Kapitel 6

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Als Steven die Tür zu Annas Zimmer öffnete, lag Anna tatsächlich noch im Bett und das Tablett mit dem Frühstück war leer. Er kam leise näher, betrachtete Anna. Sie ist wirklich eine Schönheit, dachte Steven; ihre Haut war schön, die Lippen von natürlichem Rosa. Die Konturen ihres Gesichtes, makellos, geradezu perfekt. Anna hatte ein Aussehen von welchem die anderen Mädchen nur träumen konnten. Sie war das schönste Mädchen das Steven seit langer Zeit gesehen hatte. Kein Wunder, dass sich jeder in sie verliebte: Wenn man bedachte, dass sie noch nicht einmal erwachsen ist, dachte Steven, wird sie von Tag zu Tag hübscher. Er lächelte, legte die Bücher, die er für sie mitgenommen hatte auf den Nachttisch, nahm das Tablett und ging wieder hinaus. Steven ging zur Küche hinunter, liess das Tablett dort liegen und ging wieder nach oben. Bei der Bibliothek öffnete er die Tür und ging hinein. Bors war da, er hörte sich die Symphonie Nr. 5 von Beethoven an. Während er sich über ein paar Papiere beugte, tippte er mit dem Schuh den Takt. Steven lächelte, das war die Musik für Bors, dieses stürmische, geniale Stück passte einfach zu ihm. Bors bemerkte ihn, lächelte und winkte ihn zu sich heran.
„Gut, dass du kommst Steven.", sagte Bors im geschäftlichen Ton. „Da sind ein paar Adelige, die du unbedingt kennen lernen musst, natürlich nur vom Namen her. Und hier unser Familienstammbaum den du auf jeden Fall kennen solltest!"
Er gab den ganzen Papierkram Steven, dieser schnitt eine hässliche Grimasse, die natürlich Bors mitbekam.
„Mach keine solchen Grimassen! Du durftest deine Ausbildung zum Arzt machen, jetzt musst du auch deinen Anteil bringen!", tadelte Bors ernsthaft. „Ausserdem ist es Zeit, dass du langsam das Amt kennenlernst, das du später ausführen wirst."
„Ich weiss, Bors.", erwiderte Steven. „Ich werde dich nicht enttäuschen, nur diese Kleinigkeiten ärgern mich."
„Ich weiss, die haben mich am Anfang auch geärgert!", sagte Bors schmunzelnd. „Aber es ist an der Zeit, dass du dich etwas mit dem Familiengeschäft auseinandersetzt, für das Amt das du eines Tages erben wirst!"
„Ja, du hast recht.", sagte Steven fügsam und schaute sich die Papiere an. „Dann werde ich mich mal an die Arbeit machen!"
Steven nahm die Papiere und verabschiedete sich von Bors und ging aus der Bibliothek. Verdammt, dachte Steven, ich wollte eigentlich nur ein Buch nehmen und ganz entspannt lesen und jetzt darf ich so etwas Beschissenes auswendig lernen. Echt super! Er grummelte noch eine Weile vor sich her, bis er sein Zimmer erreicht hatte. Er liess sich auf einen Sessel in der Nähe des Fensters fallen und begann sich die Gesichter von Grafen, Lords und Ladys einzuprägen.



Warme Sonnenstrahlen fielen auf Annas Gesicht. Langsam öffnete sie ihre Augen und für den ersten Augenblick war das Zimmer traumhaft. Bis es Anna in den Sinn kam, dass es ein wahrer Alptraum ist. Man merkt es nicht immer im gleichen Augenblick, bis man wirklich wach ist, dass alles nur Fassade ist, die ganz langsam anfängt zu bröckeln, wenn man mittendrin ist. So mittendrin, dass man es sich kaum vorstellen kann. Wenn Anna einen wahren Alptraum hätte, würde er mit höchster Wahrscheinlichkeit genauso anfangen. Sie stand auf und ging zum Fenster und schaute zum Garten hinaus. So ein wunderschöner Garten passt nicht hierher, dachte Anna, er passt nicht zu dieser ganzen Gewalt, die in diesem Haus herrscht. Sie hörte wie die Türe aufging und drehte sich um. In der Türrahmen stand Bors. Sie schauten sich lange an, dann schloss Bors die Tür hinter sich zu.
„Hallo Anna.", grüsste Bors sanft und mit charmantem Lächeln, Anna entgegnete nichts.
„Eigentlich wollte ich schon gestern zu dir, aber Steven sagte du wärst noch im Bad.", begann Bors, seine Stimme war weiterhin sanft und schaute sie dabei genau an. „Und da er dir ja versprochen hatte, dass niemand hinein kommt, konnte ich nicht zulassen, dass er dieses Versprechen bricht!"
Er lächelte dabei so mit einem Engelsgesicht, dass wohl jede Frau hereingefallen wäre. Doch Anna wusste genau was er zu Steven gesagt hatte. Elender Lügner, verfluchte sie ihn in ihren Gedanken.
„Verzeih mir dieses kleine Zimmer, es ist nur vorübergehend.", meinte er, zeigte auf den Raum und kam dabei langsam auf sie zu. „Aber unser Haus ist noch nicht ganz fertig. Noch ein paar Einzelheiten und dann ist es perfekt und beziehbar."
Jetzt war er schon fast bei ihr.
„Wir haben dann eine wunderschöne grosse Suite!", sagte Bors begeistert, der davon Feuer und Flamme war, bei Anna bescherte ein gemeinsames wohnen mit ihm eher Übelkeit. Nun war er bei ihr. Sie war kein Schritt gewichen, was so oder so nicht möglich gewesen wäre, da sie der Wand sehr nah war. Nur keine Angst zeigen! Nur keine Angst zeigen, dachte sich Anna. Bors schaute sie mit einem durchdringenden Blick an.
„Du bist eine wunderschöne Frau, Anna.", flüsterte Bors. „Einen Krieg wert! Jetzt verstehe ich den Trojanischen Krieg viel besser!"
Er lachte leise. Langsam kam sein Gesicht ihrem näher. Anna war wie versteinert, ihr ganzer Körper war wie auf Pause gedrückt worden. Nein, nein, nein, dachte Anna, verliere nicht die Kontrolle. Dann sah sie wie seine Hand sich hob und sich um ihren Nacken legen wollte. NEIN! dachte Anna, sie machte einen Schritt nach hinten und stiess sich Bors vom Leibe.
„Fass mich nicht an!", zischte sie wütend. Bors funkelte sie böse an und ehe sie sich versah, pfefferte er ihr eine deftige Ohrfeige entgegen. Anna fiel hin und glaubte tatsächlich Sterne zu sehen. Sie hatte das Gefühl, auf einer Gesichtshälfte taub zu sein, aber sie musste sich irren. Sie rappelte sich mühsam hoch und merkte, dass ihre Lippen wieder aufgeplatzt waren. Bors stiess Anna an die Wand. Sie keuchte vor Schmerz auf, als ihr verwundeter Rücken die Wand traf.
„Ich mag es nicht zurückgewiesen zu werden!", zischte er wütend.
„Und ich mag es nicht entführt zu werden!", entgegnete Anna genauso wütend und stiess Bors erneut zurück. Wutentbrannt schlug ihr Bors seine Faust ins Gesicht. Anna fiel über den Sessel und fiel zu Boden. Sie versuchte aufzustehen, aber alles drehte sich und ihr wurde schwarz vor ihren Augen.



„Oh mein Gott!", hörte Anna jemand rufen. „Was ist passiert?"
Die Stimme drang an Annas Ohr, konnte aber die Stimme irgendwie nicht zuordnen, wusste aber, dass sie diese kannte. Sie klang ganz weit weg und doch so nah. Sie glaubte halb noch zu träumen, denn sie sah immer noch ein bisschen Sterne als sie die Augen aufmachte. Sie sass auf dem Boden mit dem Rücken zur Wand und vor ihr war Steven. Er hatte einen ziemlichen Schock, sie so zu sehen. Sie wollte aufstehen, stöhnte jedoch bei jeder Bewegung, sodass Steven sie mit einer Hand auf den Boden zurück gleiten liess.
„Was ist passiert?", fragte Steven beunruhigt.
„Bors!", murmelte Anna.
„Was?"
„Bors!", wiederholte Anna und schaute Steven an, welcher nun ziemlich wütend aus.
„Wie kann er nur?", knurrte er erbost, dann schaute er wieder sanft Anna an. „Soll ich dir helfen?"
Anna schüttelte den Kopf, was ihr aber Kopfschmerzen bereitete.
„Ich bin gleich wieder da! Okay?", informierte er sie mit beherrschter Stimme und ging, ohne eine Reaktion von ihr abzuwarten, aus dem Zimmer. Er zog die Tür nach, schloss sie aber nicht ganz zu, sodass Anna alles hören konnte
„BORS!?"
Anna hörte Steven, wie er mehrmals Bors Namen schrie, bis sie Schritte hörte und Bors Stimme.
„Ach Steven, schon fertig mit den Papieren?"
„Wie konntest du nur?", fragte Steven, mit noch ziemlich beherrscht Stimme.
„Was denn?"
„Tu nicht so scheinheilig!", presste Steven zwischen den Zähnen hervor. „Du weißt genau was ich meine! Ich habe sie bereits gesehen!"
„Dann muss ich dir ja nichts erzählen."
„Mehr hast du nichts zu sagen?"
„Nein! Denn es gibt nicht mehr zu sagen!"
Von da an schrie Steven aus Leibeskräften, schlussendlich Bors auch. Steven hätte genauso die Tür schliessen können, Anna hätte doch jedes Wort gehört. Sie nahm nur die Wörter wie Boss, Vater, Frau, verletzt, Krankenhaus, töten wahr. Sie hörte eine Tür zuknallen und wenig später kam Steven ins Zimmer gestampft. Er sah immer noch leicht wütend aus, er hatte einen Erste- Hilfe- Koffer dabei und einen Eisbeutel. Mühsam versuchte Anna aufzustehen.
„Warte ich helfe dir!"
„Nein, lass mich!", presste Anna hervor, die schon fast stand. Sie lehnte sich gegen die Wand, während Steven den Sessel wieder richtete.
„Setzt dich und nimm das!", sagte Steven und hielt Anna den Eisbeutel hin. Zögernd nahm sie ihn und setzte sich auf den Sessel. Steven stöberte in dem Erste- Hilfe- Koffer, holte eine Tube raus.
„Nach einer Weile solltest du diese Salbe einreiben, dann sollte es besser gehen. Ist sonst alles okay?"
Anna nickte steif.
„Ich werde dann gehen.", sagte Steven unsicher. „Ich werde später noch mal vorbei kommen."
Anna gab keine Antwort.
„Na dann, bis später!", murmelte Steven und ging. Anna hörte wie er den Schlüssel in der Tür umdrehte und herausnahm. Sie runzelte die Stirn, das hatten die doch nie gemacht. Langsam betupfte Anna ihr Gesicht mit dem Eisbeutel, es schmerzte bei jeder Berührung. Oh Mann, dachte Anna das gibt's doch nicht! Wieso kann mein Körper nicht aus Stahl sein?! Das ist schon das zweite Mal, dass ich mich verprügeln lasse. Was für eine Schmach! Nach einer Weile ging es ihr besser, sie stand sachte auf und schleppte sich ins Badezimmer. Geschockt schaute sie sich im Spiegel an. Die linke Gesichtshälfte war geschwollen, an den Armen hatte sie blaue Flecken und ihre Lippen bluteten immer noch leicht. Anna schaute sich fassungslos an und schüttelte ihren Kopf, was erneut Kopfschmerzen hervorrief.
„Wie wird das bloss weitergehen?", flüsterte sie zu sich selbst. Sie fühlte sich einsamer denn je, sie sehnte sich nach ihrer grossen Schwester, nach ihrer Patentante und nach Adrian. Sie ging zum Bett, fiel erschöpft hinein, verbiss sich dabei den Schmerz. Sie atmete tief durch und versuchte nicht einzuschlafen. Plötzlich hatte sie eine Idee. Wieder stand sie auf, ging ins Bad, schloss die Tür hinter sich zu. Anna legte sich auf den Boden so bequem wie möglich, wie immer, ohne auf die Schmerzen zu achten. Dann schloss sie die Augen und schlief ein.




Hallo meine Lieben :)))
Ein weiteres kurzes Kapitel 🙈tut mir Leid. Es kommen aber bald längere Kapitel. Versprochen. :)))
Wie immer mein letzter Satz, Likes und Kommentare sind willkommen. :)))

Eure D.F. Saillants

Gefangen im Schatten der Liebe - Wieso ich?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt