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Nervös tippte ich mit der Fußspitze auf den Boden. Noch immer saß ich, Jake gegenüber, im Warteraum. Es war sieben Uhr. Der Kaffee in meiner Hand schon seit über einer Stunde kalt.
Als die Türen aufglitten riss ich den Blick hoch und sackte förmlich in mich zusammen. Er hatte mich nicht enttäuscht. Das mochte ich an Casey so sehr. Er war der absolut verlässlichste Mensch den ich kannte. 
Lilly regte sich und blickte sich verschlafen um. Als sie Casey sah, ruckte sie auf und erhob sich. Sie schob mich beiseite, als auch ich auf die Beine kam und zu Casey ging. Jake, der seine eleganten, langen Beine entknotete und langsam auf uns zu kam, verdrehte die Augen und am liebsten hätte ich laut gelacht. Auch wenn ich mich sofort fragte, warum er Lilly nicht zu mögen schien. Immerhin kannten sie sich noch nicht einmal. Und ich verspürte sofort das Gefühl sie verteidigen zu müssen.
Als ich zu Casey aufsah erkannte ich das er müde aussah. Er sah völlig fertig aus. Vermutlich hatte er die ganze Nacht im OP verbracht. Ich reichte ihm meinen Kaffee. Ihm würde egal sein, dass er kalt war. Dankbar nahm er ihn entgegen und ich lächelte ihm zärtlich zu. 
Mir entging nicht, dass Jake die Stirn runzelte und Lilly genervt schnaubte. Am liebsten hätte ich ihr eine Ansage gemacht. Dabei wusste ich selbst nicht mal, warum ich so genervt von ihr war. 
"Er ist aus dem OP raus." Begann Casey langsam. "Wir haben die Fraktur fixieren müssen. Eine dreifache Fraktur der Hüfte. Dazukommt noch ein vorderer Kreuzbandriss, zwei gebrochene Rippen und die Prellung der Schulter." Sagte er und ich holte tief Luft. 
Die Prellung und auch die Rippen waren kein Problem. Es tat weh, doch es würden keine Schäden bleiben. Doch für einen Sportler war ein Kreuzbandriss alleine schon eine Gefahr für die Karriere. Ich blickte Casey an. Er lächelte und nickte dann zum Tresen. Sofort löste ich mich von der Gruppe. Jake blickte mir nach und Lilly begann wieder dramatisch zu weinen. "Wir Scott wieder gesund? Kann er noch spielen?" Fragte sie Casey und griff nach Jakes Hand, als würde sie sonst umfallen. Ich wusste ich sollte ihre Sorge ernst nehmen, doch ich konnte es nicht. Denn es fühlte sich falsch an. 
Als ich am Tresen ankam, sah ich die Akte schon oben liegen. Schnell griff ich danach und fingerte die Bilder heraus. Das Röntgenbild der Hüfte sah ich mir zuerst an. Den Kreuzbandriss würde ich vermutlich eh nur auf dem MRT sehen.
Ich hielt das Bild ins Neonlicht und kniff die Augen zusammen. Ich konnte die Fraktur des Femoralen Knochens erkennen, sah wie er kurz unter der Gelenkpfanne gebrochen war. Durch den Aufprall wurde er so gegen das Tor gekracht, dass sein Hüftknochen in einer parallelen Linie zum Oberschenkelknochen gebrochen war. Doch dieser Bruch hatte die gesamte Hüfte so sehr verschoben, dass auch auf der anderen Seite der Hüfte ein klarer Bruch zu erkennen war. 
Vermutlich war der Knochen mittlerweile mit 90 mm Schrauben und Vierlochplatten gerichtet worden. Doch diese Verletzung war nichts womit man nach drei Monaten wieder aus dem Schneider war. Diese Verletzung würde Monate dauern, nur um mit dem Muskelaufbau wieder zu beginnen. Ich vermutete, dass er in vielleicht einem Jahr wieder aufs Eis konnte. Gerade wenn man bedachte, dass auch sein Knie noch still gelegt war. Dies war für den Körper wahnsinnig anstrengend zu heilen. Und ich wollte es nicht denken, doch es schoss mir durch den Kopf, dass diese Verletzung sein Aus bedeuten konnte. Zum jetzigen Zeitpunkt war das schwer zu sagen. Doch es würde kein einfacher Weg sein. 
Mit zitternden Fingern blickte ich kurz auf die anderen Verletzungen. Aber keine konnte mich wirklich schockieren. Schnell packte ich sie wieder in die Akte und legte sie zurück, dann ging ich wieder zu Lilly und Jake. 
Casey versuchte mögliche Therapien und Chancen auf Ausheilung zu erörtern, doch er blieb, verständlicherweise, schwammig. Er fing meinen Blick auf und lächelte traurig. Er wusste, was ich wusste. 
Lilly aber blickte mich nur wütend an. "Wo warst du?" Zischte sie mir zu und ich holte tief Luft. Ich wusste, dass sie ihren Stress an mir ausließ. Und ich sollte es ignorieren, denn ich konnte mir nicht vorstellen, wie es war, wenn der eigene Verlobte mit einer solchen Verletzung im Krankenhaus lag. 
"Die Rehabilitation wird schwer." Erklärte Casey weiter, ignorierte, Lillys Unterbrechung. "Aber ich weiß, dass es in Pittsburgh die beste Trauma-Therapeutin gibt." Er lächelte mir warm zu. "Mit Unterstützung wird er das schaffen." Dankbar lächelte ich, doch Lilly schnaubte nur. Ihre Arroganz ließ mich beinahe aus der Haut fahren. Es war als wolle sie mir mit Absicht wehtun und ich war kaum noch in der Lage mich zusammenzureißen. 
Jake runzelte die Stirn. "Trauma-Therapeutin?" Wollte er wissen und Casey nickte. "Harper hier ist eine der Besten. In Fachkreisen kennt man sich." Sagte er und ich war dankbar für den Versuch mich besser aussehen zu lassen. Es störte mich nur, dass Lilly das offenbar nicht für nötig hielt. 
"Nun dann hoffe ich..." Er wandte sich mir zu. "...dass wir auf dich zählen können, Harper?" Er war distanziert und höflich. Doch in seinen Augen lag eine Dringlichkeit. Es war keine Frage, denn ich hätte sofort alles stehen und liegen lassen, um zu helfen. Also nickte ich nur. 
"Wir können jetzt eh nichts anderes tun, als warten. Noch müssen Nervenschäden ausgeschlossen werden. Fest steht, dass er nicht lebensbedrohlich verletzt ist. Und darüber können wir uns erstmal freuen." Lilly schnaubte wieder. "Und wird er wieder spielen? Oder ist das auch nicht so wichtig? Das Spiel ist sein Leben. Das müsstest du doch wissen." Sagte sie und ich zuckte zusammen. "Immerhin hast du ihm sein ganzes Leben dabei zugesehen." Fügte sie bissig hinzu und Casey blinzelte ungläubig. Ich erkannte den Moment, als er verstand, wer Scott war und er verzog das Gesicht. 
Doch Lillys Worte waren gemein gewesen und so gerne ich es auf ihren Stress schieben wollte, taten sie weh. Ihre Worte schmerzten. Und ich fragte mich, warum ich vorhin noch das Bedürfnis verspürt hatte sie in Schutz zu nehmen, während sie nichts anderes tat, als mich nieder zu machen. 
Das wichtigste aber war: Wusste sie was ich für Scott empfand oder hatte sie einfach nur geraten? Und wenn sie es wusste, waren ihr meine Gefühle egal? Hatte sie ihre Chance gewittert und ergriffen? Ohne Rücksicht auf Verluste?  

ICECOLD - 1 - Scott KnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt