, dass ich meine Arbeit nicht richtig machen und Jungkook mich ablenken würde. Die sind mir in den Rücken gefallen und haben meinen Mann mies behandelt. Ich will mehr machen. Ich will... GLOTZT NICHT SO!", schrie er ihrem Publikum entgegen. 

"Konzentriert euch lieber auf euch und eure scheiß Charaktereigenschaften! Die müsstet ihr in letzter Zeit besser kennengelernt haben, denn es war das einzige, was ihr meinem Mann entgegen gebracht habt!" Leiser flüsterte er noch "Wichser" hinzu, aber das war nur für seine Ohren bestimmt. 

"Tae, jetzt bekomm dich mal wieder ein. Dein Mann ist nicht Mittelpunkt der Welt...", setzt der Jüngste von ihnen an und drückte sich durch die Menge nach vorne. 

"Er ist aber meiner!", schrie Tae zurück und Tränen traten ihm in die Augen. "Mein Mittelpunkt und ihr habt ihn behandelt, als ob er nur ein Dreckfleck auf eurer Brille ist. Warum macht man sowas? Warum geht man mit Menschen so scheiße um?"

"Verdammt Tae, wir waren überrascht. Ja, du hast uns erzählt, dass du einen Freund hast usw., aber wir dachten, dass du uns damit auf Abstand halten möchtest. Wir haben ihn in all den Jahren nie zu Gesicht bekommen und plötzlich taucht er auf, klammert sich wie ein verlorenes Reh an deinen Arm und wir sollen ihn mit offenen Armen empfangen? Vergiss es. Auch wir haben das Recht auf etwas Skepsis und eine Aufwärmphase", brachte einer ihrer ältesten Choreographen raus und haute Tae damit völlig aus den Socken.

Hatten die echt geglaubt, dass er lügt? All die Jahre, hatten sie ihn darin nie ernst genommen. 

"Glaubst du echt - glaubt IHR echt - dass ich mich einfach nicht getraut habe "Nein" zu Annäherungsversuchen zu sagen und deswegen einen Freund erfunden habe? Habt ihr zu viele Fanfiction gelesen oder seit ihr mit solchen wirren Gedankengängen auf die Welt gekommen?"

"Übertreib nicht", erhob ein anderer Tänzer das Wort. "Die Frage könnten wir auch dir stellen. Warum hast du uns ihn nie vorgestellt? Warum hast du so ein Geheimnis daraus gemacht? Ich glaub nicht, dass es hier jemanden gibt, der dir was böses will und ganz sicher auch nicht deinem Mann. Warum also lernen wir ihn erst jetzt - nach 5 Jahren - kennen?"

"Du hast Recht. Ich bin niemand, der gut Vertrauen kann, aber das beruht auch auf Erfahrung. Es gibt genug kranke Menschen und warum nicht unter euch? Ich kenn euch von der Arbeit und ab und zu von Partys, aber mehr auch nicht. Da kann man viel vortäuschen. Gute Schauspieler sind in unserer Branche nicht selten."

"Das ist doch..." Kopfschütteln ging durch die Gruppe und sofort wurde es lauter im Wartebereich. Einige fingen an miteinander zu tuscheln und die bösen Blicke konnte Tae überall auf sich spüren. War ihm aber gerade egal. Er fühlte sich absolut im Recht.

"Ok, jetzt beruhigen wir uns alle mal", unterbrach Sejin das Getuschel und ließ somit alle Schweigen. "Tae, ist wütend und ihr seit verletzt von seiner Ansicht - verständlich. Jetzt müssen wir nur schauen, dass wir hier zu einem gemeinsamen Nenner kommen."

"Wie denn? ER hat uns doch schon verurteilt!", kam es laut aus der Menge und sofort stimmten ihm einige zu.

"Schön, dass ihr jetzt auch mal fühlt, was Jungkook gefühlt hat", setzte Tae noch eins drauf und sofort wurde es wieder lauter.

"Stop, so geht das nicht. Wir werden hier nicht fertig, wenn einer dem anderen die Schuld zu wirft. Ihr habt Recht: Tae hätte es nicht so lange verheimlichen sollen, aber ihr habt nicht das Recht ihn deswegen anzuklagen. Das ist seine eigene Entscheidung gewesen und zu eurem Verhalten: Wenn Tae Jungkook für sich ausgesucht hat, dann kann er nicht schlecht sein, oder?"

Unangenehme Stille kam auf, die von einer jungen Frau unterbrochen wurde, die ihnen bekannt gab, dass sie in ihren Flieger steigen konnten. Sofort kam Aufbruchsstimmung auf, auch wenn es diesmal etwas ruhig zu ging.

"Hey, bevor wir jetzt los starten", setzte Sejin nochmal an, "wenn das Flugzeug landet, werden WIR dieses Gespräch weiter führen, klar?"

Ein Stöhnen ging durch die Menge, aber niemand schien Sejin widersprechen zu wollen. 

"Ich hab gar keine Lust auf klärende Gespräche", flüsterte Tae Yoongi zu, der ihn nur schief angrinste.

"Musst ja nicht zuhören", kam sofort zurück.

Wo er Recht hat, hat er Recht.


Liebster! - TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt