6.1. Der Prolog

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Der Prolog ist das, worauf viele Autoren sich am meisten freuen, wenn sie gerade anfangen ein Buch zu schreiben. »Oh ja, ich schmeiß dem Leser jetzt schön viele Informationen hin, mit denen er absolut nichts anfangen kann. Muahaha! Ich bin der Gott dieser Welt! Ich mach was ich will! Ich schreibe es so spannend, dass man einfach weiterlesen MUSS!!!!!!!«

Hm, ja.

Nur vergessen viele, dass der Prolog auch irgendeinen Zusammenhang mit der Geschichte haben muss und dementsprechend am besten erst geschrieben wird, wenn man schon genau weiß, wie das Buch enden wird. Viele denken, dass es den Prolog nur gibt, um den Leser zum Lesen zu bringen. Ja, das stimmt. ABER ER HAT VERDAMMT NOCHMAL AUCH NOCH ANDERE FUNKTIONEN!!!!!

- Er soll dem Leser zeigen, in welchem Themenfeld er ungefähr gelandet ist (siehe vorheriges Kapitel).

- Er soll den Leser nicht mit Informationen vollmüllen, sondern ihm Informationen geben, die später in der Geschichte wichtig werden. Vielleicht versteht man am Anfang nicht, was das Ganze soll und wo da der Zusammenhang mit der richtigen Geschichte ist, aber das sollte SPÄTESTENS nach der Hälfte des Buches klar werden!!!!!

SPOILER ZU »JENSEITS DER ZEIT« VON CIXIN LIU!!!!!!!!!!!!

Das perfekte Beispiel für einen Prolog, der am Anfang absolut gar keinen Sinn ergibt. Also, wirklich nicht im geringsten! Erst in der Mitte des Buches fällt einem plötzlich auf »Moooooooooment, dasselbe Phänomen wurde im Prolog beschrieben. Mooooooment!!!!« Ihr habt keine Ahnung, welchen Puls ich hatte, als ich das gecheckt habe XD

SPOILER ENDE!!!!!!!!!!!!!!!!!

- Er soll den Leser nicht zu sehr verwirren, sondern ihn eher dazu bringen, sich die richtigen Fragen zu stellen. Zum Beispiel, ob diese oder jene Figur die Wahrheit sagt. Oder warum dieser Typ das gemacht hat.

Der Leser bekommt im Prolog meistens Informationen, die der Protagonist des Buches nicht hat. Entsprechend krass ist es also, wenn eine Figur, die im Prolog jemanden umgebracht hat, auf einmal beim Protagonisten auftaucht und sich als Freund ausgibt. Herzrasen beim Leser garantiert!!!!

Allgemein ist es ziemlich cool, wenn eine Figur aus dem Prolog später in der Geschichte wieder erscheint. Ihr könnt das auch tun ohne dass der Leser das überhaupt mitbekommt ;) Zum Beispiel könntet ihr im Prolog die ganzen Namen weglassen und euch einfach mit (vagen) Beschreibungen der dort vorkommenden Figuren zufrieden geben. Später erst erfährt der Leser dann zusammen mit dem Protagonisten, dass Figur X tatsächlich verantwortlich ist für Ereignis Y, das im Prolog beschrieben wurde. Als Folge denkt der Leser sich entweder »Wie dumm bin ich eigentlich!!!! Warum habe ich das nicht bemerkt!!!!!! Es war doch so offensichtlich!!!!« oder »Ha! Ich hatte recht! Jaaaaaa!«. Beide Fälle sind nur gut für euch als Autor :)

Der Prolog ist normalerweise um einiges geheimnisvoller und in einem anderen Schreibstil geschrieben als der Rest des Buches. Manchmal variiert auch der Erzähler. Mein Tipp für einen geheimnisvollen Schreibstil: Ein unsicherer Erzähler, der Sachen erzählt wie »Es schien fast so als würde...« oder »Wenn man genauer hinsah, hätte man erkennen können, dass...«. Außerdem viele Adjektive (aber nicht zu viele und nur passende) und um die Spannung etwas anzuheben mehr kurze Sätze. Die können auch einfach nur aus einem Wort bestehen. Dunkelheit.

Eure Aufgabe ist es, das, was ihr für den Prolog geplant habt, so gut zu verpacken, dass der Leser nicht zu verwirrt ist, aber gleichzeitig so verwirrt, dass er weiterlesen möchte XD Und bitte enttäuscht ihn dann nicht damit, dass der Prolog absolut gar nichts mit der restlichen Geschichte zu tun hat!!!!!

Die Handlung des Prologs muss auch nicht chronologisch an das erste Kapitel anschließen. Das Ereignis darin kann JAHRE vor dem ersten Kapitel stattfinden. Oder es spielt in der Zukunft, wo alles schon passiert ist und der letzte Satz lautet »Woher hätte ich damals wissen sollen, dass alles so enden wird?«. Oder es ist ein richtiges Kapitel aus dem Buch, das ihr einfach als Prolog nach vorne gezogen habt.

SPOILER ZU »DIESES BUCH IST GAR NICHT GUT FÜR DICH« VON PSEUDONYMOUS BOSCH!!!!!!!

Der Prolog des Buches heißt nicht »Prolog«, sondern einfach »Kapitel fünfzehn«. Und ja, ich habe mir nicht die Mühe gemacht, den Namen zu lesen, sondern direkt mit dem Text angefangen. Und ja, ich HABE mich gefragt, warum da auf einmal (aufgemalte) rausgerissene Seiten sind und wo Kapitel fünfzehn ist.

SPOILER ENDE!!!!!!!!!!!!!!!

Genauso gut könnt ihr eure Leser mit dem Prolog auch etwas glauben lassen, das eigentlich nicht stimmt. Zum Beispiel, dass eine Figur gestorben ist, die aber eigentlich nach dem Prolog noch weiterlebt (mit schweren Verletzungen o.Ä.). Oder dass eine Figur (der Mörder im Prolog) eindeutig schuldig ist und erst im Laufe der Handlung wird klar, dass diese Figur eigentlich dazu gezwungen (oder angeschwärzt) wurde.

SPOILER ZU »DRACHENELFEN – HIMMEL IN FLAMMEN« VON BERNHARD HENNEN!!!!!!

Ich war mehr oder weniger geschockt, als ich im Prolog gelesen habe, dass die Hauptfigur ihren Lehrer tötet, der ihr alles beigebracht hat, was sie jetzt weiß, und dem sie eigentlich die Treue geschworen hat. Ich konnte es einfach nicht glauben und habe das Buch dann innerhalb von drei Tagen verschlungen, bis ich dann am Ende erleichtert aufgeatmet habe. Es war nämlich doch nicht die Hauptfigur, sondern jemand anderes und ich hab mir gedacht »Natürlich, das würde sie nie tun. Natürlich ist es dieser *******. Warum bin ich nicht darauf gekommen?«.

SPOILER ENDE!!!!!!!!!!!!!

Wenn euer Prolog in der Vergangenheit spielt, solltet ihr darauf achten, dass alles konsistent ist, was das Alter der Figuren betrifft, die dort und später in der Handlung (also vermutlich einige Jahre später) auftauchen. Das gleiche gilt für Städte, die vielleicht noch nicht gebaut sind, und Wissen, das vielleicht noch nicht vorhanden ist.

Außerdem empfehle ich es NICHT, die gesamte Kindheit eurer Figur in den Prolog zu stopfen. Das interessiert mehr oder weniger keinen. Wenn es in der Vergangenheit ein wichtiges Ereignis gibt, könnt ihr das später in einer Rückblende oder einem Albtraum verpacken. Konzentriert euch eher auf Sachen, die etwas für eure HANDLUNG bedeuten und nicht für eine eurer Hauptfiguren.

Wenn euer Prolog in der Zukunft spielt, empfehle ich es euch DRINGEND, vorher schon das ganze Buch fertig geschrieben zu haben. Es kann nämlich ganz schnell passieren, dass sich trotz Planung einige Sachen ändern und dann seid ihr mehr oder weniger am Arsch, wenn ihr euren ganzen Prolog neu schreiben müsst, obwohl er ja ursprünglich der Grund dafür war, dass eure Leser das Buch überhaupt angefangen haben zu lesen.

Der Prolog ist praktisch der HEILIGE GRAL eures Buches. Viele Antworten befinden sich darin, aber man erkennt sie erst, wenn man den Weg durch das Labyrinth eurer Geschichte gefunden hat (oder die Hälfte davon). Prolog und Geschichte ergänzen sich sozusagen gegenseitig und irgendwann ergibt auf einmal alles einen Sinn!

Also: Gebt euch Mühe bei eurem Prolog und schreibt ihn notfalls ganz am Ende.

Eine Sache noch: Nicht jedes Buch braucht einen Prolog!!!!!! Viele kommen auch ohne aus, aber im Genre Fantasy ist das mittlerweile fast zu einer Tradition geworden XD Gerne könnt ihr den Prolog selbst auch in mehrere Teile oder Kapitel aufteilen, um es übersichtlicher zu machen. Zum Beispiel, wenn im Prolog selbst nochmal Zeitsprünge vorkommen.

Ich hoffe, ich konnte euch helfen :)

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