Kapitel 11

1.2K 21 1
                                    

Steven verliess die Suite, nachdem er von Anna stehen gelassen wurde. Er wollte zu Bors und stieg die Treppe hinunter. Bei Bors Büro machte Steven Halt, klopfte an und trat ein. Das Arbeitszimmer von Bors war im Renaissancestil eingerichtet, die Möbel waren aus dunklem Holz und die Stühle und Sessel hatten eine dunkelrote Farbe. Die Wände hatten eine Holztäfelung und der Boden war ebenfalls aus Holz. Trotz so vielen dunklen Farben passte alles zusammen. Bors hielt sich aber nicht in seinem Arbeitszimmer auf, was eher seltsam war, denn dorthin verzog er sich am liebsten. Steven ging wieder hinaus und traf gerade auf den Kommandant.
„Hey Jack, wo ist Bors?"
„Den Boss triffst du im Herrensalon.", antwortete Jack verstimmt.
„Was ist los?", fragte Steven, der seine miese Laune bemerkte. Jack presste die Lippen zusammen und fuhr mit seiner Hand durch seine bereits zerzausten braunen Haare.
„Keine Ahnung was dieses Weibsbild mit ihm wieder gemacht hat, aber sie wird ihn zerstören!", wetterte Jack. „Sieh ihn dir doch an. Der Boss ist nicht mehr der gleiche und das alles nur wegen ihr! Wenn du da gewesen wärst, anstatt diese blöde Arztausbildung zu machen, hättest du ihn davon abhalten können!"
Steven verengte die Augen und nahm eine bedrohliche Haltung ein.
„Was willst du damit sagen Jack?"
„Du hättest da sein sollen Steven!", wetterte Jack weiter. „Da wo dein Platz ist!"
„Du vergisst gerade, wo dein Platz ist! Kommandant!", sagte Steven laut drohend. Jack machte einen Schritt zurück, verneigte sich leicht und spottete verstimmt: „Verzeiht, Mylord, ich vergass!"
Dann drehte er sich um und nahm die letzte Tür im linken Flügel des Hauses. Steven sah ihm nach.
„Steven?"
„Was?", fragte Steven gereizt. Ma-Long und Fabio standen auf der Treppe und mussten das meiste mitbekommen haben.
„Es ist alles fertig, die Mädchen sind in ihrem Zimmer und essen.", informierte Fabio ihn vorsichtig, während er die Treppe runterstieg. „Wir würden dann auch mal was essen gehen."
Steven nickte.
„Geniesst euer Abendessen."
Ma-Long und Fabio bedankten sich und gingen zur anderen Seite des Hauses in die Küche. Steven holte tief Luft. Er mochte Jack nicht besonders, dieser Mann hatte eine teuflische Seite. Jack mochte es anderen Menschen zu quälen und das hasste Steven besonders an ihm. Aber Bors bevorzugte ihn von allen seinen Angestellten, er war nicht umsonst sein Kommandant. Jack hatte eine grosse Loyalität gegenüber Bors, wieso auch immer. Aber verdammt nochmal, dachte sich Steven, Jack hat Recht. Ich hätte da sein sollen. Er fuhr mit seiner Hand durch seine hellbraunen Locken und ging Richtung Salon. Dieser befand sich auf der linken Flügelseite neben dem Ballsaal. Steven öffnete die Doppeltüre, trat ein und schloss sie wieder. Der Herrensalon war im ähnlichen Stil eingerichtet wie das Arbeitszimmer, die gleichen Farben, nur die Wände waren weiss, passend zum Marmorkamin. Der grosse, prachtvolle Kamin war das Herzstück dieses Zimmers, davor waren Sessel und Sofas platziert worden. Nahe der Tür war eine Bar, sonst zierten Kunstgegenstände und Gemälde den Salon. Im Kamin brannte ein Feuer, die einzige Lichtquelle, ansonsten war es dunkel. Bors sass in einem der grossen Sessel und schaute in die Flammen. Steven ging zu ihm hin, beim Näherkommen sah er die Whiskyflasche auf dem Couchtisch, das Glas hielt Bors in der Hand.
„Bors, was tust du da?", fragte Steven besorgt. So hatte er seinen Vater noch nie gesehen. Denn Bors besäufte sich nie und war immer Herr der Lage. Bors schaute kein einziges Mal hoch. Er starrte immer noch in die Flammen.
„Das siehst du doch. Ich besaufe mich."
„Wieso? Das machst du sonst nicht."
„Wieso? Du fragst im Ernst wieso?", sagte Bors laut, ohne aufzublicken. „Ich habe sie fast umgebracht!"
„Ja, das hast du!", sagte Steven ruhig, denn er sah, dass Bors litt. „Was ist denn in dich gefahren?"
„Ich weiss nicht."
Steven setzte sich auf der nebenstehenden Couch und schaute seinen Vater an.
„Vater, schau mich an!", sagte Steven leise, aber bestimmend. „Was ist da oben geschehen?"
Bors schwieg zuerst, doch dann sah er ihn an.
„Sie hat mich so unglaublich wütend gemacht."
„Wir kennen alle deine Wutausbrüche, aber dass... Bors, du hättest Anna umgebracht, wenn ich nicht gekommen wäre."
„Ich weiss. Und ich hasse mich dafür!", flüsterte Bors, trank einen grossen Schluck aus seinem Glas und redete erbost weiter. „Sie schafft es immer wieder mich so wütend zu machen. Sie tut und sagt immer das Falsche. Dabei ist das alles nur für sie."
„Du hast Anna aus ihrem Zuhause und ihrem gewohnten Leben entrissen. Ich habe dir gesagt, dass es so sein würde. Ich habe dir gesagt, es gibt andere Wege ihre Liebe zu gewinnen."
„Zuhause? Leben? Das war kein Zuhause. Sie hatte niemanden. Sie wurde gehänselt und ignoriert. Das war kein Leben. Ich gebe ihr ein Leben mit mir und ein richtiges Zuhause!", sagte Bors erzürnt. Steven seufzte und stand auf, um sich ein Glas an der Bar zu holen. Dieses Gespräch hatten sie schon hunderte Male durchgekaut und das Ergebnis blieb immer das gleiche.
„Wie geht es ihr?", fragte Bors, während sich Steven setzte und sich ebenfalls vom Dreissig jährigen Single Malt Glenrothes einschenkte. Steven schaute ihn an, genehmigte sich einen Schluck des Whiskys, bevor er antwortete.
„Sie wird sich erholen, aber was soll ich sagen? Du hast einen bleibenden Eindruck und Abdruck hinterlassen."
Er lehnte sich zurück und schaute nun ebenfalls in die Flammen.
„Jetzt hast du wenigstens ihr Vertrauen gewonnen.", meinte Bors sarkastisch. Steven lachte höhnisch, legte den Kopf in den Nacken und schaute zur Decke hoch.
„Ich musste ihr gerade eben beichten, dass du mein Vater bist.", sagte Steven, trank einen grossen Schluck und schaute seinen Vater an. Dieser schaute ihn ungläubig an.
„Wieso? Ich dachte, du möchtest es ihr so spät wie möglich erzählen."
„Das wollte ich auch, bis sie nach meinem Handy gefragt hat und ich ihr sagen musste, wieso ich es ihr nicht geben kann."
„Ich weiss, dass du mich niemals verraten würdest."
„Ich werde Anna vor dir beschützen, wenn es sein muss, aber dich verraten...Du bist mein Vater!"
„Aber nur auf dem Papier.", entgegnete Bors und schaute Steven an.
„Und in meinem Herzen.", setzte Steven noch an. „Ich bin dir so dankbar für alles. Ich halte zu dir, auch wenn ich mit vielem nicht einverstanden bin. Das ist Loyalität in der Familie."
Bors nickte zustimmend. Eine Weile sassen sie schweigend da und tranken. Steven leerte sein Glas und stand auf, es war Zeit, sich ein bisschen Schlaf zu holen.
„Mach nicht mehr so lange und versprich mir, dass die Flasche morgen nicht leer ist.", sprach Steven freundschaftlich zu Bors.
„Versprochen. Gute Nacht mein Sohn."
„Gute Nacht, Vater."
Steven verliess den Salon und liess Bors allein mit seinen Gedanken vor dem Kamin.

Gefangen im Schatten der Liebe - Wieso ich?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt