Nachdem sich das Gespann der Tilbury's und Pembroke's mit frischer, köstlicher Bowle versorgt hatte, verabschiedeten sich Lord Henry und Lady Helen kurz vor Beginn der Oper und erklommen die Stufen zu den Logen, die sich halbrund um den Parkettsaal und die Bühne formten. Rote Vorhänge bauschten sich in den Rahmen auf und offenbarten Blicke auf die wohlhabenden Gäste, die sich einen Platz in den beliebten Logen des Savoy Theatre leisten konnten. Doch auch der Parkettsaal hatte einiges zu bieten. Goldfarben erstreckten sich die Wände mehrere Meter in die Höhe, bis sie schließlich in einer kunstvollen Decke aufeinander trafen. Das Herzstück bildete die weitläufige Bühne, deren Kern noch von einem riesigen, tiefroten Vorhang verdeckt wurde. Louisa konnte ihren Blick nicht von der meisterhaften Architektur trennen. Selbst als sie bereits saß, wanderten ihre grünen Augen hin und her, saugte jeden glitzernden Kristall des imposanten Kronleuchters auf, in dem sich das Licht tausendfach brach. So etwas wahrhaft Schönes hatte sie noch nie zuvor zu Gesicht bekommen.
„Wahnsinn!"entfuhr es ihr leise. Edward Pembroke, welcher neben ihr saß, schenkte ihr ein vorsichtiges Lächeln. „Wunderschön nicht?" Sie nickte nur und bemerkte nicht, dass der junge Sir Pembroke keineswegs Augen für die schöne Umgebung hatte, sondern seine Aufmerksamkeit gänzlich Louisa galt. Georgiana erkannte dies sehr wohl und erfreute sich innerlich der Tatsache, dass Louisa zwischen ihr und Edward saß. Gerade als sie zum Sprechen ansetzte, ertönten die kraftvollen Klänge der Streichinstrumente, die die Ouvertüre einläuteten. Gefangen von der Melodie versank Louisa in der Musik. Der Vorhang öffnete sich langsam. Stimmen durchfluteten den Saal, schufen eine Geschichte geprägt von Dramatik und Spannung. Gebannt hingen die Gäste an den Lippen der Opernsänger, schnappten jeden Handlungsfetzen auf und verlangten gierig nach mehr.
Louisa wollte sich gern gänzlich der Magie des Stücks hingeben, doch sie blickte immer wieder zu Edward. Innerlich verfluchte sie Georgiana dafür, dass ausgerechnet Louisa neben dem jungen Mann saß, wo die junge Miss Pembroke doch in das Vorhaben von Miss Tilbury eingeweiht war. Und doch schwelgte in ihr gleichzeitig die Freude darüber, ihm so nah sein zu dürfen, ohne von der Last der Schuld erdrückt zu werden. Bevor sie sich versah, gab sie sich der Schwärmerei für den zukünftigen Ehemann ihrer älteren Schwester hin. Der Klang der Streicher und der tiefe Gesang Othello's drangen nur noch aus weiter Ferne an ihr Ohr. Sie spürte ein Kitzeln an ihren Fingern und sah auf ihre Hand hinab. Edward strich sanft über die Stelle zwischen ihrem Zeigefinger und Daumen, den Blick aus seinen blauen Augen unverwandt auf sie gerichtet. In diesem Ozeanblau funkelte kein leichter Schimmer, Louisa erkannte ein nie da gewesenes Lodern, dunkel und begierig. Sie spürte wie die Luft zwischen ihnen knisterte, hörte das Herz in ihren Ohren lauthals trommeln.
Geistesgegenwärtig bemerkte sie, wie sich Edward zu ihr hinabbeugte. Seine Lippen streiften ihr Ohr, ein Prickeln floss Louisa's Nacken hinab und zog eine flammende Spur über ihren Rücken. Sein heißer Atem streifte die weiche Haut an ihrem Haaransatz und ein nie dagewesenes Brennen ließ ihre Schenkel beben. Dieses Gefühl war verboten, das wusste die junge Miss Tilbury sofort, doch sie konnte sich nicht wehren, so berauscht fühlte sie sich. Schließlich glitt seine raue Stimme an ihr Ohr. „Ich will dich." Drei Worte, die in Louisa ein Gefühl der Verzweiflung auslösten, sie wollte mehr, sie wollte alles von ihm. Sie wollte nur ihn. Er stand auf und zog Louisa mit sich. Keiner der Gäste interessierte sich für das Paar, welches den Klang der Oper hinter sich ließ. Nur Georgiana konnte sich ein verschmitztes Grinsen nicht verwehren.
Im Foyer des Theaters drangen die Geräusche nur noch gedämpft an ihre Ohren. Niemand außer Louisa und Edward hielt sich abseits des Saals auf. Trotzdem lauschten sie angespannt etwaigen sich nähernden Schritten. Doch kein Laut war zu vernehmen, nur das Knistern unterdrückter Leidenschaft, bereit sich endlich aus seinen Fesseln zu befreien, erfüllte den Gang. Edward und Louisa standen so nah beieinander, dass kein Haar mehr zwischen sie passte. Seine Stirn lehnte an ihrer, seine Brust hob und senkte sich gegen ihre. Ein seltsames Gefühl der Erleichterung überkam Louisa, als sie sich endlich seinem blauen Ozean hingab und nicht mehr gegen die Strömung schwamm.
„Ich hab so lang versucht meine Gefühle zu bekämpfen."flüsterte sie. „Aber ich habe keine Kraft mehr, sie sind einfach zu stark. Mein Verstand kommt nicht gegen mein Herz an."
Edward hauchte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.
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Liebe und Verstand
Ficción históricaDem zukünftigen Mann der Schwester zu verfallen, schickt sich nicht für eine Dame ihres Standes. Dessen ist sich Louisa Tilbury bewusst, doch die tiefblauen Augen von Sir Edward Pembroke bringen die junge Frau immer wieder um den Verstand. Dass ausg...