Kapitel 17 - Ausflug ans Meer

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In den nächsten Tagen ließ es sich der Arzt des Dorfes nicht nehmen, des Öfteren bei den Tilbury's vorbeizuschauen, um sich ein genaues Bild von Louisa's Genesungsfortschritten zu machen. Tatsächlich rührten die Schwindelanfälle von dem lang anhaltenden Nahrungsentzug während ihrer Bettlägerigkeit. Dem Körper fehlte es an einigen Nährstoffen und Vitaminen, die für den Stoffwechsel unabdingbar waren. Deshalb wurden die Essensportionen der jungen Mrs. Tilbury verdoppelt, sodass sie schnell wieder zu Kräften kam, um an dem bevorstehenden Ausflug nach Berrow teilhaben zu können.

Der Oktober zeigte sich gnädig und schenkte Somerset ein paar letzte warme Tage und Sonnenstrahlen, sodass eine Fahrt an den Strand in Aussicht stand. Die Vorstellung sich die frische Brise um die Nase wehen zu lassen und den Geruch von Salz einzuatmen, stimmte die Herrschaften fröhlich. Bridget bereitete einige Lunchkörbe für die Fahrt nach an die See vor, während die Koffer fleißig mit dicken Schals und Hauben gefüllt wurden. Schließlich versprach das weite Meer kühle Temperaturen.

Louisa konnte es kaum erwarten, endlich dem Gefängnis, welches Waterlilies Park nun für sie bedeutete, zu entkommen. Ständig musste sie ihren Eltern von ihrem Gesundheitszustand berichten, Lucy's überschwängliche Besorgnis ertragen und Sir Edward Pembroke unter die Augen treten. Berrow lieferte ihr die Möglichkeit, diesem Gefühlsstrudel, der ihr Innerstes nach Außen kehren wollte, zu entrinnen. Leise summend tänzelte sie durch ihr Zimmer, packte Wollboleros und gefütterte Hauben zwischen derbe Baumwollkleider.

Ein Klopfen an ihrer Zimmertür unterbrach ihr ungestümes Verhalten. Lady Diana Stanhope steckte den blonden Haarschopf durch den Türspalt. Goldene Locken fielen ihr in die Stirn. „Louisa! Deine Wangen glühen ja wie bei einem jungen, verliebten Ding." Lächelnd schob sie ihren mittlerweile, stark gewölbten Bauch ins Zimmer und bedachte ihre beste Freundin mit einem verschwörerischen Blick. „Nun liebste Diana, die Vorfreude auf stundenlange Strandspaziergänge hat mich übermannt. Es scheint mir Ewigkeiten her zu sein, dass ich das letzte Mal das Meer erblickte." Louisa Tilbury dachte an die unbeschwerten Tage ihrer Kindheit zurück, an denen sie mit ihrem Vater nach Minehead oder Brean fuhr, die nackten Füße in die eisigen Wellen tauchte und Muscheln im nassen Sand suchte. Einige thronten noch immer in einer Schale auf dem Schreibtisch in Lord Tilbury's Arbeitszimmer. Lady Tilbury und ihre älteste Tochter hingegen genossen die langen Spaziergänge in den Heiden und an den Klippen, hoch über den gefährlichen Riffs, deren Felsen wie märchenhafte Riesen aus dem tiefen Blau ragten.

„Ist es nur die Vorfreude auf ein paar letzte warme Tage am Strand, bevor der Winter seine eisigen Klauen ausstreckt oder steckt mehr hinter diesen kirschfarbenen Wangen?" Lady Stanhope griff nach den Händen ihrer Freundin und zog Louisa widerwillig zu sich auf die Bettkante hinunter. Ihre Augen funkelten verschwörerisch. Die Tatsache, dass Diana die Einzige war, die von Louisa's Gefühlen für den Verlobten ihrer älteren Schwester wusste, machte sie in gewisser Weise zu ihrer engsten Vertrauten, der sie nichts verheimlichen konnte und durfte. „Ach meine liebe Freundin, deinem scharfen Verstand entgeht nichts. Doch heute irrst du dich. Nun da ich weiß, dass Sir Pembroke keinerlei Zuneigung für mich hegt, habe ich mir geschworen, keinen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden." Sofort nach ihrem Gespräch in Louisa's Zimmer, hatte sie Diana von seiner plötzlichen kühlen, unnahbaren Art berichtet, die ihr jegliche Hoffnung auf liebevolle Hingebung zunichte gemacht hatte.

„Geliebte Louisa, du weißt nur zu gut, dass dein Herz macht was es will. Es wird nicht auf deinen Kopf hören. Tief in dir drin hast du noch immer Hoffnung, seine Gunst zu erlangen. Ich merke es dir an." Trotzig sprang die junge Mrs. Tilbury vom Bett auf. „Glaube mir Diana, mein Herz ist vollkommen frei von seinen Händen."

Seufzend strich Lady Stanhope ihrer besten Freundin nochmals über den Haarschopf, bevor sie mit einem eindringlichen Blick, das Zimmer verließ. Sie glaubte Louisa Tilbury kein Wort und auch die junge Dame war sich ihrer Standhaftigkeit in Bezug auf Sir Edward Pembroke keinesfalls sicher.

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