Kapitel 2 - Freudige Ankündigung

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Die Sonnenstrahlen hatten kaum den Horizont erklommen, da war Louisa schon auf den Beinen und eilte von Fenster zu Fenster, mit der Hoffnung, im nächsten Moment Lucy's und Lady Allen's Kutsche in der Ferne zu entdecken. Die Vorfreude schoss durch ihre Glieder und Adern, beflügelte ihr Herz und zauberte ihr ein strahlendes Lächeln ins Gesicht. Die letzten Tage vergingen quälend langsam, seit die Tilbury's das Telegramm aus London erreicht hatte. Minuten fühlten sich wie Stunden und Tage wie Jahre an. „Kind, deine Nervosität reißt an meinen Nerven."beklagte sich Lady Helen Tilbury und verfolgte mit leidendem Blick ihre aufgehetzte Tochter. Louisa allerdings war die Gemütslage ihrer Mutter gleich. Stattdessen freute sie sich über den frischen Schwung, den die Ankündigung von Lady Allen's und Lucy's Rückkehr, in Waterlilies Park einher brachte. Endlich wurde die trübe Langweile aus den Räumen des Anwesens weggeblasen. Die junge Mrs. Tilbury hoffte gespannt auf die Neuigkeiten, die aus London mitgebracht wurden. Schwärmend stellte sie sich vor, wie ihre ältere Schwester in herrlichen Kleidern auf Bälle ging, mit stattlichen Generälen tanzte, feinste Köstlichkeiten verspeiste und die Unmengen an Londoner Bibliotheken besuchen konnte. Vielleicht hatte sie Louisa sogar eine Kleinigkeit mitgebracht. Am liebsten hätte die junge Frau ihre Schwester in die Metropole begleitet, doch Lord Henry Tilbury und Lady Helen Tilbury hätten niemals zugelassen, dass ihre jüngste Tochter das Anwesen geschweige denn die Grafschaft Somerset verließ. Diese Überbehütung wirkte zumeist ziemlich anstrengend und nervtötend auf Louisa. Schließlich war sie mit ihren 20 Jahren kein Kind mehr. Trotz allem liebte sie ihre Eltern.

Die Tilbury's saßen gemeinsam mit Lady Barton gerade am Mittagstisch. Gemüsesuppe und Brot verströmten einen herzhaften Geruch in der Luft. Bis auf Lady Barton's unangenehme Stimme, erfüllte kein Ton den Raum. Sie verbreitete wieder einmal den neusten Klatsch und Tratsch der Grafschaft. Lady Helen Tilbury verfolgte diese Neuigkeiten mit größter Aufmerksamkeit, die bei Lord Henry Tilbury und Louisa allerdings zu wünschen übrig ließ. „Glaub mir liebe Helen, ich durchschaue die Witwe Fillmore, sie will ihre Tochter Alice reich verheiraten, am besten mit einem vermögenden Grafensohn, denn die Hinterlassenschaft ihres Mann's, Lord Fillmore, Gott hab ihn selig, genügt ihr nicht. Sie ist eine habgierige Schabracke." Louisa maßte es an, wie sich Lady Barton erlaubte so missbilligend über Andere zu sprechen, deren Verhältnisse ihr kaum bekannt waren. Natürlich wusste die junge Mrs. Tilbury, dass Lady Fillmore sich gern auf ihr Vermögen berief und all die schönen Sachen des Lebens für sich und ihre Tochter genoss. Trotzdem hielt sie es für unwahrscheinlich, dass sie bei Alice Fillmore's Bräutigamwahl lediglich das Geld verfolgte. Schließlich liebte sie ihre Tochter mehr als alles andere.

„Oh Vater, wann wird endlich die Kutsche aus London eintreffen."wandte sich Louisa an Lord Henry Tilbury. Der unterdrückte ein Kichern. „Liebes Kind, wann warst du je so aufgeregt wie heute? Hab keine Sorge, ich bin mir sicher es dauert nicht mehr lang." Sehnsüchtig schweifte ihr Blick aus dem wandhohen Fenster des Anwesens. Die Baumwipfel der Birken und Buchen wogen sich im sommerlichen Wind. Selbst durch die dicken Wände konnte sie das Blätterrauschen und Zwitschern der Amseln und Rotkelchen vernehmen. Sie nahm sich vor, heute definitiv noch einen Spaziergang durch Waterlilies Park zu machen und im Pavillon am Seerosenteich ein wenig zu lesen, bis die Sonne sich schließlich zur Ruhe legen würde. Die letzten, warmen Augusttage mussten unbedingt ausgekostet werden, bevor der herbstliche Regen einsetzte. Dann würde Louisa die Nachmittage wieder in der Bibliothek ihres Vaters verbringen und ihre Nase hinter aufgeschlagenen Büchern verstecken, während die Regentropfen gegen die Fensterscheiben prasselten.

In Gedanken versunken bemerkte sie erst wenige Augenblicke später, dass ihre Eltern und Lady Barton von der Tafel aufgesprungen waren und ihre Köpfe aus den geöffneten Fenster streckten. Als sie die Ohren spitzte, wurde ihr schließlich auch klar, was die Aufmerksamkeit der Herrschaften erregt hatte. Aus der Ferne ertönte lautes Hufgetrappel und Kutschenräder ratterten über den gepflasterten Weg. Vor Aufregung stolperte sie beinahe über ihre eigenen Füße auf dem Weg zur Haustür. Bridget stand bereits auf dem Vorplatz des Anwesens, der von Rosenhecken umgeben war. Der süße Duft verbreitete sich in der warmen Luft. Abrupt kam die Kutsche vor dem Anwesen zum Stehen. Die eingespannten Rosse schnaubten erschöpft. Ihr dunkles Fell schimmerte im Sonnenlicht vor Schweiß. Der Kutscher sprang vom Kutschbock und hielt den Herrschaften die Wagentür auf. Zuerst stieg Lady Allen in einem bordeauxfarbenen Kleid die wackelige Stiege hinunter und richtete ihr Schultertuch, bevor sie die Besitzer von Waterlilies Park herzlich begrüßte. Ihr markantes, kehliges Freudenlachen befreite das Anwesen von seiner Stille. Lucy Tilbury folgte ihr in einem sonnenfarbenen Sommerkleid und einer passenden Spitzenhaube. Ihre Wangen glühten tiefrot vor Freude, als sie ihrer jüngeren Schwester in die Arme fiel. „Oh meine liebste Louis, ich bin ja so froh dich wieder zu sehen. London war wunderbar, du glaubst es nicht. Diese wunderschönen Häuser, die hübschen Kleider und jeden Abend Tanzen bis in die Nacht. Ich glaube unser Vater muss mir neue Schuhe besorgen."schwärmte sie und drehte sich freudestrahlend im Kreis, sodass das Kleid im Wind wehte. „Ich freue mich auch dich wieder zu sehen Lucy, ich habe die Minuten bis zu eurer Ankunft gezählt und Mutter's Nerven mit meiner Hysterie strapaziert." Sie verfielen in ein herzliches Lachen. Louisa's Herz hüpfte vor Freude, endlich ihre geliebte Schwester wiederzusehen.

Die Haushälterin Bridget tischte Nachmittagstee und Gebäck auf, um den eingetroffenen Herrschaften einen würdigen Empfang zu erweisen. In hitzige Gespräche versunken, verbrachten die Besitzer von Waterlilies Park und ihre Gäste den restlichen Tag im Salon. Lady Allen und Lucy Tilbury konnten mit dem Schwärmen garnicht mehr aufhören. Louisa hatte das Gefühl, selbst in London gewesen zu sein. Die Erzählungen ihrer Schwester und der Gönnerin der Tilbury's erweckte in ihr eine tiefe Sehnsucht nach den herrlichen Bällen und Gesellschaftsabenden. Sie stellte sich vor durch die gefüllten Straßen und Alleen zu spazieren, den Sonetten von Straßenmusikern zu lauschen und neuen Menschen zu begegnen, um deren Geschichten zu erfahren. Gespannt verfolgten Lord Henry Tilbury und Lady Helen Tilbury den Erläuterungen der Schwärmenden. „Wie herrlich das klingt, London muss wirklich eine großartige Stadt sein."warf Lady Barton ein und klatschte verträumt in die Hände. „Wie recht Sie haben, Lady Barton. Aber genug von unseren Abenteuern, was ist hier während unserer Abwesenheit geschehen?"wollte Lucy wissen und strahlte vor Neugier. Bevor Lady Barton mit ihrem Klatsch und Tratsch begann, kam Lord Tilbury zu Wort. „Nichts spannendes meine Liebe, der Witwer Lord Blackmore hat sich mit einer entfernten Cousine verlobt. Sie heiraten in Kürze und das schöne Anwesen Heathermoore Abbey wurde gekauft."berichtete er. Lady Barton nickte eifrig. „Oh ja an einen gutaussehenden, jungen Graf, Sir Arthur Egerton. Viel Vermögen bringt er mit. Er will Heathermoore Abbey komplett renovieren lassen. Ich bin gespannt wann er seinen Willkommensball veranstaltet." Eine alteingesessene Tradition in Somerset. Jeder neue Besitzer, der eines der prachtvollen Anwesen, die die Grafschaft zu bieten hatte, kaufte, verpflichtete sich, seine Nachbarschaft willkommen zu heißen. Dabei fand ein verdeckter Wettstreit statt, welcher Ball das Juwel des Jahres darstellte. „Oh ich kann es schon kaum erwarten, endlich wieder tanzen zu gehen. Meine Füße plagen zwar immer noch der Schmerz, aber mein Herz sehnt sich nach einem schönen Sonett und einem stattlichen Tanzpartner."meinte Lucy und nippte gedankenverloren an ihrem Tee. Lady Allen warf ihrer Schutzbefohlenen einen vielsagenden Blick zu. Lucy schien zu wissen, worauf ihre Gönnerin hinaus wollte. „Mutter, Vater, Louis, Lady Barton, ich möchte euch eine freudige Ankündigung mitteilen."Ihr geheimnisvoller Blick schweifte durch die Runde. Die Anspannung, die im Salon schwebte, knisterte förmlich. Louisa zog scharf die Luft ein. Die Erzählungen ihrer älteren Schwester und Lady Allen hatten bereits soviel Glückseligkeit in ihrem Inneren verursacht, dass sie nicht wusste, wie höher ihr Herz vor Freude noch schlagen könnte.

„Ich habe einen jungen Mann kennengelernt, er ist der Sohn eines Aristokraten. Sein Name ist Edward Pembroke. Ihr könnt euch garnicht vorstellen, was für ein wundervoller Mann er ist. Charmant, gebildet und gütig. Wir haben uns bei einem Diner der Familie Crauford getroffen, die gute Freunde von Lady Allen sind. Unsere Interessen stimmten sofort überein. Stellt euch nur vor, was für ein hervorragender Tänzer er ist. In seinen Armen habe ich das Gefühl zu fliegen. Und er kann wundervoll reiten. Er hat mich sogar einmal überredet, mit ihm zusammen auszureiten. Wie stattlich er im Sattel sitzt, wirklich herrschaftlich, fast wie ein Prinz..."Lucy konnte sich von ihrer Schwärmerei garnicht mehr befreien. Louisa musste lächeln. Es bereitete ihr Freude, ihre ältere Schwester so glücklich zu sehen. „Das klingt wunderbar, Liebes."warf Lady Helen Tilbury ein. Lucy nickte, sodass ihre braunen Locken auf und ab wippten. „Aber das Beste kommt noch. Letzten Donnerstag zum Nachmittagstee, war er bei Lady Allen eingeladen und stellt euch vor, er hat um meine Hand angehalten und ich habe eingewilligt." Lady Tilbury musste sich einen Freudenschrei verkneifen, während Lady Barton mit ihrem Gekreische Bridget in den Salon lockte. Lord Henry Tilbury klatschte begeistert in die Hände und Louisa fiel ihrer Schwester um den Hals. „Oh liebe Lucy, wie wundervoll das zu hören." Tatsächlich hatte ihre Schwester es geschafft, Louisa's Herz vor Freude noch schneller schlagen zu lassen. „Und wann lernen wir den stattlichen Bräutigam kennen? Schließlich muss er sich noch meine Genehmigung einholen."fragte Lord Henry Tilbury. Die Aufregung in seiner Stimme konnte er nicht verbergen. „Er versprach mir wenige Tage nach unserer Abfahrt los zu reiten. Ich bin gespannt, wann er uns die Ehre erweist."erklärte Lucy. „Ich bin mir sicher, er wird noch in dieser Woche eintreffen."versuchte Lady Allen die hitzige Gesellschaft zu beruhigen.

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