Kapitel 2
Als ich meine Augen zögerlich öffne, überflutet mich das grelle Sonnenlicht, das durch die Fenster in das Wohnzimmer eindringt. Ich hätte die Vorhänge gestern wieder schließen sollen. Stöhnend setzte ich mich auf und komme zu der Erkenntnis, dass ich jetzt wohl nicht mehr weiter schlafen kann. Warte, was? Oh mein Gott, endlich habe ich es geschafft, wieder richtig zu schlafen! Ich bin zwar immer noch ein bisschen müde und erschöpft, aber in dieser Nacht hatte ich endlich wieder mal meine Ruhe. Falls ich geträumt haben sollte, kann ich mich nicht daran erinnern. Gute Stimmung fließt wie ein Fluss durch meinen Körper und ich wundere mich selbst, wie ich es geschafft habe, jetzt plötzlich so erholt zu sein. Aber diese Zufriedenheit ist leider nicht von Dauer. Die Erinnerungen von gestern donnern auf mich herab und sofort wird mir übel. Verzweifelt springe ich vom Sofa auf und renne suchend durch unsere gesamte Wohnung, obwohl ich innerlich weiß, dass das nichts bringt.
„Dad? Wo bist du?“, will ich schreien, aber irgendwie schaffe ich es nur, diese Sätze kaum hörbar auszusprechen.
Im Bad ist er nicht, in der Küche auch nicht, keine Spur von ihm in seinem, meinem oder im Wohnzimmer. Es ist wie es ist, er bleibt wohl verschwunden. Zitternd stolpere ich den Weg zurück zu meiner schwarzen Tasche. Okay, hier ist mein Handy, gut. Keine Nachricht, kein verpasster Anruf. Ich schlucke laut hörbar und fühle mich so allein wie noch nie zuvor. Das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein? Wo steckst du, Dad?
Langsam löse ich mich wieder aus dieser Starre und meine kalten Finger tippen am Display herum und versuchen erneut, ihn anzurufen. Mein Herz klopft schneller und es kommt mir so vor als würde es gleich zerspringen vor Neugier und Nervosität. Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, … Jetzt geh schon endlich ran! Nichts. Genau wie gestern folgt auf mein angespanntes Warten nur der Signalton und dann geht der Anrufbeantworter ran. Diesmal lege ich aber nicht gleich auf.
„Ich bin´s, Chloe. Wo steckst du nur? Dad? Ich... ich brauche dich. Ich mache mir solche Sorgen und... ich weiß einfach nicht, was hier vor sich geht... was das alles soll...“ Eigentlich will ich noch so viel mehr sagen, aber meine Stimmbänder verweigern mir ihren Dienst. Also lege ich wieder auf, ohne in der Lage zu sein, mich zu verabschieden.
Ein paar mal atme ich laut aus und ein, um mich zu beruhigen. Dann schließe ich für ein paar Sekunden die Augen, aber auch das hilft nicht wirklich. Sei kein solcher Jammerlappen, Chloe! Los, komm. Du weißt genau, was du zu tun hast.
Als erstes mache ich mich wieder frisch. Ich springe unter die Dusche und lasse das kalte Wasser gefühlte Stunden auf meine Haut prasseln. Wenn es nur die ganzen Probleme abwaschen könnte, die ich auf einmal seit gestern habe. Etwas später habe ich mich wieder angezogen, mich geföhnt, meine Haare in Ordnung gebracht und meine Zähne geputzt. Dann wird es Zeit für Schritt zwei meines Ich-bin-ein-starkes-Mädchen-und-komm-auch-allein-zurecht-Plans umzusetzen. Kurz überlege ich, ob ich vorher noch etwas essen sollte, aber das ist eigentlich das Letzte, auf das ich jetzt Lust habe. Mein Magen fühlt sich immer noch 10 Tonnen schwer an und ich habe Angst, mich wirklich übergeben zu müssen, wenn ich etwas zu mir nehme. Lassen wir es also lieber bleiben.
Okay, zugegeben: mein nächstes Vorhaben hat nichts mit eigener Stärke zu tun. Ich suche mir einfach mehr Unterstützung. Na ja, um diese zu bitten kostet mich dann wiederum doch eine enorme Überwindung.
Wie in Zeitlupe scrolle ich durch die Kontaktliste meines Handys und finde schließlich die Person, die ich in solchen Fällen angeblich immer anrufen kann und vielleicht auch eher anrufen soll. Meine Kehle droht mir wieder damit, sich zu zuschnüren und kein Wort hinaus zu lassen. Aber auf ihre Wünsche kann ich jetzt wirklich keine Rücksicht nehmen, ich muss sie dazu zwingen, ob sie will oder nicht.
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Sternträumerin
Mystery / Thriller"Hoffnung ist nichts weiter als der jämmerliche, verzweifelte Wunsch, dass sich die Dinge doch noch zum Guten wenden. Manchmal ist es die Hoffnung, die dafür sorgt, dass wir am Leben bleiben und nicht ganz den Verstand verlieren. Aber viel zu oft wi...