Kapitel 22 - Wünsche

208 14 0
                                    

Nachdem sie in den Tanzsaal zurück kehrte, hielt Louisa Ausschau nach Mr. Arthur Egerton, der in ein Gespräch mit Lord Henry Tilbury vertieft schien. Der Besitzer von Waterlilies Park schien Gefallen an dem Gutsherren von Heathermoore Abbey zu finden. Louisa stellte sich vor, welche Themen ihre Aufmerksamkeit wohl beanspruchten und vermutete, dass sie sich über die anstehende Jagdsaison sowie Arthur's Leben in London unterhielten. Vorsichtig näherte sie sich den Beiden, bis sie der junge Gentleman bemerkte. Das Grinsen auf seinen Lippen wurde breiter. Er entschuldigte sich bei Lord Henry Tilbury und wandte sich zu Louisa um. „Ich muss zugeben, dass ich ihre Gesellschaft sehr vermisst habe, auch wenn ihr Vater ein überaus interessanter Mann ist." meinte Arthur und legte ihr eine Hand auf den Rücken, was in Louisa ein merkwürdiges Gefühl der Freude auslöste. „Ach wirklich? Dabei war ich keine Stunde fort."erklärte sie und betrachtete die Tänzer, die sich zu einem sanften Walzer wogen. Plötzlich verspürte sie die große Lust, ebenfalls das Tanzbein zu schwingen. Auf ihrer Karte hatte sich noch kein Mann eintragen lassen. „Nun jede Sekunde, die ich gezwungen bin ohne sie zu verbringen, fühlt sich qualvoll, wie die schlimmste Folter auf Erden an." Die junge Mrs. Tilbury wurde puderrot und senkte den Blick. Arthur Egerton wusste genau, welche Worte er wählen musste, um eine feine Dame in Verlegenheit zu bringen. Als Louisa ihren Kopf wieder hob, trafen sie Edward Pembroke's tiefblaue Augen und für einen kurzen Moment hielt sie den Atem an. Dann riss sie Arthur aus ihrer Schockstarre, indem er eine Hand auf ihrer Schulter ablegte. „Louisa? Geht es ihnen gut?" Immer noch benommen nickte die junge Frau. „Verzeiht mir, ich war in Gedanken, was sagtet ihr?" Arthur grinste breit und seine Wangen färbten sich leicht rosig, als wäre es ihm peinlich, was er nun wiederholen musste. „Nun ich wollte fragen, ob sie mir ihren ersten Tanz auf ihrer Karte schenken? Wie ich sehe ist sie noch unberührt."

Mit einem Blick auf die beige Karte mit den kleinen Verzierungen, nickte sie. „Natürlich, Arthur. Es wäre mir eine Freude mit ihnen zu tanzen." Stolz trug der junge Besitzer von Heathermoore Abbey seinen Name in dem kleinen Feld ein und hielt ihr mit einer leichten Verbeugung den Arm hin. „Wenn ich bitten darf, Mrs. Louisa Tilbury?" Sie hakte sich bei ihm ein und gesellten sich zu den restlichen Tänzern, deren Gesichter bereits von zarten Schweißperlen benetzt waren. Über ihren Köpfen glitzerte ein polierter Kronleuchter. Gerade stimmte das Streichquartett eine weitere zarte Melodie an, die von den sanften Klängen des Flügels begleitet wurde. Mr. Arthur Egerton stellte sich als begabter Tänzer heraus. In seinen Armen schien Louisa Tilbury über das Parkett zu fliegen. Geschmeidig drehte er sie im Kreis. Sir Edward Pembroke betrachtete das Geschehen mit angespannter Haltung. Nicht, dass er es Louisa nicht gönnen würde, dass sie glücklich war, was ihm mit ihrem breitem Lächeln nicht entging. Doch ihm schien, Arthur Egerton war der falsche Grund. Zugegeben, Edward hatte sich ihr gegenüber ungehobelt verhalten, denn er wusste, dass Louisa kaum etwas von Bevormundungen hielt, während Arthur zuvorkommend wie ein Gentleman war. Aber er wünschte, sie könnte den Besitzer von Heathermoore Abbey so sehen, wie Edward es tat. Allerdings musste er sich ebenfalls eingestehen, dass sich ein nagendes Gefühl von Eifersucht in seiner Brust breit machte, auch wenn er sich dafür in Grund und Boden schämte. Doch Louisa lockte tiefe Gefühl in seinem Inneren hervor, die er zuvor noch nie verspürt hatte.

„Mein Liebster..."Lucy trat an ihn heran, die Wangen bereits rosig von der köstlichen Bowle. „...warum stehst du abseits der Gesellschaft? Möchtest du dich nicht an Vater's Gespräch mit Lord Mountbatten über die neuen Jagdgründe in Somerset beteiligen?" Sie umfasste seinen Arm und er musste unwillkürlich lächeln. Auch wenn Lucy so einige Macken und üble Launen besaß, war sie doch eine wunderbare, aufmerksame Frau. Doch sie schien ihn kein Stück zu kennen. „Nein meine Liebe, ich genieße lieber die Klänge des Streichquartetts und schwelge in Gedanken."erklärte er und warf einen weiteren Blick auf die tanzende Gesellschaft. Louisa und Arthur stachen unwillkürlich hervor, wie ein buntes Pfauenpaar. Zu gern, hätte Edward seinen Platz eingenommen. Seine Fingerspritzen kribbelten als er an das freudige Gefühl in seinem Inneren dachte, wenn er Louisa über das Parkett fliegen lassen könnte. Noch immer führte er sich die Erinnerung an den beinahe geschehenen Kuss am Strand von Berrow vor Augen. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, welches Lucy glücklicherweise entging, da sie sich voll und ganz Lord Mountbatten's Frau zuwandte.

Der Walzer hatte inzwischen geendet und Louisa betrachtete Arthur leicht außer Atem. In dem engen Tanzkleid breitete sich die Hitze aus, die unwillkürlich auf ihren Körper überging. Schweiß hatte sich auf ihrer Stirn und in ihrem Nacken gebildet, den sie mit einem Taschentuch trocknete. „Ihr seid ein wirklich formidabler Tänzer, Arthur."lobte sie den Besitzer von Heathermoore Abbey. Dieser lächelte dankend. „Nun, wenn man die passende Partnerin hat, fällt einem das Talent wortwörtlich vor die Füße." Das Parkett lichtete sich, da das Streichquartett sowie die ernst dreinblickende Pianistin eine kurze Pause einlegten. Louisa ertappte sich abermals bei der Bewunderung von Mr. Arthur Egerton. Er schien wirklich im Reichtum zu schwelgen, wenn er sich eine derartige Aufmachung für einen Willkommensball leisten konnte. Bei ihrem ersten Treffen, hatte er nichts von seinem Vermögen berichtet. Auch Lady Barton erwähnte nichts darüber. Edward's Worte hallten plötzlich in ihren Ohren wieder: Und doch scheinst du ihn kein Stück zu kennen.

Sie musste sich eingestehen, dass der Verlobte ihrer älteren Schwester recht hatte. Sie kannte Arthur kaum und es wäre sicherlich übertrieben, ihn als guten Freund zu bezeichnen, in den sie vollstes Vertrauen legte. Doch er hatte eine Art an sich, die sie verzauberte und ihr das Gefühl gab, ihn schon ewig zu kennen. Sich ermahnend, nicht den ganzen Abend in solchen Gedanken zu schwelgen, schritt Louisa auf das bauchige Glas, welches mit einer tiefroten Köstlichkeit gefüllt war, zu und genehmigte sich eine Kelle Bowle. Sie schmeckte himmlisch nach Waldbeeren und Wein. Gerade als sie genussvoll die Augen schloss, drang eine altbekannte Stimme an ihr Ohr. „Es ist schön zu sehen, dass du mit diesen kleinen Dingen zufrieden zu stimmen bist." Edward schenkte ihr ein warmes Lächeln, welches Louisa's Herz augenblicklich schneller schlagen ließ, auch wenn sie ihm sein ungehobeltes Verhalten noch immer übel nahm. „Lernt man die kleinen Sachen nicht zu schätzen, ist man die großen nicht wert."antwortete die junge Mrs. Tilbury bemüht emotionslos und wandte sich der Gesellschaft auf dem Parkett zu, die nun wieder das Tanzbein schwang.

Edward bemerkte ihren abweisenden Ton und das schlechte Gewissen machte sich in ihm breit. „Verzeih mir mein unangebrachtes Verhalten von vorhin, es stand mir nicht zu, dich zu bevormunden." Louisa bedachte ihn mit einem langen Blick aus ihren haselnussbraunen Augen. Dann lächelte sie leicht. „Ich vergebe dir Edward, du meintest es nur gut mit mir und dafür bin ich dir überaus dankbar." Stillschweigend nippten sie an ihrer Bowle und lauschten den Klängen der Streicher. Gerade als Edward über seinen Schatten springen und Louisa einen Tanz anbieten wollte, wurden sie von Lucy unterbrochen. Mit einem breiten Lächeln umfasste sie die Schultern ihrer jüngeren Schwester. „Oh Louisa, Arthur und du habt ein wundervolles Paar abgegeben. Ihr seid wie füreinander geschaffen, man hat die Leichtigkeit in eurem Tanz förmlich gesehen." Louisa bedankte sich mit einem breiten Lächeln für das Kompliment. Dann wandte sich die ältere Mrs. Tilbury an ihren Verlobten. „Lass uns tanzen Ed, ich möchte genauso strahlen wie Arthur und meine Schwester." Eher zögerlich ließ sich Sir Pembroke von Lucy aufs Parkett ziehen, denn er verspürte keine große Lust zu tanzen. Louisa betrachtete das Spektakel ein wenig belustigt. Eine leise Stimme in ihrem Kopf musste sich eingestehen, dass sie gern an Lucy's Stelle gewesen wäre. Edward stellte sich als überaus begabt heraus, der sogar mehr Talent als Mr. Arthur Egerton an den Tag legte. Mit einem kleinen Stich in der Brust, stellte sich Louisa an eines der deckenhohen Fenstern und verfolgte jeden einzelnen Schritt des Paares.

Sie liebte ihre Schwester Lucy mehr als alles andere, denn sie war ihre engste Freundin und Vertraute. Gemeinsam gingen sie durch dick und dünn und hatten schon einige Streitigkeiten, Missverständnisse und Diskussionen hinter sich gebracht. Beide waren einander viel näher als es oftmals den Anschein hatte. Sobald eine von ihnen seelische oder physische Schmerzen verspürte, schien es der anderen ebenfalls schlecht zu gehen. So wirkte es zumindest, als Louisa von dem schrecklichen Virus geplagt wurde. In diesen qualvollen Wochen trug Lucy Leichenblässe im Gesicht und aß kaum etwas von dem gekochten Rind und dem gegarten Gemüse, das Bridget anrichtete. Ihre Seelen schienen mit einander verknüpft zu sein, wie die Fasern eines Kleides. Ohne den Faden daneben, könnte der Stoff nicht halten. Seufzend nippte Louisa an ihrer Bowle und genoss die Wärme, die ihre Kehle hinab rann. Und trotzdem hegte sie einen einzigen, egoistischen Gedanke in ihrem Inneren, der ihrer älteren Schwester das Herz brechen würde: Sie liebte Lucy's Verlobten Sir Edward Pembroke.

Liebe und VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt