Die nächsten Septembertage zogen ohne besondere Vorkommnisse ins Land. Die Wolken verdichteten sich am Himmel, fraßen die letzten Sonnenstrahlen auf und kündigten den herbstlichen Regen an. Auch der Wind wurde kühler und schneidender. Dies hielt Louisa trotzdem nicht davon ab, mit einem wärmeren Schultertuch und ihrer Haube, durch die Birkenalleen von Waterlilies Park zu streifen. Ganz zum Leidwesen ihrer Mutter, die bereits von der ersten Erkältung übermannt wurde. Schniefend mit verquollenen Augen und einer hochroten Nase verweilte Lady Helen Tilbury im Schlafzimmer der Herrschaften und setzte keinen Fuß vor die Tür. Bridget musste ihr die täglichen Mahlzeiten ans Bett bringen.
Lady Allen war bereits wenige Tage zuvor wieder nach London abgereist. Louisa hätte sich sehnlichst gewünscht, die Freundin ihrer Eltern begleiten zu dürfen und endlich Bekanntschaft mit der Metropole machen zu können. Doch weder Lady Helen Tilbury, noch Lord Henry Tilbury waren mit dieser Idee einverstanden gewesen. Dabei würde eine solche Reise, die junge Frau endlich auf andere Gedanken bringen. Edward Pembroke verweilte weiterhin in Waterlilies Park und nistete sich ebenfalls in Louisa's Gedanken ein. Selbst in ihren nächtlichen Träumen, ließ er sie nicht in Frieden. Um seiner Erscheinung den größten Teil des Tages aus dem Weg zu gehen, verblieb Louisa in ihren eigenen Räumlichkeiten, übte sich an ein paar Pinselstrichen auf den Leinwänden oder half Bridget in der Küche beim Anrichten der Mahlzeiten.
Am Mittwoch der dritten Septemberwoche kehrte neben dem strömenden Herbstregen, der die Landschaft grau und trist färbte, ebenfalls die Neuigkeit über den Besuch von Lady Diana Stanhope und ihrem Ehegatten in Waterlilies Park ein. Louisa war ganz Feuer und Flamme über die Ankunft ihrer guten Freundin. Mehr als drei Jahre schienen vergangen zu sein, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Erst kürzlich hatte Diana die Grafschaft Somerset auf ewig verlassen und war mit Lord Cecil Stanhope, dem ein Anwesen fernab in Yorkshire gehörte, in eben jene Grafschaft gereist. Natürlich blieb der Briefverkehr bestehen, doch lediglich die geschwungene, elegante Handschrift ihrer Freundin zu sehen, löste nicht die selbe Freude in ihr aus, als wenn sich die Beiden bei einer guten Tasse Tee unterhalten konnten.
Der besagte Tag brach nun an. Mit der Vorfreude, die durch ihre Glieder strömte, hätte Louisa am liebsten die ganze Welt umarmen können. Nach Lady Allen's Abreise war die Langeweile schlagartig wieder in den Zimmern des Anwesens eingekehrt. Lord Henry Tilbury verbrachte die meiste Zeit im Studierzimmer mit der Verwaltung des Besitztums, während Lucy und Edward Pembroke den Nachmittag über im Salon verweilten, Tee tranken oder gemeinsam musizierten. Gern hätte Louisa das Angebot ihrer Schwester angenommen, dem jungen Paar Gesellschaft zu leisten. Doch ihre Angst, Lucy könnte ihre Schwärmereien für Edward bemerken, hielt sie davon ab. Wenn Lady Diana Stanhope in Waterlilies Park eintraf, könnte sich die junge Mrs. Tilbury endlich wieder anderen Annehmlichkeiten widmen und Sir Edward Pembroke endgültig aus ihrem Gedächtnis verbannen. Die Tatsache, dass ihre gute Freundin nicht auf ewig blieb, verscheuchte Louisa gekonnt.
Früher als gedacht traf die Kutsche der Herrschaften in Waterlilies Park ein. Die stattlichen Rosse, sowie die Verzierungen des Kutschengehäuses zeugten von Lord Cecil Stanhope's Reichtum. Louisa erfreute der Gedanke, dass Diana's Ehegatte mit 10000 Pfund jährlich ein Einkommen vorzuweisen hatte, von welchem andere junge Gentleman nur träumen konnten. Auch die Stattlichkeit seines Auftreten's, konnte sich zeigen lassen. Edward Pembroke konnte er das Wasser trotzdem nicht reichen. Als Louisa ihre gute Freundin erblickte, konnte sie einen Freudenschrei nicht unterdrücken. Lady Helen Tilbury, die sich aus ihrem Bett schälen konnte, um den werten Besuch zu empfangen, strafte ihre jüngste Tochter mit einem tadelnden Blick.
Die Freundinnen fielen sich glücklich um den Hals, während der Regen noch immer unaufhörlich vom Himmel nieder prasselte. Lady Diana Stanhope's Strohhaube war bald darauf völlig durchnässt und die strohblonden Locken klebten ihr im Gesicht. „Nun Louisa, wollen wir die Gäste nicht hereinbitten, bevor Lord und Lady Stanhope völlig vom Regen durchfroren sind und die nächsten Tage krank im Bett verbringen müssen?"bat Lord Henry Tilbury. Louisa konnte sich nur widerwillig von Diana lösen, doch sie wollte keineswegs, dass ihre gute Freundin von einer Erkältung übermannt wurde. „Oh ja, ich fühle mich auch schon wieder schlechter. Bridget, koch mir einen Kräutertee und bring ihn mir aufs Zimmer. Ich werde mich wieder hinlegen."lamitierte Lady Helen Tilbury und wedelte mit dem Stofftaschentuch in ihrer Hand. Ihr Ehegatte legte ihr beruhigend die Hand auf den Rücken und beruhigte ihr vor Aufregung wild klopfendes Herz mit sanften Worten, während er sie auf ihr Zimmer geleitete.
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Liebe und Verstand
Historical FictionDem zukünftigen Mann der Schwester zu verfallen, schickt sich nicht für eine Dame ihres Standes. Dessen ist sich Louisa Tilbury bewusst, doch die tiefblauen Augen von Sir Edward Pembroke bringen die junge Frau immer wieder um den Verstand. Dass ausg...