Kapitel 29

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Kapitel 29

„Aber was soll das heißen? Ich kann doch nicht einfach... Ja, schon gut... Nein, klar, natürlich freue ich mich... Es ist nur... Ja, ich weiß... Ich bezweifle, dass ihr das so viel Spaß machen wird, Papa... Okay, ich rede mal mit ihr. Bis dann.“ Sophie telefoniert – wie ich gerade herausgefunden habe – mit ihrem Vater, der sie wegen irgendetwas Wichtigem angerufen hat, aber sie klingt absolut nicht erfreut.

Eigentlich waren wir ja nach einer relativ langen und erfolgreichen Shoppingtour auf dem Weg zu ihr nach Hause, doch jetzt stehen wir an irgendeiner Kreuzung und rühren uns nicht vom Fleck. Die Einkaufstüten in meinen Händen scheinen immer schwerer zu werden, je länger wir hier stehen. Aber wenigstens konnte ich ein paar tolle Weihnachtsgeschenke ergattern.

„W-was ist los?“, frage ich, als sie den Anruf beendet hat.

„Das war nur mein Papa. Er hat für mich ein Vorstellungsgespräch für ein Praktikum in seiner Firma organisiert. Das einzige Problem dabei ist, der Termin wäre heute“, meint sie monoton. „Wieso denkt er nie daran, dass es auch noch wichtigere Dinge gibt als zu arbeiten? Ich wette, er hatte schon komplett vergessen, dass du da bist – er hört mir ja sowieso nie zu!“

„Hey, alles ist gut. Beruhig dich mal wieder. Ich komme einfach mit und warte derweil vor dem Besprechungsraum oder wie auch immer man das nennt. Das wird schon nicht so langweilig werden“, schlage ich vor.

Sophie schüttelt nur den Kopf. „Die lassen keine Fremden in das Gebäude, wenn sie keinen bestimmten Ausweis oder einen wichtigen Termin haben. Wenn, dann müsstest du vor dem großen Hochhaus warten. Und das sicher für dreißig Minuten – so lang dauert das Vorstellungsgespräch mindestens und wenn alles glatt läuft, müssen wir noch den ganzen Papierkram durchgehen, was sicher auch nicht allzu schnell gehen wird.“ Sie seufzt. „Das tut mir so leid. Ich wollte schließlich eine schöne Zeit mit meiner besten Freundin verbringen...“

„Ist schon okay. Wirklich. I-ich verstehe das. Geh du nur zu dieser Firma und ich werde derweil dein Weihnachtsgeschenk besorgen – da darfst du ja sowieso nicht dabei sein.“

„Meinst du das ernst? Ich kann dich doch nicht einfach so allein lassen, immerhin-“

Ich falle ihr ins Wort: „Sophie, hör einfach auf, mir zu widersprechen. Wann ist der Termin?“

„In ca. 45 Minuten. Aber das geht nicht, du-“, setzt sie nochmal an, aber ich lasse sie wieder nicht weiter kommen.

„Sei einfach leise oder ich überlege es mir anders und du bekommst dieses Praktikum nicht.“

„Okay... Danke, Kleines. Du bist die beste“, seufzt sie. „Ich sollte mich vielleicht gleich von hier aus auf den Weg machen, dauert eine Weile, bis ich dort ankomme. Treffen wir uns dann bei mir zuhause? Du kannst ja schon früher zurückfahren, wenn du möchtest – Mama ist zwar nicht zuhause, aber du weißt ja, wo der Ersatzschlüssel liegt.“

Wenige Minuten später stehe ich wieder in der Straßenbahn und fahre zurück Richtung Einkauszentrum. Als wir bei der Station Silver Alley angekommen sind, tragen mich meine Beine nach draußen. Doch kaum schlägt mir der frische Wind entgegen, erstarre ich. Ich kann mich nicht bewegen und selbst mein Atem geht nur ganz flach. Das Blut schießt durch meinen Körper und pocht laut an meinen Schläfen. Mein Herzschlag scheint sein Tempo mindestens um das Dreifache gesteigert zu haben.

Hier geht es nicht zum Einkaufszentrum. Ich hätte weiter fahren müssen. Ich kenne diese Straßen fast so gut wie mich selbst, wieso bin ich dann hier ausgestiegen?

Silver Alley...

Ich habe einen sauren Geschmack in meinem Mund und schüttele den Kopf. Endlich kann ich mich aus dieser Sperre lösen. Aber was jetzt? Ich atme tief ein und schließe die Augen.

SternträumerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt