Kapitel 9 - Mr. Arthur Egerton

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Heathermoore Abbey erwies sich als ein weitläufiges Anwesen, welches mehr einem Schloss statt einer Villa glich. Die zahlreichen Erker, deren Fenster sich in jegliche Himmelsrichtungen öffneten, schmückten die Türme mit den spitzen Dächern. Die Fassade des Hauses bröckelte, was Louisa auf die Witterungen der letzten Jahre zurückführte. Trotzdem war dem Anwesen inzwischen anzumerken, dass sich in seinen Winkeln und Ecken nun ein Besitzer aufhielt, der Leben in die kalten Räume hauchte. Mr. Arthur Egerton hatte mit der Erneuerung der Parkanlagen bereits seinen guten Geschmack bewiesen. Die Hecken führten einen geraden Schnitt und die weitläufigen Grasflächen bedeckten zahlreiche Wildblumen. Mit großer Bewunderung steckte die junge Mrs. Tilbury ihren Kopf durch das Fenster der Kutsche, die gemächlich über den steinigen Weg zum Anwesen holperte. Ab und an entfloh Lady Barton ein Stöhnen und sie hielt sich die Hand leidlich an die Stirn. Ihrem Magen machte das Geruckel des Gefährts offensichtlich zu schaffen.

Die Sonnenstrahlen wanderten über die hohen Buchen, die sich um Heathermoore Abbey ausbreiteten. Der wolkenlose Himmel versprach einen freundlichen Septembertag und Louisa nahm sich vor, Mr. Arthur Egerton unbedingt nach einem Spaziergang durch seinen Besitz zu überreden. Lucy Tilbury schien die Gedanken ihrer jüngeren Schwester lesen zu können. „Oh, seht euch nur dieses herrliche Wetter an. Mr. Egerton muss uns nach dem Tee unbedingt durch seinen Garten führen." Sir Edward Pembroke griff lächelnd nach den Händen seiner Verlobten. „Ich bin mir sicher, es wäre ihm eine Ehre." Lady Barton schnaubte verächtlich. „Nun ich gebe mich erst einmal damit zufrieden, bald dieses Teufelsgefährt verlassen zu können. Ich werde Mr. Arthur Egerton sofort über den schlimmen Zustand seiner Wege informieren." Louisa Tilbury verdrehte genervt die Augen. Lady Barton schien das Wort Zufriedenheit wahrlich nicht zu kennen.

„Nun Lady Barton, das würde ich an ihrer Stelle sein lassen, schließlich wollen wir unserem Gastgeber doch nicht gleich unsere schlechteste Seite offenbaren."zischte Lucy und warf der Witwe von Hardwell Abbey einen kühlen Blick zu, der Louisa's Glieder einfror. Ein Schauer glitt ihren Rücken hinab. Inzwischen musste sie ihrer guten Freundin Lady Diana Stanhope recht geben, Lucy hatte sich seit ihrer Ankunft aus London tatsächlich verändert. Lady Barton wandte den Blick aus dem Fenster und verschränkte die Finger krampfhaft ineinander. Ihr war anzusehen, dass sie die Worte der älteren Mrs. Tilbury getroffen hatten. Mitleid ergriff Louisa, auch wenn die Witwe oftmals an ihren Nerven riss, würde sie es nie wagen, ihre Gefühle zu verletzen. Mit einem Augenmerk auf ihre ältere Schwester, bemerkte Louisa wie gleichgültig Lucy Tilbury die Betrübtheit von Lady Barton aufnahm. Sie beschloss unbedingt ein ernstes Wörtchen mit Lucy zu reden, sobald ihnen ein paar Minuten in Zweisamkeit genehmigt wurden.

Edward Pembroke hatte den Blick ebenfalls nachdenklich aus dem Fenster gerichtet. Seine Hand hatte sich von Lucy's gelöst, woraus Louisa schloss, dass er über ihren Ton ebenfalls schockiert war. Sie konnte nicht vermeiden, ihre Augen auf ihn zu richten. Sein goldblondes Haar hatte an Länge gewonnen und fiel ihm in einzelnen Locken in die Stirn. Im hellen Sonnenlicht vollführte das Tiefblau seiner Iris einen Wettstreit mit den silbernen Sprenkeln rund um seine Pupille. Ihr Herz schlug augenblicklich höher, als er sein Gesicht der jungen Mrs. Tilbury zuwandte. Eilig lenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die vorbeiziehende Landschaft von Heathermoore Abbey und malte sich in Gedanken, bereits den Nachmittag bei Mr. Arthur Egerton aus.

Als die Kutsche vor dem mannshohen Anwesen zum Stehen kam, konnte sich Louisa von dem majestätischen Anblick des Gebäudes kaum lösen. Dabei war sie in seine Schönheit so vertieft, dass sie die letzte Stufe der Kutsche übersah. Ein Aufschrei entfloh ihr, doch bevor sie unsanft auf dem Boden landete, umfassten sie zwei Arme. Ihre Hände stützten sich auf eine starke Brust und als sie aufsah, umfingen Louisa die stürmischen Wellen eines tiefblauen Ozeans. Edward war ihrem Gesicht so nah, dass sie seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Die Welt um sie herum stand für einen kurzen Moment still. Keine Stimmen ertönten, das Zwitschern der Vögel verstummte. Die junge Mrs. Tilbury verlor sich in der Tiefe seiner Augen, ohne die Aussicht je wieder einen Weg herauszufinden. Der unstillbare Drang ihre Lippen auf seine zu legen überkam Louisa und je lauter auch die Stimme in ihrem Kopf schrie, dass es falsch sei, sie konnte sich einfach nicht von dem Wunsch lösen.

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