Kapitel 3 - Sir Edward Pembroke

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Lady Allen behielt recht. Der Tag, an dem Sir Edward Pembroke in Waterlilies Park eintraf, begann mit einem wundervollen Sonnenaufgang. Bereits am frühen Morgen schlich sich Louisa aus dem schlafenden Haus und spazierte durch die grüne Weite der Wälder bis zu einer Anhöhe, weit ab des Anwesens. Die Sonnenstrahlen erklommen nach und nach die Baumkronen und warfen ein warmes Licht über die Landschaft. Louisa atmete den frischen Geruch des warmen Septembermorgens ein. In den Momenten, die sie hier draußen, fern ab von allen Konventionen verbrachte, fühlte sie sich unendlich glücklich und frei. Hier konnte sie sich ins weiche Gras legen, die bauschigen, weißen Wolken beobachten und vor sich hin träumen. Keine Lady Barton konnte sie mit ihren Tiraden zur Weißglut bringen und hier zerrte sie auch nicht an Mutter's Nerven. In dieser unberührten Weite, war sie nur Louisa Tilbury, eine junge Frau, die die Natur liebte und allzu gern ihren Gedanken nachhing.

Der Horizont erstreckte sich hinter dem Hügel. Louisa drehte sich auf den Bauch und stützte das Kinn auf ihre Hände. Bilder zeichneten sich vor ihrem inneren Auge ab. Die junge Frau stellte sich vor, was sich hinter dem Horizont versteckte. Vielleicht ein unendlich weiter Ozean, dessen monströse Wellen an den Klippen brachen. Oder riesige Wüsten aus weichem Sand, der durch die Finger rann wie Wasser. Lord Henry Tilbury hatte seiner Tochter schon oft von den Gefahren außerhalb ihrer Grafschaft berichtet. Nicht jeder Mensch verfolgte das Gute und nicht jedes Land war sicher vor Krieg. Trotz allem wünschte sich die junge Mrs. Tilbury sehnlichst einmal in ihrem Leben die Grenzen von Somerset zu verlassen, auf ein Schiff zu steigen und über das weite Meer zu segeln. Lady Helen Tilbury verstand diese Attitüden ihrer Tochter nicht. Sie wägte sich im Schutz des Anwesens und setzt nur selten einen Fuß vor die Tür. Auch Lucy Tilbury packte die Reiselust nicht im gleichen Ausmaß wie ihre ungestüme, jüngere Schwester. Im Gegenteil, sie gab sich mit den Klängen ihrer Harfe und den berauschenden Bällen von Somerset zufrieden. Für Louisa Tilbury war nichts dergleichen genug, sie wollte soviel mehr, doch ihr Stand machte es ihr unmöglich so zu leben wie sie es sich wünschte.

Versunken in den Gedanken und die Augen auf ihr Buch gerichtet, bemerkte sie den Reiter, der sich ihr auf seinem Rappe näherte, erst als er von seinem Sattel abstieg. „Guten Tag."
Erschrocken fuhr Louisa hoch und blickte auf, direkt in seine tiefblauen Augen. Sie war sich sicher, noch nie ein schöneres Ozeanblau gesehen zu haben. Die silbernen Sprenkel in seiner Iris lieferten sich einen Wettstreit mit der dunklen Linie, die sich um seine Pupille zeichnete. Seine kantigen Gesichtszüge und die vollen Lippen, verliehen ihm ein göttliches Aussehen, wie es Louisa ausschließlich von Lady Barton's antiken Steinskulpturen kannte, die sich in ihrem Vorgarten tummelten. Umrahmt wurde das Gesicht des Fremden von goldbraunen Locken, die ihm vereinzelt in die Stirn fielen. „Guten Tag."antwortete sie leise und strich sich den Rock glatt, der von Gras und Erde befleckt war. „Tut mir leid, ich wollte sie nicht stören. Kennen sie zufällig den Weg nach Waterlilies Park?"Er deutete auf ihr Buch und schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. Sofort fingen die Schmetterlinge in Louisa's Bauch an zu flattern und zu tanzen. „Oh nein, sie haben mich keinesfalls gestört. Sie stehen bereits auf dem Besitz."Sein Grinsen wurde breiter und steckte die junge Mrs. Tilbury an. Ehrfürchtig drehte er sich im Kreis, um jeden Baum und jede Wildblume näher zu betrachten. „Wirklich? Kaum zu glauben, wie immens es ist." Louisa's Blick schweifte zu dem Rappe, der sich schnaubend über das saftige Weidegras beugte. Vorsichtig näherte sie sich ihm und strich über seinen muskulösen Hals. Die weiche Mähne kitzelte ihre Finger. „Was für ein schönes Tier." Der Fremde nickte. Das Ross hob seinen Kopf und rieb seine Schnauze an Louisa's Arm, was sie zum Lachen brachte. „Sie haben Glück, dass er so zutraulich ist. Normalerweise wahrt er Abstand zu Fremden."warf der junge Mann ein. „Mein Name ist übrigens Edward Pembroke."fügte er hinzu und streckte der jungen Frau seine Hand entgegen. Sofort traf Louisa der Schlag. Dieser gut aussehende Mann mit dem Londoner Akzent war also der Verlobte ihrer Schwester. Lächelnd ergriff sie seine Hand, die um einiges größer war als die ihre. „Louisa Tilbury, freut mich sie kennen zu lernen Sir Pembroke." Seine Stirn neigte sich auf ihren Handrücken und das weiche Haar kitzelte ihre Haut. Die Erkenntnis stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Sie müssen Lucy's Schwester sein. Sie hat viel von ihnen erzählt und scheint sie sehr zu bewundern."Dieses Kompliment trieb der jungen Dame die Röte ins Gesicht und sie senkte den Blick zu Boden, um sich nicht in seinem tiefen Ozeanblau zu verlieren.

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