Kapitel 30
Na? Erinnerst du dich jetzt wieder?
Mit schmerzhaft brummendem Schädel setze ich mich vorsichtig auf reibe mir über die Augen, die von ein paar Tränen ganz verklebt geworden sind. Dieser eine Satz hallt durch meinen Verstand, wie das Echo eines Hilfeschreis in den Bergen.
Erinnerst du dich jetzt wieder? Erinnerst du dich jetzt wieder? Erinnerst du dich jetzt wieder? ...
„Ja. Und du? Bist du jetzt zufrieden?", fauche ich laut hörbar. Aber ich bekomme keine Antwort.
Mein gesamter Körper fühlt sich kaputt und eingerostet an, sodass fast jede noch-so-kleine Bewegung weh tut. Abgesehen davon lässt mich dieser „Traum" - oder Erinnerung, wenn man meinem Gewissen trauen kann - zwar schaudern, aber er kommt mir dennoch surreal vor, also nimmt er mich nicht so mit, wie er vermutlich sollte.
Als das Handy in meiner Tasche läutet, zwinge ich mich aufzustehen, um zu sehen, wer da anruft. Wie erwartet, ächzen meine Knochen und Muskeln, als ich sie anders belaste, doch ich versuche, es zu ignorieren.
„Hey, was gibt's?", frage ich mit so viel Interesse, wie ich nur vorheucheln kann, durch mein Handy.
„Was es gibt?! Hast du mal auf die Uhr gesehen? Ich bin schon seit über einer Stunde zuhause und versuche dich zu erreichen... Wo bist du denn so lange?" Sophie klingt nicht wütend - eher besorgt. Und verwirrt.
„Ich.... ich bin zu Besuch bei einem alten Bekannten", murmele ich wenig überzeugend. „Tut mir ehrlich leid. Ich hab komplett die Zeit vergessen."
„Einem alten Bekannten?" Jetzt ist sie ganz Ohr. „Bei wem bist du denn?"
„Also, ähm... Ich war bei Mister Winston."
„Euer Hausmeister?", fragt sie belustigt. „Und jetzt?" Doch bevor ich antworten kann, geht ihr ein Licht auf und ihre Stimme wird wieder ernster und etwas besorgt. „Warte. Du bist in eurer Wohnung, nicht wahr? Kleines, meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?"
Da bin ich mir nicht mehr so sicher.
„Ich weiß nicht. Aber mir geht's ganz gut soweit" - abgesehen davon, dass mir alles wehtut und ich mir selbst verbiete, über diese Erinnerungen nachzudenken, stimmt das sogar.
„Bleib, wo du bist. Ich komme vorbei und hol dich ab", sagt Sophie schnell und legt dann auf, ohne meine Antwort abzuwarten.
-
Als ich einige Minuten später die Tür öffne, stürmt Sophie mir entgegen und umarmt mich ganz fest. Ich habe keine Ahnung, ob sie erwartet hat, mich am Boden kauernd, weinend und komplett zerstört zu finden. Aber ich merke, dass sie überrascht ist. Positiv überrascht.
„Erzählst du mir jetzt, was los ist?", fragt sie, nachdem sie sich ein Stückchen von mir entfernt hat. Ihre braunen Augen mustern mich eindringlich, neugierig und gespannt.
„Was meinst du?", frage ich zurück und runzele verwirrt die Stirn.
„Einfach alles. Du bist irgendwie... anders. Ich weiß nicht, wie ich sagen soll... Versteh das jetzt nicht falsch, aber ich hab das Gefühl, da ist irgendwas, das dich verändert hat. Immerhin warst du einen Monat weg - also was ist da alles passiert, das dafür gesorgt hat, dass du dich jetzt so anders benimmst?"
Angst. Panik. Was soll ich darauf nur antworten? Sophie ist meine allerbeste Freundin. Sie wird es verstehen... Hoffe ich. Selbst wenn ich selber es überhaupt nicht kapiere.
„Du willst es wirklich wissen?", frage ich ernst und nervös.
„Ja. Ich will wissen, was mit meiner besten Freundin passiert ist... Aber wenn du es nicht erzählen möchtest - okay. Ich verstehe das, denn das mit deinem Vater hat uns schließlich alle sehr mitgenommen. Hat es damit zu tun?" Ich danke ihr im Stillen dafür, dass sie das Thema so direkt anspricht. Dadurch weiß ich, dass sie mich für stark genug hält, darüber reden zu können - obwohl sie sich vielleicht irrt.
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Sternträumerin
Mystery / Thriller"Hoffnung ist nichts weiter als der jämmerliche, verzweifelte Wunsch, dass sich die Dinge doch noch zum Guten wenden. Manchmal ist es die Hoffnung, die dafür sorgt, dass wir am Leben bleiben und nicht ganz den Verstand verlieren. Aber viel zu oft wi...