Die Tage vergingen ohne eine Nachricht von Sir Soylan. Jeden Morgen stand ich mit einer großen Hoffnung und Aufregung im Herzen auf, dass er wieder gekommen sei und ich endlich mit jemandem von den Rebellen selbst reden konnte. Doch jeden Abend ging ich ein wenig enttäuschter ins Bett.
Mein Vater hatte noch am selben Tag an dem wir im Kerker waren mit mir über mein Verhalten gesprochen. Zuerst war er ziemlich ungehalten und seine Wut hatte ich im ganzen Thronsaal knistern spüren können. Doch ich hatte ihn beschwichtigen können, indem ich behauptete, dass ich einfach einen Nervenzusammenbruch hatte und nicht mehr hatte klar denken können, zumal ich noch niemals zuvor mit angesehen hatte wie jemand gefoltert wurde. Immerhin war das ja nicht so weit entfernt von der Wahrheit. Dafür hatte er Verständnis gezeigt und als ich ihm versprach das nächste Mal nicht mehr so übertrieben zu reagieren, hatte sich sein Zorn gänzlich gelegt.
Seitdem hatte er aber keinerlei Anstalten gemacht meine Ausbildung wieder aufzunehmen. Vielleicht wartete er auf den passenden Moment um wieder mit mir in den Kerker zu gehen um zu prüfen, ob ich diesen Anblick nicht doch aushielt. Innerlich bereitete ich mich schon darauf vor wieder dort hin geführt zu werden. Durch mein Leben an Hofe hatte ich über die Jahre sehr oft vor dem Spiegel stehen müssen und mein königliches Lächeln üben müssen. Nun wusste ich wenigstens wozu meine Bemühungen gut waren. Wenn ich mich genügend anstrengte, würde mein Vater mir vielleicht meine gespielte Gefasstheit gegenüber dem Foltern abkaufen.
Meine Gedanken schweiften weiter ab zu meinem Vater. Wieso tat er so etwas? Wieso unterstützte er es, dass die Totenseher gefoltert wurden? Traurigkeit legte sich schwer um mein Herz. All die Jahre hatte ich keine Ahnung gehabt was für ein Mensch er wirklich war. Ich hatte die brave kleine Prinzessin gespielt und hatte alles geglaubt was mir erzählt wurde. Aber nicht nur das, ich hatte all die Jahre auch immer nur die Seite meines Vaters gesehen, die er mir gezeigt hatte. Mein Leben hatte sich darum gedreht, wie ich die perfekte Thronfolgerin würde. Zwar war das jetzt nicht anders, doch nun war es mir nicht mehr so wichtig.
Wenn Vater wüsste, dass ich eine Totenseherin bin, würde er dann dieselben Dinge mit mir machen lassen wie mit den Gefangenen im Kerker?, wisperte eine scharfe Stimme in meinem Kopf. Überfordert von meinen unbeantworteten Fragen und von meinen verletzten Gefühlen fuhr ich mir mit den Fingern durch die Haare.Ich war gerade dabei meine Runde durch den Palast zu laufen, in der Hoffnung, dass ich Sir Soylan durch Zufall doch begegnete, als ich den glockenhellen Klang von Kinderlachen hörte. Irritiert schaute ich mich um, denn hier im Palast lebten eigentlich keine Kinder. Gespannt horchte ich in die darauf folgende Stille hinein. Hatte ich mir das Lachen womöglich nur eingebildet? War ich mit den Nerven doch mehr am Ende als ich gedacht hatte?
Doch dann erklang es plötzlich erneut, gefolgt von dem sanften, zurückhaltenden Lachen einer Frau. Das hatte ich mir ganz eindeutig nicht eingebildet. Leises Murmeln drang an mein Ohr und instinktiv folgte ich den Stimmen. Wie durch ein Wunder wurde ich dadurch von meinen traurigen Gedanken und den schrecklichen Gefühlen in meinem Herzen abgelenkt.
Die Stimmen führten mich zu einer mit Rosen bemalten Holztür. Ich konnte mich nicht erinnern diese Tür schon einmal gesehen zu haben oder den Raum dahinter betreten zu haben. Noch eine traurige Tatsache über mein Leben über die ich mir lieber keine Gedanken machen würde. Obwohl ich nun schon mein ganzes Leben hier lebte, gab es noch immer Orte die ich nicht kannte.
Um meine aufkeimenden Zweifel und Ängste abzuschütteln legte ich entschlossen meine Hand auf die Türklinke. Zu meiner Überraschung ließ sich die Tür öffnen und ich trat zögerlich ein. Vielleicht hätte ich vorher doch lieber Klopfen sollen? Aber egal, jetzt war ich eh schon drinnen, dann würde ich mich wohl bei den Leuten entschuldigen müssen die hier im Raum waren.
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Grey Soldiers ~ Manipulation
FantasíaVor vielen Jahren nahm der König von Toron die schwangere Anführerin einer Rebellengruppe gefangen. Sie gebar im Kerker des Schlosses eine Tochter und starb bei der Geburt. Der König konnte es jedoch nicht übers Herz bringen die Kleine töten zu lass...