Sprünge ...

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Der Stier ist ziemlich klein, hat kurze, aber spitze Hörner und dicke Stirnlocken, unter denen die großen Augen vor Wut funkeln

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Der Stier ist ziemlich klein, hat kurze, aber spitze Hörner und dicke Stirnlocken, unter denen die großen Augen vor Wut funkeln. Er stürmt schnaubend auf den Platz, stampft mit den Hufen und sieht sich zornig um. Nicht gerade das, was man sich für einen Stiersprung wünscht.

Der Blick des Stieres fällt auf mich, aber er wendet sich ab. Ich bin ihm zu nahe für einen ordentlichen Anlauf und die Diskrepanz zwischen meiner Hornspannweite und seiner lässt ihn vorsichtig werden. Seine Wut ist aber nicht verraucht; er sucht sich nur ein leichteres Opfer.

Ikar flattert nervös mit den Flügeln. Ob es das ist oder der Umstand, dass sie rot sind, weiß ich nicht. Jedenfalls visiert der Stier ausgerechnet Ikar an und rennt los.

Wir erschrecken alle. Nach mir ist Ikaros der größte von uns und er ist noch mit den gewaltigen Flügeln belastet. Dieser kleine, wenn auch äußerst rabiate Stier wird ihn auf keinen Fall über sich schleudern können, egal, wie stark sich Ikar abstößt.

Plötzlich rennt Laus los. Er war seitlich vom Stier positioniert und läuft nun auf einer schrägen Linie auf das Tier zu. Lange, bevor der Bulle Ikar erreicht hat, kommt Laus von der Seite, packt zuerst das linke Horn und schwingt sich hoch. Der verdutzte Stier hält einen Moment inne, reißt dann aber empört den Kopf hoch und zur Seite. Laus hat inzwischen auch das rechte Horn gefasst, wird aber dennoch in einer seltsamen Drehbewegung über den Stier geschleudert. Er wirbelt gleichzeitig kopfunter und um seine eigene Achse, schafft es dennoch irgendwie, mit den ausgestreckten Händen auf dem Rücken des rasenden Tiers zu landen. Momentelang bleibt er im seitlichen Handstand stehen, also mit dem Gesicht zur Flanke des Stieres statt zu seinem Schädel. Dann stößt er sich kräftig ab und schlägt einen hohen Anderthalbsalto, immer noch um sich selbst drehend. Er landet im Sand auf beiden Füßen, knickt aber unter der Wucht seines Aufpralls ein. So posiert er unabsichtlich vor dem versammelten Volk, auf ein Knie gesunken, aber mit aufrechtem Rücken und ausgebreiteten Armen. Ganz wie ein Akrobat, der auf den Beifall wartet.

Der kommt auch umgehend. Nach einer Schrecksekunde, in der die Menschen das Gesehene verarbeiten, bricht ein gewaltiger Jubel los, der nicht nur den Stier, sondern auch Laus völlig verwirrt. Was meine kleiner Bruder da vorgeführt hat, war alles andere als der klassische Sprung. Aber es war eine sportliche Meisterleistung. Und so ganz nebenbei hat er Ikar gerettet.

Ich sehe zu Minos' Balkon. Pasiphaes Gesicht nimmt allmählich wieder Farbe an, Xenodike schlägt wütend auf den Arm ein, den Minos viel zu fest um sie gelegt hat, Katreus' Lippen sind blutig gebissen. Nur Deukalion sieht eher gelangweilt drein.

Rasch wende ich mich wieder dem Bullen zu. Der hat sich wieder gefangen und rennt erneut los. Zum Glück nicht auf Ikar, sondern auf Fee. Die schließt einen Moment die Augen, reißt sie auf mein gebrülltes: „Guck hin, was du machst!" gleich wieder auf und fixiert das anstürmende Tier. Voller Konzentration greift sie im rechten Moment nach den Hörnern, lässt sich hochschleudern und landet etwas wacklig auf dem Rücken des Stieres, der stehengeblieben ist und sich wütend nach ihr umwendet. Bevor er sie abwerfen kann, stößt sie sich ab, wirbelt herum und genau in meine Arme.

Unstern unter der Sonne ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt