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Gutgelaunt betrat ich die Klinik. Der gestrige Tag war komplett auf der Couch abgelaufen. Wobei irgendwann hatte ich mich ins Bett gelegt und einen Film nach dem anderen gesehen. Dad war noch immer in dieser guten Phase und ich wollte sie genießen solange ich konnte. Er hatte es sogar geschafft Pizza zu bestellen. Etwas dass noch vor zwei Woche unmöglich war. Zusammen hatten wir ein paar Stunden seine Quizsendungen geguckt, bevor ich keine Lust mehr hatte und hinaufgegangen war. 
Nun stellte sich heraus, dass Alkohol für niemanden in dieser Familie wirklich gut war. Der Kater ließ mich den ganzen Tag nicht mehr richtig wach werden und so war ich schon vor neun eingeschlafen und hatte bis heute Morgen um acht Uhr durchgeschlafen.
Vielleicht war ich deswegen so gut gelaunt. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich Kevin sehen würde und mit ihm eine kleine Privatparty veranstalten konnte. Nun für ihn. Ich hatte erstmal genug gefeiert. 
Vielleicht lag es aber auch an der Nachricht die ich gestern Abend noch bekommen hatte. Wie es aussah, fand Dex den Abend nämlich auch ziemlich cool, weswegen er mich beinahe anbettelte, dass ich beim nächsten Mal wieder dabei war. Er bestand darauf, dass alle um ihn herum langweilig wurden. Sie alle heirateten, bekamen Kinder und vergaßen wer ihre wirklichen Freunde waren. Ich musste bei der Nachricht, die ich erst heute Morgen gelesen hatte, lachen und hatte ihm gleich geantwortet, dass ich ihn aus seiner Misere befreien würde. Aber vielleicht mit etwas weniger Alkohol. Dann war ich zur Arbeit aufgebrochen. 
Das Wetter war wärmer geworden und der ewige Regen hatte aufgehört. Es war ein guter Tag und ich lächelte bekannten Gesichtern zu, als ich mir meinen Weg in die Station bahnte. Gerade als ich um die Ecke bog, lief ich Moe in die Arme. "Hey, Harper!" Rief er freudig und ich lachte auf, weil er breit grinste. Er musterte mich und lachte ebenfalls einmal auf. "Scheint so als hätten alle auf der Station heute wirklich gute Laune." Erklärte er und ich nickte. 
Gute Nachrichten verbreiteten sich ziemlich schnell. Und die meisten von uns lebten für eben diese guten Nachrichten. Es kam viel zu oft vor, dass es eben keine guten Nachrichten gab, weswegen wir beinahe zelebrierten, wenn mal etwas passierte, was man eben zelebrieren konnte. Es war eine Art Energie. Sie erfasste die gesamte Station. Vibrierte durch die Gänge und packte beinahe jeden. Es war allgegenwärtig und immer zu spüren. 
"Ich wünsche dir einen wunderschönen Feierabend, Moe." Er lächelte breit. "Oh das werde ich. Wir sehen uns dann Morgen." Sagte er und wir schlenderten davon. Beide  in  entgegengesetzte Richtung. 
Ich erreichte die Station und sah Em, die mich anlächelte. Auch sie hatte gute Laune. "Wie war dein Frei?" Wollte sie wissen und ich schmunzelte. In der letzten Woche hatten wir uns kaum gesehen. Sie hatte die zwei Tage nach mir frei und im Moment andere Patienten. Sie arbeitete mit Professor Dr. Lorence Cartwright zusammen. Eine Koryphäe der modernen orthopädischen Chirurgie. Und fachlich war Cartwright absolut fantastisch. Nur menschlich war er nicht ganz so sozialverträglich. Im Klartext: Lorence Cartwright war ein Arschloch. 
"Oh, es war wirklich fantastisch." Erklärte ich strahlend und hatte damit ihre Neugierde geweckt. "Hast du jemanden kennengelernt?" Fragte sie mich aufgeregt und ich verkniff es mir die Augen zu verdrehen. "Ja das habe ich tatsächlich." Erklärte ich mit einem verschmitzten Lächeln. Natürlich würde ich ihr von Dex erzählen. "Ich will alles wissen." Sagte sie mit großen Augen und starrte mich mit glühendem Blick an. Doch wir beide zuckten zusammen, als die kleine Lampe aufleuchtete und das dazugehörige Signal  ertönte. Sie funkelte es eine Sekunde an. "Später." Seufzte sie und verließ den Raum, um dem Ruf nachzugehen. Ich lachte auf. Das war für sie die reine Folter. Vermutlich würde sie absolut enttäuscht sein, wenn ich ihr die Geschichte erzählte. 
Denn obwohl ich meinen Samstagabend mit vier sehr gutaussehenden Männern verbracht hatte, war ich keinem davon wirklich näher gekommen. Nicht auf die Art, die Em im Kopf hatte. 
Nun bis auf das eigenartig verkrampfte Gespräch mit Scott. Noch immer schwirrte mir im Kopf herum, wie er mich angesehen hatte. Und ich war der festen Überzeugung, dass es am Alkohol gelegen hatte, doch ich hatte geglaubt, dass er mich küssen wollte. Das er mich beinahe geküsst hatte. Nun und irgendwie, hatte ich ihn ja auch darum gebeten. 
Ich hatte ihm so tief in die Augen gesehen und ihn förmlich angefleht mich zu küssen. Natürlich nur um ihm zu beweisen, dass er sich damals geirrt hatte. Ich erstarrte - mein MP3-Player. Bei allem was los gewesen war hatte ich ihn darauf nicht einmal ansprechen können. Ich hatte es schlichtweg vergessen. Gestern hatte ich beschlossen zu vergessen, dass er sich wie ein Arsch benommen hatte. Jeder hatte mal ein schlechten Tag und zugegebenermaßen war eine Fremde in seinen Privaträumen aufgetaucht. Nun ich hätte vielleicht auch so reagiert. 
Doch meinen Player wollte ich wieder haben. Er war ein Geschenk gewesen. Das letzte Geschenk und er war eines der wertvollsten Besitztümer die ich hatte. Vielleicht konnte ich Lilly fragen, ob sie ihn mir zurückholen konnte? Ich konnte ihr erzählen was passiert war und sie würde sicherlich mit Scott reden und ihm erklären, warum dieses alte, verbrauchte Gerät so wichtig war. Doch ich zögerte. Eigentlich wollte ich ihr davon nichts erzählen. Sie hatte sich schon über mein albernes Geschenk lustig gemacht und ich wollte ihr nicht von diesem Raum erzählen. Er fühlte sich persönlich an. Auch wenn sie ihn vermutlich schon betreten hatte, fühlte es sich irgendwie gut an, dass ich mir einbilden konnte dieses Geheimnis von ihm zu wissen. 
Langsam erhob ich mich und verließ das Schwesternzimmer. Ich würde in die Trainingsräume gehen und mal schauen wer heute schon auf den Beinen war. 
Neben den Therapietrainings gab es für alle Patienten die Möglichkeit betreut weitere Stunden einzubauen. Sie durften sie in ihren Tagesablauf einplanen. Mussten allerdings vermerken, wie lange sie was gemacht hatten. Denn auch zu viel Motivation konnte dem Heilungsprozess schaden. 
Ich trat durch die Tür und begrüßte Tyler. Er war siebzehn. Schulterfraktur. Er war eigentlich immer am Trainieren. Schon vorher ziemlich Sportlich. Ich erkannte auch zwei Patientinnen, die am Fenster standen und plauschten, sie lächelten Freundlich, als ich vorbeikam. Es war heute recht voll und ich stellte fest, dass auch Kevin am Stufenbarren stand und ich langsam aus seinem Stuhl erhob. Dann ließ er sich wieder sinken. Noch vor einer Woche hatte ich ihm erzählt, wie wichtig ein fester Stand für den weiteren Prozess war. Stolz beobachtete ich ihn. Ich konnte nicht verhindern, dass ich lächelte. 

ICECOLD - 1 - Scott KnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt