Kapitel 18 - Brennendes Herz

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Das Rauschen der Wellen weckte Louisa bereits in den frühen Morgenstunden. Die sanften Sonnenstrahlen erklommen langsam den Horizont und bahnten sich einen Weg durch das kleine Zimmerfenster. Louisa schlug die kratzige Wolldecke zurück und riss die Fensterläden auf. Der Geruch von Salz und Fisch stieg ihr in die Nase. Die junge Mrs. Tilbury lehnte sich so weit in die weiche Meeresbrise hinaus, dass ihr der Wind geschmeidig durch die braunen Locken fuhr. Noch nie bereitete ihr ein früher Morgen soviel Frieden und Ruhe, wie heute. Nicht einmal die schönen Buchen und Birken von Waterlilies Park ließen ihr Herz vor Freude so schnell klopfen.

Ihr Blick schweifte über den Strand, dessen Sand sich grau gefärbt hatte. Zwei Gestalten wateten zur frühen Stunde durch das Watt, vermutlich in ein Gespräch vertieft. Beim genaueren Betrachten erkannte Louisa Tilbury den Ehemann ihrer besten Freundin, Lord Cecil Stanhope und Sir Edward Pembroke. Aufmerksam verfolgte sie die Beiden mit ihren Augen. Natürlich wusste sie von dem engen, freundschaftlichen Verhältnis, welches die beiden, jungen Männer verband. Jedoch wollte Louisa nur zu gern wissen, welches Gesprächsthema zwischen ihnen entstanden war. Als würden sie ihrem Wunsch nachkommen, spazierten die Männer über den Holzsteg hinauf zum hinteren Teil des Gasthauses. Die junge Mrs. Tilbury versteckte sich eilig hinter dem dicken Stoffvorhang. Doch die Männer schienen so vertieft in ihr Gespräch, dass sie die junge Frau nicht einmal bemerken würden, wenn sie direkt neben ihnen gestanden hätte.

Je näher sie ihrem Fenster im ersten Stock kamen, desto deutlicher wurden ihre Worte. „Nun ich sagte ihnen bereits, dass das Meer eine heilende Wirkung für einen gestressten Städter hat. Es ist, als würden die Wellen all die Sorgen und Ängste mit sich davon tragen, die einen im Alltag belasten."warf Cecil Stanhope ein. Sie erklommen die Cliffs, hoch über dem Strand und ließen ihre Blicke über die See streifen. „Wie gern würde ich diesen Worten mit vollstem Herzen zustimmen. Doch mein verehrter Freund, wenn einem das Meer das Liebste genommen hatte, so spürt man doch eine gewisse Abneigung gegen das sanfte Rauschen der Wellen." Ohne lang darüber nachzudenken, worüber Edward Pembroke sprach, überkam Louisa eine Vorahnung. Erst wenige Monate sind vergangen, seit ihrem vertrauten Spaziergang zwischen den Rosenbüschen von Waterlilies Park. Trotzdem konnte sie sich vorstellen, dass Captain John Pembroke, Edward's Vater, seiner großen Liebe zum Opfer gefallen war. Schließlich hörte man oft von untergehenden Schiffen oder Piraterien auf hoher See. Die nächsten Worte gaben ihr schmerzlich recht.

„Nach dem mein Vater von den unbarmherzigen Wellen des Meeres in die Tiefe gerissen wurde, brachte die See Dunkelheit, Trauer und Schmerz über meine Familie. Meine Mutter erleidete eine andauernde Krankheit, die sie ans Bett fesselte und meine jüngeren Geschwister fielen unter meine Obhut. Dabei war ich gerade erst siebzehn Jahre alt und hatte keine Vorstellung, was Verantwortung bedeutete." Der Schmerz in Edward's Worten trieb Louisa die Tränen in die Augen. Wie gern wäre sie ihm um den Hals gefallen, hätte in seine ozeanblauen Augen gesehen und ihm versprochen, dass sein Leid bald ein Ende hatte.

„Und doch seid ihr zu einem stattlichen Mann herangewachsen, der sich seinem Willen sicher ist. Selten habe ich einen so adretten und zielsicheren Gentleman getroffen, wie euch Edward. Ich bin für eure Gesellschaft mehr als dankbar. Und oft beneide ich euch, für eure Herzenswärme und eure Ehrlichkeit."gab Lord Cecil Stanhope mit seiner warmen Stimme zur verstehen. Louisa erlaubte sich, ein Stück hinter dem Vorhang zum Vorschein zu kommen, um Edward Pembroke's Gesichtsausdruck betrachten zu können. Die Worte seines guten Freundes ehrten ihn. „Mein lieber Freund, wenn ihr doch ahnen könntet, wie oft ich meine Ehrlichkeit gegenüber der Menschen vergesse. Ich erwische mich dabei, Gedanken und Gefühlen nachzuhängen, die unehrenhaft für einen Gentleman sind. Dann überkommt mich die Angst vor mir selbst. Denn ich hege Wünsche, die ich mir nicht erlauben darf und doch wird es jedes Mal schwerer, dem Verlangen Stand zu halten." Nun war Louisa's Neugier gänzlich geweckt. Ihr Herz schlug ihr vor Aufregung bis zum Hals. Dabei schob sie den dunklen Vorhang noch ein Stück beiseite, übersah allerdings die knarzende Holzdiele vor dem Fenster. Das Geräusch durchbrach die Ruhe hoch oben auf den Klippen.

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