Kapitel 16

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Steven schaute zu, wie James einen Kübel Eiswasser über Anna schüttete, um sie aus der Ohnmacht zu holen. Anna wurde wieder wach und rappelte sich mühsam auf. James klatschte noch einen Kübel Eiswasser gegen ihren Rücken und Anna schnappte nach Luft. Steven sah, dass ihr ganzer Körper zitterte. Jack holte, mit beiden Händen am Bambusstock, bereits für den nächsten Schlag aus. Anna schrie und Steven schloss schwermütig die Augen, er konnte es nicht mehr mit ansehen. Als Anna nach dem dritten Schlag erneut in Ohnmacht fiel, hielt er es nicht mehr aus.
„Bors, das ist mehr als genug!", zischte er Bors leise an, ohne Anna aus den Augen zu lassen.
„Es ist noch lange nicht genug!", zischte Bors zurück, ebenfalls ohne das Schauspiel aus den Augen zu lassen. „Ich will, dass sie bettelt!"
Steven konnte es nicht fassen, schaute aber dennoch weiter zu wie James den Kübel Wasser über Anna kippte und diese wieder erwachte. Anna raffte sich erneut auf und nochmals klatschte Eiswasser über ihren Rücken. Sie blickte Bors an und Steven konnte die blanke Wut in ihren Augen sehen. Da wusste er, Anna war noch weit entfernt vom Betteln. Sie schrie vor Schmerz auf, als Jacks Schlag ihren Rücken traf und fiel auf die Knie. Sie blickte zu ihren Freundinnen hoch und da dämmerte es Steven.
„Bors es ist genug!", zischte er ihn erneut an und Anna schrie erneut vor Schmerz auf.
„Nein! Sie soll betteln!"
Der nächste, schmerzerfüllte Schrei ging ihm durch Mark und Bein. Anna war wieder bewusstlos.
„Das wird sie aber nicht. Hast du vergessen, dass du gesagt hast, wenn sie bettelt wird eine ihrer Freundinnen dran glauben müssen!", flüsterte Steven wütend und blickte Bors an. Dieser runzelte kurz die Stirn, während er zusah, wie Anna mit Eiswasser übergossen wurde. Zu Stevens Entsetzen bewegte sie sich nicht.
„Wenn du es nicht beendest, beende ich es!", flüsterte Steven zornig, als James den zweiten Kübel über Anna kippte. Doch sie bewegte sich immer noch nicht, erst beim dritten Kübel Eiswasser regte sie sich wieder. Sie versuchte aufzustehen, doch sie hatte keine Kraft mehr, sie hing nur noch kniend an den Ketten. Jack blickte fragend zu Bors und Bors nickte ihm zu, weiterzumachen.
„Bors, hör auf oder willst du sie umbringen?", fragte Steven ihn entsetzt und Bors schaute ihn endlich an. Steven konnte seinen Blick nicht deuten.
„Jack!", rief Bors laut, ohne den Blick von Steven abzuwenden. Jack, der gerade ausholen wollte, hielt inne. Bors wandte den Blick von Steven ab und schaute nun seinen Kommandanten an.
„Es ist genug!"
Jack nickte und befahl James, Anna von den Ketten zu lösen. Bors blickte ihn noch einmal kurz an, bevor er die Veranda verliess und zu Anna lief. Als James sie von den Ketten befreit hatte, fiel Anna entkräftet zu Boden und mit einer Kopfbewegung von Bors entfernte sich James von ihr. Bors zog Anna grob hoch, sie hatte Mühe zu stehen, auch wenn Bors sie mehrheitlich hielt. Steven verliess langsam die Veranda, er hatte ein ungutes Gefühl bei Bors.
„Annas Strafen sind vorbei!", rief Bors laut, flüsterte Anna noch etwas ins Ohr, dann liess er sie plötzlich los und sie fiel wieder zu Boden. Bors liess sie liegen und höhnte: „Wenn sie noch stehen könnte, würde sie eure Glückwünsche entgegen nehmen Männer."
Einige der Männer lachten und grölten, Bors verliess den Garten. Steven hastete zu Anna.
„Steven!", flüsterte sie leise.
„Keine Sorge Kleines, ich bin hier! Es ist vorbei!", sprach er leise auf sie ein und strich sanft ihre nassen Haare aus ihrem Gesicht.
„Steven..."
Ihre Stimme war nur noch ein Wispern.
„Ich bin hier Kleines. Es wird dir bald wieder besser gehen. Versprochen.", flüsterte Steven. Ein kleines Lächeln erschien auf ihren Lippen, bevor sie wieder das Bewusstsein verlor. Vorsichtig hob Steven Anna hoch. Sie ist noch leichter geworden und sie fühlt sich eiskalt an, dachte Steven besorgt. Auf der Veranda war kaum jemand mehr. Als er die Treppe hoch ging kam ihm Fabio entgegen.
„Kann ich dir helfen Steven?", fragte Fabio leicht besorgt.
„Ja. Öffne die Türen und dann sehen wir weiter!", antwortete Steven und gemeinsam brachten sie Anna in ihr Schlafzimmer.
„Hol ein paar grosse Frotteetücher aus dem Bad und breite sie über das Bett aus!", befahl Steven Fabio, rasch verschwand dieser im Badezimmer, kam mit vier Badetüchern wieder heraus. Fabio breitete zwei aufs Bett aus und Steven legte Anna sanft darauf.
„Schnell, reibe ihr die Haare trocken.", wies Steven Fabio an, während er ihren Körper trocken rieb. Als Anna trocken war, wies Steven Fabio an, sie auf den Bauch zu legen, damit er ihren Rücken behandeln konnte. Seine Tasche hatte er vorher schon ins Zimmer gebracht, er hatte gewusst, er würde sie brauchen. Wie beim letzten Mal desinfizierte er zuerst den Rücken und cremte ihn dann, mit einer dicken Schicht, seiner Spezialsalbe ein. Dieses Mal band er Annas Rücken mit Hilfe von Fabio ein, alleine wäre das ein ziemliches schwieriges Stück gewesen.
„Ihre Haut fühlt sich so kalt an.", bemerkte Fabio nachdenklich.
„Ich weiss.", murmelte Steven besorgt.
„Aber ihre Stirn hat sich vorher heiss angefühlt."
„Was?", fragte Steven entsetzt und befühlte Annas Stirn. Tatsächlich fühlte sie sich heiss an, aber noch nicht Besorgnis erregend.
„Sie hat Fieber, aber noch nicht hohes Fieber. Komm, wir decken sie warm ein.", informierte Steven und sie packten Anna in die Decke.
„Wird sie wieder?", fragte Fabio ihn besorgt. Steven lächelte ihm schwach zu.
„Aber natürlich. Sie ist stark.", antwortete er. „Danke für deine Hilfe. Du kannst gehen. Sie braucht jetzt viel Ruhe."
Fabio nickte und verliess das Schlafzimmer. Steven räumte noch auf, dann setzte er sich mit einem Buch in den Sessel neben Annas Bett. Als es langsam dunkel wurde im Zimmer, knipste Steven die Nachttischlampe an und befühlte Annas Stirn. Ihre Stirn fühlte sich unverändert heiss an. Steven trat daraufhin auf den Balkon und zündete sich eine Zigarette an. Er überlegte seine nächsten Schritte, wie er am besten Anna wieder gesund kriegte. Aber zuerst musste sie schlafen. Wenn sie wach wird, könnte sie wenigstens etwas zu sich nehmen, wenn nicht muss ich ihr eine Infusion legen, dachte Steven. Er blickte kurz ins Schlafzimmer, Anna lag immer noch genauso wie er sie gebettet hatte. Auf dem Bauch liegend, den Kopf zur Seite. Er rauchte fertig und ging wieder hinein. Er setzte sich wieder auf den Sessel und las weiter. Die ganze Nacht sass er bei Anna, alle paar Stunden kontrollierte Steven ihre Temperatur an der Stirn. Als es tagte und Anna immer noch nicht erwachte, konnte Steven nicht mehr länger zuwarten. Er musste ihr eine Infusion stecken. Er seufzte, stand auf und ging in seine Suite um alles Nötige, was er für eine Infusion brauchte, zu holen. Er nahm noch sein Fiebermessgerät mit, dann ging er zurück in die andere Wohnung und holte sich auf dem Weg zu Annas Schlafzimmer noch eine Flasche Wasser und ein Red Bull aus der Küche. Mit vollen Händen ging er ins Schlafzimmer zurück, blieb aber versteinert in der Türschwelle stehen. Das Bett war leer. Dann hörte Steven im Bad etwas zu Boden gehen und er liess alles fallen was er trug. Mit grossen Schritten war er an der Badzimmertür und riss diese energisch auf.
„Anna?"
Anna trank gerade aus dem Wasserhahn, hielt sich dabei am Wasserbecken so fest, dass ihre Knöchel weiss hervor traten. Dabei fiel Steven auf, dass die roten Striemen an ihren Handgelenken noch zusätzlich mit blauen Flecken überzogen waren. Vorsichtig ging er auf sie zu.
„Anna?"
Sie reagierte nicht, also sprach er sie nochmals an. Endlich zeigte sie eine Reaktion und hörte auf zu trinken.
„Steven...", flüsterte Anna, richtete sich auf und schwankte dabei bedrohlich. Steven war schnell bei ihr und hielt sie an den Armen fest. Dabei wäre er fast über den Seifenspender gestolpert, der vermutlich vorher runtergefallen war. Er registrierte, dass sie völlig verwirrt war.
„Komm, legen wir dich zurück ins Bett. Du hättest gar nicht erst aufstehen sollen.", meinte Steven und stützte sie aus dem Bad.
„Aber ich musste aufs Klo.", murmelte Anna vor sich hin. „Und ich hatte Durst. Grossen Durst."
Steven half ihr zurück ins Bett.
„Ich hatte lange nichts zu trinken.", murmelte Anna weiter, während sie mit schmerverzerrtem Gesicht sich auf den Bauch legte. „Adrian würde mir Wasser geben, wenn er mich lieben würde. Ganz bestimmt..."
Steven erstarrte mitten in der Bewegung, Anna zuzudecken. Er wusste wer Adrian war und er konnte nur froh sein, dass Bors gerade nicht im Zimmer war. Doch Anna hatte nie mit ihm über Adrian gesprochen oder ihn erwähnt. Jedoch hatte Bors von diesem Jungen erzählt, nur kurz, aber das hatte gereicht, um zu wissen, dass Bors eifersüchtig auf Adrian war. Steven deckte Anna fertig zu, diese war schon eingeschlafen und er prüfte ihre Stirn. Ihre Stirn glühte förmlich, sofort mass er ihr Fieber. Vierzig Grad war das Ergebnis. Verdammt, dachte Steven. Doch solange Anna schlief, konnte er nichts tun. Er hob die Sachen, die er auf den Boden fallen gelassen hatte auf und bereitete die Medikamente vor, die Anna zu sich nehmen sollte, sobald sie wieder wach war. Dann holte er noch eine Flasche Wasser für Anna. Neben viel Schlaf war auch viel Wasser trinken wichtig. Bevor er sich wieder in den Sessel setzte und weiterlas, zog er die Vorhänge zu, damit das Sonnenlicht Anna nicht wecken würde. Die Nachttischlampe war die einzige Lichtquelle, ansonsten war das Zimmer im Dunkeln. Gegen Mittag ass Steven eilig ein Sandwich, er wollte Anna nicht lange allein lassen. Am Abend war ihr Zustand unverändert und zu Stevens Missfallen tauchte Bors auch noch auf.
„Was willst du hier?", fragte Steven unverblümt.
„Ich wollte Fragen wie es ihr geht.", antwortete Bors leicht genervt. „Du bist ihr seit gestern Abend nicht von der Seite gewichen und da hab ich mir Sorgen gemacht."
„Ach was?", sagte er ungehalten. „Aber als du sie im Keller zwei Tage ohne Essen eingesperrt hast, da hast du dir keine Sorgen gemacht oder als du sie vor allen hast verprügeln lassen, als sie sich kaum noch bewegt hat?!"
Bors sagte nichts und blickte weiterhin auf Anna. Nach einer Weile meldete sich Bors wieder zu Wort.
„Sagst du mir jetzt trotzdem, wie es ihr geht?"
„Sie hat hohes Fieber und so wie ihr Rücken aussieht, hat sie bestimmt Schmerzen.", informierte Steven ihn verstimmt. Bors nickte zur Kenntnisnahme und starrte weiter auf Anna. Er blieb ein paar Minuten am Fuss des Bettes stehen und Steven beobachtete seinen Vater. Er konnte seine Miene nicht deuten, vielleicht lag es am schummrigen Licht, anderseits konnte Bors seine Gefühle schon immer gut verstecken. Bors wollte gerade gehen, als Anna sich zu rühren begann. Sie flüsterte etwas Unverständliches vor sich hin und begann sich hin her zu wälzen, sodass sie plötzlich auf den Rücken lag. Es muss ein Alptraum sein, dachte Steven und erhob sich vom Sessel.
„Anna?", rief Steven und wollte sie wecken.
„Adrian!", schrie Anna plötzlich und Steven erstarrte für ein paar Sekunden, dann hatte er sich wieder im Griff.
„Adrian, er wurde von einer Kugel getroffen!", sprach Anna panisch und blickte Steven mit weit aufgerissenen Augen an.
„Das war nur ein Traum Anna. Beruhige dich wieder und ruh dich aus.", redete er ruhig auf sie ein und drückte sie sanft zurück ins Kissen.
„Sicher? Es war wie bei Stefano...", murmelte Anna fiebrig und beruhigte sich.
„Bestimmt.", meinte Steven. „Ruh dich aus!"
„Meinst du, er hätte sich in mich verliebt?", fieberte Anna weiter. „Ich nämlich schon in ihn..."
Daraufhin war sie wieder eingeschlafen. Steven schaute zu Bors, er stand wie versteinert vor dem Bett und starrte wütend und verletzt auf Anna.
„Du weisst, das war nur das Fieber.", versuchte Steven ihn zu belehren.
„Natürlich!", entgegnet Bors grimmig und verliess das Zimmer. Na großartig, dachte sich Steven, genau das hab ich noch gebraucht. Er liess sich erschöpft in den Sessel sinken, er war müde und er hatte immer noch Anna keine Medikamente geben können. Irgendwie döste er ein und erwachte ein paar Stunden später, durch Annas schmerzerfülltes Stöhnen. Sie versuchte gerade aufzustehen. Sofort war Steven hellwach und bei ihr.
„Leg dich wieder hin! Du solltest nicht aufstehen!", befahl er ihr sanft.
„Wasser...", flüsterte Anna und richtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Steven gab ihr eine Wasserflasche und Anna trank gierig daraus, wobei sie sich verschluckte.
„Hier schluck diese Medikamente. Gegen Fieber und Schmerzen.", sagte Steven und gab ihr die Tabletten. Artig schluckte Anna die Medikamente mit dem Wasser runter. Als Anna fertig getrunken hatte, nahm Steven ihr die Flasche Wasser ab und legte sie beiseite.
„Steven...", murmelte Anna leise.
„Was ist Kleines?"
„Hilf mir...mein Rücken...umdrehen...", stammelte sie fiebrig. Steven verstand und half ihr, sich umzudrehen. Annas Gesicht war schmerzverzerrt und er vermutete, dass sie die Luft anhielt. Schliesslich lag sie wieder auf dem Bauch, die wenigen Bewegungen hatten sie erschöpft, demzufolge war sie bereits wieder eingeschlafen. Da sie wieder schlief, konnte Steven den Verband öffnen. Er schnitt ihn auf und ihm stockte der Atem. Ihr Rücken war voller blauer Flecken, nur dass diese nicht blau geblieben waren, sondern unterdessen die Farbe dunkelviolett angenommen hatten. Kaum eine Stelle ihres Rückens war verschont geblieben, bis auf die Schulterpartie. Die wenigen offenen Schnittwunden, die er gestern desinfiziert hatte, waren auf ihren Blutergüssen kaum auszumachen. Er hatte eigentlich ihren Rücken neu eincremen wollen, nun da er ihre Blutergüsse sah, wagte er sich kaum, sie anzufassen. Das letzte Mal war es für Anna schon schmerzhaft genug gewesen, aber dieses Mal würde es für sie unerträglich werden. Trotzdem, er musste sie behandeln. Es würde den Heilungsprozess beschleunigen. Er konnte nur hoffen, dass ihr Schlaf gerade sehr tief war und sie nicht erwachen würde. Steven nahm die Salbe zur Hand und drückte sie direkt von der Tube auf den Rücken. Anna regte sich leicht, erwachte aber nicht. Vorsichtig cremte er sie mit einer dicken Schicht ein und zu seinem und ihrem Glück erwachte sie nicht. Er legte noch ein Verbandtuch darüber, dann deckte er sie wieder zu. Im Bad wusch er sich seine Hände, setzte sich in den Sessel neben dem Bett und schlief sofort ein.

Gefangen im Schatten der Liebe - Wieso ich?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt