Kapitel 29 - Geschickt eingefädelt

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Die Pembroke's und Tilbury's wurden von einem grauen, nebelverhangenen Morgen geweckt. Die Wolken blickten trüb auf die Dächer und Türme London's nieder, als würde ihnen der einbrechende Winter schwer auf den Schultern lasten. Louisa blickte nachdenklich auf die belebten Straßen vor dem Anwesen der Pembroke's. Kutscher trieben im Sekundentag ihre Rosse über die Pflastersteine, feine Damen schlenderten an den Armen verschiedenster Aristokraten über die Gehwege. Die Armut, von der Louisa schon viel in Büchern gelesen hatte, schien dieses noble Viertel nicht zu betreffen. Kein Bettler trieb sich durch die Gassen, keine Kinder in Lumpen fragten nach Brot oder Geld.

Tief versunken in ihren Gedanken, bemerkte sie nicht das Klopfen an ihrer Zimmertür. Erst als Georgiana Pembroke den Lockenkopf durch den Türspalt schob, kehrte Louisa in die Realität zurück. Wie immer erstarrte die junge Miss Tilbury beim Anblick der Ähnlichkeit zwischen Georgiana und ihrem Bruder Edward. „Ich wollte euch zum Essen rufen. Das Frühstück ist angerichtet."erklärte die junge Miss Pembroke mit zarter Stimme. Louisa strich sich den Rock ihres zartblauen Kleides glatt und folgte Georgiana die Treppe hinunter in das angrenzende Esszimmer. Lord und Lady Tilbury sowie auch Lucy Tilbury saßen bereits am Tisch und hatten die Herrin des Hauses in ein angeregtes Gespräch verwickelt. Lady Francesca Pembroke's Zustand hatte sich inzwischen verbessert, sodass sie ihr Bett wieder verlassen konnte. Ihrer fahlen Haut und den schlaffen Gesichtszügen nach zu urteilen, kostete es sie jedoch enorme Kraft.

Georgiana und Louisa ließen sich auf gegenüberliegenden Plätzen an der Tafel nieder. Frisches Brot sowie selbstgemachte Konfitüre standen auf einer gestärkten Decke bereit. Als Louisa nach der Tasse mit Schwarzem Tee griff, traf sie auf Francesca Pembroke's blaue Augen, die sich in ihre bohrten. Der Blick streifte sie so eindringlich, dass eine Gänsehaut ihre Arme hinunter kroch. Vor Schreck hätte sie beinahe die Teetasse samt Inhalt umgeschüttet und fing sich scharfe Worte ihrer Mutter ein. „Louisa! Bitte gib Acht auf dein Handeln, nicht, dass sich das Frühstück zu einem Desaster entwickelt!"zischte Lady Tilbury zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Die Röte stieg Louisa in die Wangen und sie senkte beschämt den Blick. Wieso musste sich ihre Mutter nur so gereizt im Haus der Gastgeber verhalten. Keiner würde die Würde der Tilbury's absichtlich beschmutzen.

„Es freut mich so sehr zu sehen, dass ihr wieder auf den Beinen seid."meinte Lucy Tilbury und tätschelte vorsichtig den Arm der Hausherrin. Francesca warf ihr ein wohl bedachtes, aber kühles Lächeln zu, welches nicht zu ihrem freundlichen, aufgeschlossenen Gesicht passte. „Gewiss meine Verehrteste, nur schade, dass ich meinen Sohn heute Morgen verpasst habe. In letzter Zeit bekam ich ihn durch die Krankheit so selten zu Gesicht." Louisa horchte interessiert auf, versuchte sich jedoch nichts anmerken zu lassen. Georgiana wandte sich ihrer Mutter zu. „Er erzählte mir gestern Abend, dass er eine Überraschung zur Feier deiner Genesung plante. Ich bin wirklich neugierig, was in seinem blonden Lockenkopf vorgeht. Ihr nicht auch, Louisa?"
Ertappt fuhr die junge Miss Tilbury zusammen und blickte Edward's Schwester verständnislos an. Georgiana Pembroke hatte wirklich einen Narren an ihr gefressen, nur konnte sie nicht beurteilen, ob es mutwillig bösartig gemeint war.

„Nun ich bin sichtlich gespannt, was ihr werter Bruder im Schilde führt, es wird sicherlich etwas Unerwartetes sein."versuchte Louisa so gut wie möglich Georgiana's Seitenhiebe zu umgehen. Die warme Teekanne mit dem zarten Rosenmuster in ihren Händen zitterten beim Füllen der Teetassen merklich. Doch den Anwesenden schien dies zu entgehen. Louisa seufzte innerlich. Noch nie wünschte sie sich so sehr weg und doch gleichzeitig für immer bleiben zu können.

Das restliche Frühstück verlief schweigsam. Schließlich verzogen sich die Gäste und Hausbewohner größtenteils auf ihre Zimmer. Louisa verblieb im Salon und ließ ihren Blick über die schmale Auswahl an Büchern in einer der Anrichten streifen. Sanfte Schritte traten auf sie zu. „Verzeiht mir meine spitze Bemerkung beim Frühstück, es war nicht richtig und ich schäme mich für mein kindliches Verhalten." Georgiana legte ihre schmale Hand auf Louisa's Schulter und sah sie mit ihren blauen Augen schuldbewusst an. Diesem Engelsgesicht konnte niemand widerstehen. Louisa lächelte verständnisvoll. „Ich bin euch nicht böse und erst recht nicht nachtragend." Sofort kehrte das Licht zurück in Georgiana's Gesicht. Die Entschuldigung schien nur ein Vorwand zu sein, nun folgte der eigentliche Grund für ihre Anwesenheit. „Natürlich weiß ich, was mein geliebter Bruder im Schilde führt..." sie unterbrach ihre Rede mit einem vielsagenden Augenzwinkern „...er besorgt Eintrittskarten für das Savoy Theatre. Es verspricht wirklich was in den Zeitungen steht, wunderschöne Werke von Shakespeare und Verdi. Ich muss gestehen, dass ich vor allem von Otello sehr begeistert bin, mit diesen romantischen Schmonzetten wie Romeo und Julia kann ich mich ja nicht anfreunden."verlor sie sich in ihrem Redeschwall. Nach ihren Ausführungen über die Vorzüge der Werke von Verdi im Gegensatz zu Shakesspeare, endet sie schließlich mit dem eigentlichen Kern ihrer Rede.

„...letztendlich habe ich es arrangieren lassen, dass er neben euch in der Loge sitzt und der Rest der versammelten Gemeinschaft in einem anderen Teil des Theaters untergebracht wird. Ein ganz zufälliges, grässliches Missgeschick, weil er die Karten erst heute Morgen besorgte und das Stück schon heute Abend im Savoy aufgeführt wird. Die Plätze sind ja so schnell ausverkauft." Triumphierend blickte sie Louisa an, wieder mit diesem Funkeln in ihren Augen und die junge Miss Tilbury ließ beinahe vor Schreck den Gedichteband in ihrer Hand fallen. Die Tatsache, ganze drei Stunden neben Edward zu sitzen, würde ihren Plan, die Gefühle für ihn loszuwerden, nicht gerade vereinfachen. Am liebsten hätte sich die junge Miss Tilbury die Hände vor das Gesicht geschlagen. „Oh nein, das ist überhaupt nicht gut."murmelte Louisa zerknirscht. Nun blickte Georgiana verständnislos drein. „Warum soll das nicht gut sein? Ich finde meinen Einfall hervorragend."

Kurzerhand beschloss Louisa der Tochter ihrer Gastgeberin reinen Wein einzuschenken und erzählte von dem Vorkommnis der letzten Nacht. Immer wieder klappt Georgiana die Kinnlade herunter, was ihrem damenhaften Äußeren keinen Vorteil verschaffte. Am Ende von Louisa's Erzählung fasste sich die junge Miss Pembroke schließlich geistesgegenwärtig mit dem Handrücken an die blasse Stirn. „Oh nein oh nein oh nein! Meine Einfälle überfallen mich immer in den unpassendsten Momenten. Verzeiht mir nochmals Louisa, ich wollte euch ganz sicher nicht in diese verzwickte Situation bringen." Die junge Miss Tilbury hob beschwichtigend die Hände. „Ihr tragt keine Schuld. Es gibt einen einfachen Weg die Wogen wieder zu glätten. Lucy wäre sicherlich froh ein wenig Zweisamkeit mit Edward zu haben, sie kann sich einfach mit ihm in die Loge setzen und wir verfolgten das Stück einfach von der unteren Reihe." Georgiana knirschte verlegen mit den Zähnen. „Das wird nicht einfach, ich habe meine Mutter bereits eingeweiht und sie meinte, dass sie unbedingt jemanden im Haus braucht. Sie wird dem Stück nicht bewohnen, dafür ist sie einfach noch zu schwach. Ich habe sie überredet Lucy zu beten, hier zu bleiben. Schließlich haben unsere Hausdamen heute ihren freien Tag. Lucy wird kaum ablehnen, sicherlich nutzt sie jede Gelegenheit, um sich mit meiner Mutter gut zu stellen. Es ist kein Geheimnis, dass eure Schwester nicht sehr beliebt bei ihr ist. Schließlich ist sie etwas...ehm...speziell." gestand Georgiana und dieses Mal wäre Louisa beinahe die Kinnlade herunter geklappt.

Ungläubig warf sie die Arme in die Höhe, eine Geste, die einer Dame ihres Standes eigentlich nicht würdig war. „Wie bei Gottes Namen kommt ihr auf die waghalsige Idee, euren Bruder und mich in eine Situation zu bringen, in der wir uns unseren Gefühlen stellen müssen? Ich habe euch nicht so eingeschätzt Georgiana, als würdet ihr euch an unserem Leid ergötzen." Louisa wusste, dass ihre Worte ungerechtfertigt waren, schließlich trug Georgiana keine Schuld an ihren Gefühlen. „Ich tue dies nicht um euch zu ärgern, glaubt mir, das wäre der abwegigste Grund für mein Verhalten. Aber ich höre so oft von unerfüllter Liebe, dem vergänglichen Glück und der ständigen Reue, nicht dem eigenen Herzen gefolgt zu sein. Nicht nur euch geht es so Louisa! Was meint ihr von wie vielen guten Freundinnen ich mir das Leid über gebrochene Herzen anhören muss, nur weil sie statt der Liebe ihrem Verstand gefolgt sind. Ich möchte doch nur, dass ihr glücklich seid, und das werdet ihr nicht wenn ihr eure Prinzipien erfüllt!"

Georgiana nahm Louisa's Hände in ihre und setzte gerade zu einer weiteren Ansprache an, als die Haustür geöffnet wurde und Sekunden später ins Schloss fiel. Die sanften Schritte und das Klappern der Stiefelabsätze erkannten sie beide. Edward war zurück.

Liebe und VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt