Kapitel 1 - Sir Worthington empfiehlt sich

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Das Anwesen der Tilbury's, Waterlilies Park, thronte inmitten einer gründen Landschaft, die von Buchen und Birkenalleen umgeben war. Die Artenvielfalt ließ nicht zu wünschen übrig. Amseln und Rotkelchen bauten sich singend ihre Nester in den Baumkronen, Füchse und Rehe suchten Unterschlupf im dichten Gehölz und der große See, östlich der Grafschaft gelegen, der Waterlilies Park seinen Namen gab, schmückte sich mit mehr als zwanzig Süßwasserfischarten. Lord Henry Tilbury, der Eigentümer des Anwesens, konnte sich seine Leidenschaft für die Natur und die Artenvielfalt nicht abgewöhnen. Jede freie Minute verbrachte er zwischen den Birken und Buchen, auf der Suche nach den kleinen Bewohnern seines Garten's. Seine jüngste Tochter Louisa, leistete ihm dabei regelmäßig Gesellschaft. Ihr immenser Wissensdurst glich dem ihres Vater's. Spielte das Wetter tagsüber nicht mit, verzog sich Lord Henry mit seinem jüngsten Sprössling in die hauseigene Bibliothek und steckte die Nase in eines der zahlreichen Lexika, die die wandhohen Regale säumten. Egal ob Fachbücher über Biologie oder Physik, jedes Wort wurde aufgesaugt, wie das menschliche Blut von einem Vampir.

Wenn Louisa sich nicht gerade hinter einem Buch versteckte, saß sie auf der Fensterbank ihres Zimmer's und ließ den Blick über die weite, grüne Landschaft streifen. Jeden Morgen, wenn die Sonne ihre ersten Strahlen über die Birken und Buchen schickte, tanzten die Mücken anmutig im hereinfallenden Licht. Louisa könnte diese eleganten Bewegungen stundenlang beobachten. Sie war sich bewusst, dass sie ihre Umgebung intensiver wahrnahm, als die anderen Menschen. Oftmals fing sie sich deshalb schiefe Blicke und Getuschel ein, trotzdem konnte sie sich nicht von dieser Charaktereigenschaft lösen. Lord Henry Tilbury bewunderte seine Tochter dafür und schätzte sie deshalb mehr als sich selbst. Ganz im Gegensatz zu Lady Helen Tilbury, die ihrem jüngsten Sprössling diese Flausen am liebsten austreiben würde. Dieser Wunsch wuchs in hier dahingehend, da sich Louisa inzwischen im heiratsfähigen Alter befand. Eine vorteilhafte Hochzeit, trotz ihres guten Standes, schien Lady Helen Tilbury nur allzu angemessen. Zu ihrem Leid, interessierte sich Louisa nicht sonderlich für eine gute Heirat. Die Älteste, Lucy Tilbury, bildete das komplette Gegenteil zu ihrer jüngeren Schwester. Vor zwei Monaten reiste sie mit Lady Allen, einer guten Freundin von Lady und Lord Tilbury, nach London. Diese beschloss, Lucy's Einführung in die Gesellschaft zu übernehmen und gleichzeitig nach einem geeigneten Ehemann Ausschau zu halten.

Währenddessen rühmte sich Lady Barton, ebenfalls eine gute Freundin der Familie und eine vermögende Witwe, der das schmuckhafte Anwesen Hardwell Abbey, südlich von Waterlilies Park, gehörte, die Männerwahl für Louisa Tilbury in die Hand zu nehmen. Leider ziemlich ungeschickt, wie die junge Frau feststellen musste. Der wandelnden Gerüchteküche von Somerset, schien es nur um das Vermögen zu gehen, welches der jeweilige Junggeselle mit sich brachte, eine Hand für Charakter und Aussehen bewies sie keineswegs. So leistete sie auch bei Sir Hugh Worthington einen grandiosen Fehlschlag. Der dickliche, junge Mann mit den roten Pausbacken, erinnerte an einen frechen, kleinen Junge, welcher dem Koch der Familie Worthington gerne einmal den Teig aus der Kuchenschüssel klaute. Er besaß weder Geschick im Umgang mit Frauen, noch interessierte er sich für die Welt um ihn herum. Seine gänzliche Aufmerksamkeit gehörte seiner selbst.

Mit zerknirschtem Gesichtsausdruck zwang sich Louisa seinen Anekdoten zu lauschen, während der Früchtetee in der kleinen Porzellantasse genauso desinteressiert wirkte, wie sie. Lady Barton hingegen schien von diesen langweiligen Geschichten garnicht genug zu bekommen. Vor Begeisterung waren ihre Augen weit aufgerissen und ihr geöffneter Mund erinnerte an die Karpfen, die im See von Waterlilies Park schwamm. Wehmütig rief sich Louisa das herrliche Anwesen mit den schmuckhaften Fassaden vor ihr inneres Auge. Zu gern würde sie jetzt zwischen den Birkenalleen und Buchenwäldern spazieren gehen, dem Vogelgezwitscher lauschen und in dem kleinen Pavillon nahe des See's ein Buch lesen. Ein verträumtes Lächeln zeichnete ihre Lippen. Jede erdenkliche Ablenkung von diesem schrecklichen Nachmittagstee war ihr willkommen.

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