Kapitel 21

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Kapitel 21

Launische Windstöße bringen Kyles rötliches Haar immer wieder durcheinander und lassen es lustig aussehend zu Berge stehen. Irgendwann nervt es ihn so sehr, dass er sich schließlich seine schwarze Mütze über den Kopf zieht, um dem stürmischen Wetter zu trotzen. Es kommt mir so vor, als würden wir einfach nur gehen, um zu gehen - so, als hätten wir absolut kein Ziel vor Augen.

Da der Junge neben mir noch nicht das Wort ergriffen hat, springe ich letztendlich über meinen Schatten und frage: „Wohin gehen wir eigentlich?“

„Ach, ich weiß nicht“, antwortet er mit einem Schulterzucken und nachdenklichem Tonfall, als hätte er mir nicht richtig zugehört.

Ich bleibe abrupt stehen und mustere ihn skeptisch, während er das selbe bei mir tut. Fast ein wenig verzweifelt suchen meine Augen nach seinem Lächeln, aber es hat wohl gerade besseres zu tun, als sich in seinem Gesicht zu präsentieren. Der in Gedanken versunkene, untypische Ausdruck lässt ihn irgendwie älter aussehen. Und ich denke es nicht nur, sonder ich weiß, dass die Neuigkeit, von der er mir erzählen will, wohl doch nicht so spannend und aufregend, sondern eher bedrückend und seltsam sein wird. Eindeutig. Wahrscheinlich zerbricht er sich gerade den Kopf darüber, wie er es mir „schonend“ beibringt. Worum auch immer es geht.

Einige Minuten stehen wir nur still da und starren einander forsch an. Aber ich habe keine Lust mehr auf dieses Spiel. Der gut gelaunte, alberne Kyle ist mir lieber - und wenn er diese Rolle heute nicht übernehmen will, muss ich eben mal etwas Anderes versuchen und ihn aufheitern.

„Komm schon. Wir müssen los“, sage ich mit einem dämlichen Lächeln auf meinen Lippen, das dem ehrlich gemeinten Grinsen von Kyle vermutlich nicht im geringsten das Wasser reichen kann.

Dann nehme ich seine Hand und ziehe ihn hinter mir her.Bist das wirklich du, Chloe? Meine schüchterne, stille Chloe, die sich immer hundert Sorgen darüber macht, dass etwas anders verstanden wird, als es gemeint ist und sich in ihren Gedanken die peinlichsten, dämlichsten, schrecklichsten Szenarien ausmalt? Bist du es wirklich?

Scheint so, liebes Gewissen.
„Was hast du vor? Wo willst du hin?“, fragt Kyle verwirrt.
„Lass das mal meine Sorge sein“, antworte ich lächelnd.
Um ehrlich zu sein, fällt mir im Moment nur ein einziger Ort im Umkreis von Wennington ein, wo ich wirklich hingehen möchte. Aber ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, nachdem ich dort letztes Mal so gut wie zusammen gebrochen bin. Aber vielleicht finde ich heraus, warum das passiert ist, falls es noch einmal passiert. Dann muss es doch irgendeinen Grund dafür geben. Möglicherweise hat auch das, was er mir erzählen will etwas damit zu tun... Ach Quatsch. Wie wäre das denn möglich? Andererseits scheint mein Leben sich in letzter Zeit sowieso nicht unbedingt nur im Bereich des Nachvollziehbaren abzuspielen.
Stumm schweigend gehen Kyle und ich zur Bushaltestelle und als schließlich der richtige Bus anhält, nehme ich wieder seine Hand und ziehe ihn hinter mir her an einen Platz knapp vor der hinteren Tür. Er stellt keine weiteren Fragen und ist immer noch damit beschäftigt, über irgendetwas zu grübeln.
„Was auch immer du mir sagen willst, tu.... tu dir keinen Zwang an. Vielleicht will ich es nicht wissen, a-aber das kann ich im Moment nicht beantworten, also sag mir dann einfach, was los ist.“
„Wir sind auf dem Weg zu den Klippen, oder?“, fragt er ohne auf meine Worte einzugehen.
„Ja.“ Plötzlich zweifle ich stark daran, dass das ein guter Einfall war.

Jetzt wieder umzukehren, wäre allerdings noch seltsamer und schwer möglich in diesem Bus, der unabhängig von uns seine Runden dreht.

„Was ist das hier?“, frage ich und deute auf ein Schild, das neben einer weiteren, schmalen Asphaltstraße steht, die sich von unserem eigentlichen Weg abzweigt.

SternträumerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt