NEUNZEHN

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Jisung PoV:

Nachdem der Andere das Becken bereits verlassen hat und Minho nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch nicht aus dem Wasser auftaucht, springe ich ohne zu zögern hinter ihm her ins Becken hinein. Hat er das Bewusstsein verloren oder wieso bleibt er solange unter Wasser? Selber etwas in Panik versuche ich zwanghaft meine Augen in dem Wasser zu öffnen und lasse meine Hände suchend umherwandern. Der Pool ist nicht sonderlich groß, er muss hier doch irgendwo sein.

Als ich schließlich etwas Stoff zwischen meinen Fingern zu spüren bekomme, ziehe ich mich kurzerhand an ihn heran, woraufhin unsere Köpfe beinahe aneinanderstoßen. Doch anstatt mit ihm aufzutauchen, verharren wir für einen Augenblick in dieser Position und sehen uns gegenseitig in die Augen. Und was ich dort zusehen bekomme, würde mir auf der Stelle den Atem verschlagen, wenn wir uns nicht bereits unter Wasser befinden würden. Sein Blick ist vollkommen erfüllt von Angst und Panik. Eine Emotion, die ich so nie von ihm erwartet hätte.

Mit Bedacht ihn nicht noch weiter unter Wasser zu ziehen, greife ich nun auch mit der anderen Hand nach ihm, bevor ich ihn schließlich zur Wasseroberfläche hinaufziehe. „Hab dich." Selber ziemlich außer Atem schwimme ich mit ihm in den Armen zum Rand hinüber, wo ich auch langsam den Boden unter meinen Füßen zu spüren bekomme. „Alles gut, du kannst hier stehen." Während Minho mich immer noch völlig entgeistert anstarrt und sich unter Wasser weiter an mich heran klammert, lasse ich meinen Blick unauffällig umher wandern. Die Leute hier starren uns alle an.

„Minho, du kannst mich jetzt loslassen. Die gucken alle schon so." Leise murmelnd lege ich meine Hände vorsichtig auf die von ihm, bevor ich seinen Griff allmählich von mir löse. Doch irgendwie macht er auf mich nicht den Eindruck, als würde er mich überhaupt hören. Er starrt mich immer noch mit diesem komischen Blick an. „Jetzt lass uns endlich aus dem Wasser rausgehen. Es wird kalt." Ohne möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen lege ich seine Hände neben uns auf die Leiter, bevor ich ihn am Hintern zu dieser hinüberschiebe. Normalerweise würde er mir jetzt wahrscheinlich eine verpassen, aber es geht gerade nicht anders. Wir sollten so schnell es geht aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit verschwinden und das so unauffällig wie möglich.

„Ich bin direkt hinter dir. Es wird alles gut." Nach einer gefühlten Ewigkeit zieht er sich nun endlich selber an der Leiter hoch, weshalb ich ihm weiter aufmunternde Worte zuflüstere. Was auch immer gerade passiert ist, er hatte wahnsinnige Angst. Und so unauffällig wir uns auch verhalten sollen, ich kann ihn in dieser Situation nicht einfach alleine lassen. Vor allem, weil sein Freund anscheinend mit diesem ekelhaften Typen verschwunden ist. Insgeheim hoffe ich ja, dass er sie für das alles bezahlen lässt. Mich können sie meinetwegen ärgern, aber sie sollen ihre Finger von Minho lassen.

„Ist wieder alles in Ordnung?" Sichtlich besorgt mustere ich den Älteren auffällig von oben bis unten, als dieser auf einmal nach meiner Hand greift und mich mit sich zieht. „Ey, was hast du vor?" Ohne mir eine Antwort auf meine Frage zu geben, zieht er mich weiter mit ins Haus hinein und die Treppen hinauf in den noch privaten Bereich der Veranstaltung. „Jetzt warte doch mal. Dürfen wir hier überhaupt hin? Ich will keinen Ärger bekommen."

„Meinst du das interessiert mich? Changbin gehört das Haus und ich war hier schon unzählige Male. Also mach dir keine Sorgen." Ohne seinen Griff von mir zu lösen, zerrt er mich weiter mit in einen der Räume hinein, wobei ich ihm nur total überfordert folge. Der alte Minho scheint wieder zurückgekehrt zu sein. „Hier haben wir wenigstens unsere Ruhe. Außerdem sollten wir uns besser abtrocknen. Ich möchte nicht, dass du krank wirst." Ist das gerade wirklich seine größte Sorge?

„Sag mal, was war eigentlich gerade los mit dir im Wasser?" Frage ich immer noch etwas besorgt nach, woraufhin er eine der Schranktüren öffnet und mir ein zusammengefaltetes Handtuch in die Hände drückt. „Das geht dich nichts an." „Und wie mich das etwas angeht. Du wärst meinetwegen fast ertrunken, wenn ich dich nicht aus dem Wasser gezogen hätte." Es zu leugnen wird ihm nichts bringen. Ich habe es schließlich mit eigenen Augen gesehen. „Es war nicht deine Schuld." „Lenk nicht vom Thema ab." Er tut es schon wieder. Immer wenn es um ihn geht, blockt er mich ab.

„Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die Bremsen wurden manipuliert und das Auto ist von der Straße abgekommen. Ich war damals noch sehr klein, aber diejenigen die mich gefunden haben, meinten meine Eltern hätten mich durch einen Spalt im Fenster nach draußen geworfen, bevor das Auto untergegangen ist. Sie waren nicht in der Lage sich selber zu befreien und es sei ein Wunder gewesen, dass ich diesen Unfall überlebt habe. Seitdem habe ich fürchterliche Angst vor Wasser." Mit dem Blick zum Boden gerichtet, lässt Minho sich langsam auf das Bett hinter sich nieder und hält dabei sein Handtuch krampfhaft fest. „Ich weiß nicht, was dir das bringen soll, aber jetzt kennst du die Geschichte. Das alles ist auch der Grund dafür, dass ich Dinge tue, die ich eigentlich nicht leiden kann. Irgendwann werde ich ihren Tod rächen."

„Das tut mir leid.." Sprachlos lasse ich mich zögerlich neben ihm auf die Bettkante nieder und lege meine Hand behutsam auf seine. „Mein Vater ist damals an Krebs gestorben. Es lässt sich nicht vergleichen, aber ich glaube ich kann verstehen, wie du dich fühlst." Doch entgegen meiner Erwartung lässt Minho auf einmal seinen Kopf auf meine Schulter fallen, weshalb ich für einen Augenblick innehalte. „Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr. Es ist mir alles zu anstrengend. Ich schaffe es nicht einmal die Dinge zu beschützen, die mir am Herzen liegen und du glaubst mir nicht, wie fürchterlich weh das tut."

***
Ein Medaille hat immer zwei Seiten

Darkness // MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt