Kapitel 22
„Bis bald, Nathalie!“, rufe ich über meine Schulter hinweg zur Eingangstür hin, während ich winke und mich immer mehr von ihrem Haus entferne. Sie winkt dreimal so eifrig wie ich und lächelt mir zu.
Es ist Freitag Abend, halb sechs Uhr und ich erkämpfe mir meinen Weg durch die eiskalten, dunklen Gassen, bis ich endlich Audrey im Auto sitzen und „mein“ Haus vor mir sehen kann.
„Wohin fährst du?“, frage ich sie, ohne sie zuvor zu begrüßen.
„Ach, ich wollte nur kurz noch ein paar Sachen aus dem Geschäft holen, bevor alles geschlossen ist. Wenn meine Schwester mit ihren Kindern morgen kommt, möchte ich nicht, dass irgendetwas fehlt. Wir sehen uns später.“ Dann startet sie den zuerst widerwilligen Motor, der nach kurzer Zeit jedoch bereits schnurrt wie ein Kätzchen, und fährt davon.
Ich hätte fast vergessen, dass wir morgen Besuch bekommen – das wird bestimmt fantastisch. So viel zu einem Gespräch mit ihr. Aber im Moment ist mir das eigentlich ohnehin nicht wirklich wichtig. Meine Beine tragen mich gestresst zur Tür hin, da sie wohl selbst schon Angst haben, bei diesem frostigen Wetter abzufallen. Auch meine Hände rebellieren, als ich sie aus meinen Jackentaschen ziehe und sie der winterlichen Luft aussetze, während ich versuche, meinen Schlüssel irgendwie in das Schloss zu stopfen und aufzusperren. Endlich wieder zwischen diesen vier Wänden, empfange ich die einladende Wärme mit offenen Armen und seufze erstmal erleichtert, während meine Zellen wieder zum Leben erwachen.
„Schon zurück? Du warst doch wieder bei Nathalie, oder?“, fragt mich Onkel George, der auf dem Sofa vorm Fernseher sitzt, erstaunt, als er mich bemerkt.
„Jap. Ihr Vater ist heute schon etwas früher nach Hause gekommen als sonst“, antworte ich, während ich mich so umständlich wie es nur geht aus meinem Mantel schäle.
„Na dann. Hast du Hunger?“
Ich schüttle bloß den Kopf, nehme meine Tasche und mache mich auf den Weg in mein Zimmer. Und so fürsorglich, wie mein Gewissen nun mal ist, erinnert es mich derweil wieder an das Wichtige:
Vergiss nicht, ihn wegen Paula zu fragen, Chloe.
Energisch schließe ich hinter mir die Zimmertür und lasse mich auf mein Bett plumpsen. Ich nehme mein Handy zur Hand, stecke die Kopfhörer ein und lasse mich von der Musik in eine andere Welt entführen. Mein Kopf sinkt auf das weiche Kissen und meine Augenlider fallen fast automatisch zu. Ich sage noch zu mir selbst, dass ich jetzt vielleicht nicht sofort schlafen sollte, um nachts besser zur Ruhe kommen zu können, aber kaum eine Minute danach drifte ich ab und genieße den Schlaf.
„Guten Morgen, Schlafmütze.“ Audrey weckt mich mit sanfter Stimme und tätschelt meinen Arm.
Ich murre irgendetwas unverständliches und weigere mich, wieder Teil der wachen Gesellschaft zu werden.
„Chloe? Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir hilfst.“
Erneut gebe ich keine sinnvollen Worte von mir sondern einen Laut, der wie „asmichruenaafn“ oder irgend so etwas klingt, obwohl das eigentlich „Lass mich in Ruhe, ich will schlafen“ heißen sollte.
Meine Tante lacht bloß und steht schließlich auf. „Okay, folgende Vorschläge: entweder du stehst jetzt von alleine auf, hilfst mir und danach darfst du dich sofort wieder in dein Bett kuscheln; oder ich sage George bescheid, dass du nicht aufstehen möchtest und er wird sich liebevoll um dich kümmern. Wir beide wissen, was die angenehmere Methode für dich wäre. Also wie entscheidest du dich?“
„Jaja, ich stehe ja schon auf“, murmele ich schmunzelnd, aber ich habe trotzdem nicht vor, meine Augen sofort zu öffnen.
„Braves Kind. Ich gehe derweil runter. Komm dann bitte nach.“

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Sternträumerin
Mystery / Thriller"Hoffnung ist nichts weiter als der jämmerliche, verzweifelte Wunsch, dass sich die Dinge doch noch zum Guten wenden. Manchmal ist es die Hoffnung, die dafür sorgt, dass wir am Leben bleiben und nicht ganz den Verstand verlieren. Aber viel zu oft wi...