Kapitel 1 - Phillis

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„Phillis, jetzt schwing endlich deinen Arsch hier her", brüllte Richard, mein Freund. Seufzend schnappte ich mir einfach noch meine kleine Tasche und ging in den Flur. „Was brauchst du denn schon wieder so lange? Ich hab gesagt du sollst dir was vernünftiges Anziehen", sagte er und zog mich unsanft an sich. „Entschuldige", murmelte ich nur, um ihn nicht noch weiter zu verärgern. „Naja dort wird dich eh kein Kerl anschauen", lachte er gehässig. Ich schloss einfach nur kurz die Augen und versuchte keinen Mucks von mir zu geben. Richard war speziell, er war besitzergreifend und ich gehörte nunmal ihm. Dagegen konnte ich nichts sagen und das würde ich mich auch nicht trauen. „Können wir nun?", fragte Richard dann wieder und ich nickte stumm. Wir gingen zum Auto und fuhren los. „Hast du deine Karte, dein Handy und deinen Schlüssel?", fragte er mich unterwegs. „Ja", gab ich leise von mir. „Du lässt dein Handy an, keinen Flugmodus, verstanden?", sagte er streng. „Hmm", machte ich leise. „Phillis, hast du mich verstanden?", fragte er laut und packte meinen Oberschenkel. „Ja, keinen Flugmodus, nicht ausschalten", wiederholte ich und versuchte den Schmerz in meinem Bein zu ignorieren. Er hatte genau die Stelle gegriffen, an der immer noch ein großer blauer Fleck von seinem letzten großen Ausraster war. „Und wehe du schaust einen anderen Mann an oder redest mit einem", wiederholte er dann die nächste Regel, die es nunmal in unserer Beziehung gab. „Werde ich nicht tun, ich schaue nur dich an", sagte ich, um weiteren Schmerzen sofort aus dem Weg zu gehen. „Gut", sagte Richard und konzentrierte sich dann endlich auf die Straße.

Wir fuhren zu einer OpenAir Konzert Location in Berlin. Ich hatte mir das letztes Jahr schon gewünscht und Richard hatte mir einen Wunsch erfüllt, den ich schon lange hatte. Ich durfte ein Konzert von Wincent Weiss besuchen und das sogar ohne meinen Freund. Zwar nur aus dem Grund, dass er einen super wichtigen Geschäftstermin hatte, aber er vertraute mir und ließ mich alleine gehen. Gut, er fuhr mich hin, er holte mich ab und würde mich vermutlich alle drei Minuten orten, aber das war ja immerhin alles nur zu meiner Sicherheit. An der Location angekommen, parkte Richard und wir stiegen aus. „Ich hole dich um 22:30 hier wieder ab und sei ja nicht zu spät", sagte er und zog mich zu sich, um mich zu küssen. „Ich liebe dich", sagte er sanft und strich mir durch meine blonden Haare. „Ich dich auch", lächelte ich und legte meine Lippen nochmal auf seine, bevor ich in Richtung des Einlasses ging. Richard hatte mich selbstverständlich erst kurz vor Beginn des Konzertes hier her gebracht und so stand ich super weit hinten. Ich stand ziemlich alleine und doch machte sich eine angenehme Aufregung in mir breit, als die Bühne dunkel wurde und die Band mit Applaus begrüßt wurde. Und dann stand da der Mann, dessen Musik mir schon durch so viele schwierige Zeiten half und der für mich immer ein Halt war, obwohl ich ihn noch nie gesehen hatte. Ich genoss diese Freiheit, einfach anderthalb Stunden alle Probleme meiner Beziehung zu vergessen und einfach ich zu sein. Ich tanzte, zumindest ein bisschen, machte das ein oder andere Video und feierte einfach mit allen anderen Konzertbesuchern das Leben.

Viel zu schnell war dieses Ereignis dann aber schon wieder vorbei. Wehmütig betrachtete ich die nach draußen strömenden Menschenmassen und sah auf die Uhr. Es war erst 21:45 Uhr ich hatte also noch eine Menge Zeit, bis Richard mich abholen würde. Und ich müsste ihm ja nicht sagen, dass das Konzert schon viel länger vorbei war, als er dachte. „Was ein geiler Abschluss dieses Sommers", hörte ich ein Mädchen sagen, welches an mir vorbei ging. Ich zückte mein Handy und googelte. Stimmt, der Konzertsommer war schon wieder vorbei. Also für mich gab es keinen Konzertsommer, sondern lediglich dieses eine Konzert hier, aber für Wincent und seine Truppe war der Sommer vorbei.

Ich ging ein Stück weiter vor an die Bühne und beobachtete, wie die ganzen Kisten verräumt wurden. Ein paar weitere Mädels standen auch da und unterhielten sich. „Bist du ganz alleine?", hörte ich und fühlte mich erst gar nicht angesprochen, bis ich angetippt wurde und zusammen zuckte. „Hm?", machte ich und sah die drei Mädels an. „Ob du alleine hier bist", wiederholten sie. „Ja, mein Freund musste leider zu einem Termin", sagte ich dann und lächelte leicht. „Wer geht denn mit seinem Freund auf ein Konzert von Wincent", lachte die eine. „Tja, ehrlich gesagt bin ich froh, dass er nicht mitkonnte", schmunzelte ich, was alle nur noch lauter lachen ließ. Und in dieses Lachen steigerten wir uns rein, sodass ich mich fast wieder so unbeschwert fühlte, wie noch vor ein paar Jahren. Als mit Richard noch alles schön war und er der liebevollste Mann war, den ich kannte. Doch irgendwann hat er sich verändert und wurde zu dem schroffen, lauten und häufig schlecht gelaunten Menschen, der er heute nunmal war. Aber immer wieder war da wieder mein Richard, in den ich mich vor fast zehn Jahren verliebt hatte, mit dem ich mir mein gesamtes Leben ausgemalt hatte und der mich auf Händen trug. Manchmal war er wieder genau so liebevoll und zart, wie in unseren Anfangszeiten. Aber dann waren da eben die Tage, an denen er Kontrollfreak war und mich mehr als seinen Besitz ansah, als als seine Freundin. Und diese Tage waren die meisten unserer Beziehung. Die Tage, an denen ich immer mehr ein Schatten meiner selbst wurde, lernte nur noch nach Aufforderung zu sprechen und bloß keine Fehler zu machen.

Dein Zauber der Dich umgibt // Wincent Weiß FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt