Kapitel 13 - Unheil

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Der gemeinsame Ausritt würde Louisa sicherlich von ihrem Gedankensturm um Edward ablenken, dass redete sie sich zumindest mehr oder weniger erfolgreich ein, als sie mit Diana an ihrem Arm den Weg zum Fuße des Hügels hinab schritt. Der kühle Wind wehte ihr die dunklen Locken in die Stirn, doch selbst durch den dichten Haarschleier, konnte sie die kantigen Züge seines Gesichts detaillierter wie nie erkennen.

Die Pferde schienen den herannahenden Sturm zu wittern und scharrten unruhig mit den Hufen. Lord Cecil Stanhope und Edward Pembroke stiegen zeitgleich von ihren Rossen ab, als die Damen vor ihnen zum Stehen kamen. Um den schwarzen Rappen zu beruhigen, dessen Augen nervös wild hin und her rollten strich Louisa durch die dichte Mähne. Sein Puls raste unter ihrer Hand.

„Nun, vielleicht sollten wir die Kutsche holen lassen. Die Pferde scheinen mir ein wenig unbändig."äußerte Diana ihre Zweifel und beäugte die Rosse argwöhnisch. „Das ist leider nicht möglich, die Kutsche befindet sich bis zur nächsten Woche beim Reparateur, denn die Reifen haben den letzten Winter nicht überstanden."warf Louisa zerknirscht ein. Erneut warf Diana einen misstrauischen Blick auf die schnaufenden Rappen.

„Vielleicht ruhst du dich stattdessen lieber im Salon der verehrten Gastgeber aus. Schließlich bist du nicht in der Verfassung bei diesem Wetter zu reiten und womöglich einen Unfall zu riskieren." Cecil umfasste die Hände seiner Frau, nachdem er auf die Wölbung unter ihrem langen Rock deutete. „Oh Liebster, wie gütig von dir, dass du dir Sorgen machst. Aber ich kann Louisa nicht mit euch Wildfängen allein lassen, womöglich passiert meiner Freundin noch etwas." widersprach Diana und warf der jungen Mrs. Tilbury einen eindringlichen Blick zu. Louisa vermutete, dass sich ihre beste Freundin eher den Ausritt nicht entgehen lassen wollte.

Doch ihr Ehegatte ließ nicht mit sich diskutieren. Stattdessen bestand er darauf, Lady Diana Stanhope zurück zum Anwesen zu begleiten, sodass Edward Pembroke und Louisa Tilbury mit den Rappen zurück blieben. Gedankenverloren blickte die junge Frau dem Ehepaar hinterher, wie sie eng aneinander geschmiegt durch die Birkenallee spazierten, als würde kein Sturm sie trennen können. Wehmut überkam Louisa und der sehnliche Wunsch nach einer gleichartigen Liebschaft wuchs in ihr heran.

„Wollt ihr vielleicht auch lieber den Heimweg antreten, der dunkle Schweif am Horizont wird immer dichter." Sir Pembroke deutete auf den beinahe tiefgrauen Himmel, der sich über den Laubwäldern erstreckte. Tatsächlich fühlte sich Louisa ein wenig unbehaglich beim Anblick des herannahenden Sturm's. Edward's Blick ruhte auf ihr und die junge Mrs. Tilbury bildete sich ein, ein verschmitztes Funkeln in seinen tiefblauen Augen erkennen zu können.

„Nun Edward, wenn Sie Angst vor dem schwachen Lüftchen haben können sie natürlich gern ins Anwesen zurückkehren." Mit diesen Worten steckte die junge Dame den Fuß in den Steigbügel und schwang sich in den englischen Reitsattel. Der Rappe schnaubte, widerstrebte sich aber dem Gewicht auf seinem Rücken nicht. Sir Pembroke's Mundwinkel wanderten in die Höhe und er tat es ihr gleich.

Die Pferde trabten gemächlich über den Weg, der sich unter dem Dach der Birken und Buchen erstreckte. Die Steine, die sich unter den Hufen der anmutigen Tiere verfingen, klapperten. Louisa erlaubte sich einen unauffälligen Seitenblick. Mit Bewunderung musste sie feststellen, wie stattlich Edward Pembroke in seinem englischen Reitsattel saß. Seine lockigen Haare wehten im Wind, welcher ebenfalls seinen intensiven Duft nach Zedernholz zu ihr hinüber wehte.

„Reitet ihr schon lange?"begann er eine Konversation und erwiderte ihren Blick. Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln, welches Louisa's Herz wild hüpfen ließ. „Seit meiner Kindheit. Mein Vater brachte es mir bei, bevor ich laufen konnte. Und ihr?"
Augenblicklich verdüsterte sich Edward's Gesicht. Seine Familiengeschichte schien wie ein dunkler Schatten auf ihm zu lasten. „Mein Vater lehrte es mir ebenfalls. Einer der wenigen Momente, die wir gemeinsam verbrachten." Der trauernde Unterton in seiner melodischen Stimme schnürte Louisa die Brust zusammen.

Die junge Mrs. Tilbury überlegte zweifelhaft, wie sie die Dunkelheit aus seinen Gedanken vertreiben konnte. Die Idee kam ihr wie ein Geistesblitz. „Habt ihr Lust auf ein Wettrennen?" Schlagartig stahl sich das breite Grinsen zurück auf seinen rosigen Mund. „Welchen Weg schlagt ihr vor?"

Mit dem Kinn deutete sie auf die grüne Weite, die sich hinter der Birkenallee bis zum Horizont erstreckte. Die Schwärze der Wolken ignorierte sie gekonnt. „Querfeldein bis zum Waldrand, dort befindet sich ein Pavillon, der nicht mehr genutzt wird. Dieser wird unser Ziel ein."

Sie trieben ihre Pferde in die Richtung der offenen Weiden. Der Wind peitschte ihnen unbarmherzig ins Gesicht und riss an ihren Kleidern. Die Pferde schnaubten, während sie über die Wiesen preschten, wie Wildgewordene auf der Flucht. Anfangs hatte Louisa Mühe sich im Sattel zu halten, doch mit der Zeit festigte sie ihren Halt und hielt die Zügel sicherer in der Hand. Edward ritt mit seinem Rappen gleich auf und warf ihr immer wieder einen intensiven Blick zu, der Louisa's Welt jedes Mal aufs Neue auf den Kopf stellte. Des Öfteren musste sie ihre Augen von seinen losreißen, um den Rappe unter ihr zu lenken.

Je näher sie der Grenze des Besitztums kamen, desto stärker wurde der Wind und vereinzelt fielen Regentropfen vom Himmel. Die Temperaturen sanken schlagartig ab und Louisa hoffte von einer Unterkühlung verschont zu werden. Trotz der eisigen Kälte und dem aufkommenden Sturm, spürte sie die Freiheit wie ein reißender Strom durch ihre Glieder fließen.

In diesem Rausch schloss die junge Mrs. Tilbury die Augen, lauschte dem Stöhnen des Windes, während sich ihre Arme langsam ausbreiteten. Der Rappe preschte weiterhin über die Felder, jedoch fühlte sich Louisa sicher im Sattel. Das Gefühl der Unbesiegbarkeit breitete sich in ihr aus.

Plötzlich erhellte ein greller Blitz den Himmel, dem gleich darauf ein grollendes Donnern folgte. Der Rappe erschrak augenblicklich und erhöhte sein Tempo rasant, sodass Louisa die Kontrolle über den Hengst verlor. Panisch umklammerte sie die Zügel, während ihre Versuche das Pferd zu bremsen kläglich scheiterten. Edward rief über den tosenden Wind hinweg ihren Namen, doch sein Rappe fiel immer weiter zurück.

Erneut zuckte ein Blitz über den tiefdunklen Himmel. Bevor die junge Mrs. Tilbury reagieren konnte, stoppte das Ross und stieg auf die Hinterbeine. Ein Schrei entfloh ihren Lippen, bevor sie in die Tiefe fiel. Der Aufprall auf dem Boden raubte ihr die Luft, sodass sie nur noch ein erstickendes Hecheln von sich gab, während der Schmerz wiederholt durch ihren Körper zuckte. Der Regen prasselte auf sie herab. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie wie der Hengst erneut stieg, seine Hufe schwebten gefährlich nah über ihrem Gesicht. Ehe sie unheilbringend auf Louisa herabsausten, packten sie zwei Arme und rissen ihren erstarrten Körper zur Seite.

Sie landete auf einer weichen Brust, die keinem geringeren als Sir Edward Pembroke gehörte. Für einen Moment sahen sie einander an, während der Sturm über ihnen immer heftiger tobte. Dann holte der stechende Schmerz in ihrem Rücken Louisa zurück in die Wirklichkeit und sie verzog stöhnend das Gesicht. Edward half ihr vorsichtig auf die Beine, wobei sich jede Bewegung wie eine Qual anfühlte.

„Stütz dich auf mich!" bat Edward und legte ihren Arm um seinen Hals, sodass er ihr ein wenig Halt spenden konnte. Nahe des angrenzenden Buchenwaldes befand sich der Pavillon, der nun die durstigen Pferde mit einer Wassertränke versorgte. Gierig steckten die ängstlichen Hengste ihre Köpfe in das kühle Nass. Das halbwegs intakte Dach spendete ihnen einen trockenen und sicheren Schutz vor dem Unwetter, welches nun sintflutartig über der Grafschaft einbrach. Der Donner grollte immer lauter und die Blitze zuckten heller über den verhängnisvollen Himmel, der der Höllendecke ähnelte. Mit jedem Schritt schoss eine Welle des Schmerzes durch Louisa's Rücken.

Das Gras unter ihren Füßen verwandelte sich in matschigen Schlamm, aus denen sich ihre Füße nur schwerlich lösen ließen. Der Kraftaufwand raubte der jungen Mrs. Tilbury immer wieder den Atem, bevor ihre Knie schließlich einknickten. Edward fing sie auf, bevor ihre Beine endgültig versagten. Ihre Blicke trafen sich. Seine goldblonden Haarsträhnen klebten ihm triefend nass in der Stirn und betonten die markanten Wangenknochen. Der Versuch den Halt in den Füßen wieder zu finden scheiterte kläglich. Louisa's Körper brannte wie Feuer vor Schmerz. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Die Dunkelheit schien sie langsam für sich einzunehmen.

„Louisa! Bleib bei mir! Ich flehe dich an!"hörte sie Sir Pembroke's Stimme, die sich einen verzweifelten Weg durch den tosenden Wind bahnte. Doch sein Wunsch wurde nicht erhört. Bevor die junge Frau etwas erwidern konnte, riss sie die aufkommende Dunkelheit in eine unendliche Tiefe. Die Arme, die sich um sie legten und ihren Körper hoch hoben, spürte sie nicht mehr.

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