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Immer wieder Samstags, fand ich mich in der Halle direkt hinter dem Glas wieder und starrte gebannt auf das Feld.
Das Halbfinale war erreicht, wir standen kurz vor der Meisterschaft und das Team war in Höchstform. Dex hatte beinahe jeden Puck gehalten. Die Verteidigung spielte allerdings so engmaschig, dass kaum jemand durchbrach.
Selbst der Sturm, bestehend aus Scott King und Randy McGillies, spielten ein hervorragendes Spiel. So überraschte es auch nicht dass wir kurz vorm letzten Drittel mit Sieben zu Zwei Punkten führten. Und das Kribbeln, dass wir gewannen, drängte sogar irgendwie meinen Herzschmerz beiseite.
Immerhin sah ich Scott kaum. Ich wusste natürlich, wer in dem großen Trikot, unter den Protektoren steckte aber ich ignorierte es so gut ich konnte.
Als er beim warm machen wieder meinen Player in den Finger gehabt hatte, wäre ich beinahe kurz ausgerastet, doch ich beherrschte mich. Es war nur ein Player und ich würde ihn mir wiederholen. Sobald ich ihn das nächste Mal alleine erwischte.
Es war Samstag und wir waren fast sechs Stunden gefahren für dieses Spiel. Doch Lilly hatte mich angefleht. Also hatte ich mich breitschlagen lassen. Denn morgen schon war die Verlobungsfeier und dann würde ich gute Miene zum bösen Spiel machen müssen. Vielleicht hatte sie recht und ich sollte nochmal richtig Spaß haben. 
Ich sollte mich für Lilly freuen und zusammenreißen. Das war albern. Denn selbst wenn ich schöner gewesen wäre, hatte ich Scott nie angesprochen. Ich hatte ihm nie gesagt wie ich fühlte. Meine gesamte Schulzeit hatte ich ihn aus der Ferne angehimmelt und meine Chance, wenn es denn je auch nur eine klitzekleine gegeben hätte, vertan. 
Und Lilly verdiente einen guten Mann. Einen Mann, der ihr auch mal die Stirn bieten konnte. Sie verdiente die Welt und Scott konnte sie ihr geben. Ich liebte sie mehr als meine alberne Schwärmerei. Auch wenn ich mit jedem Gedanken der mich von meinen Gefühlen ablenkte spürte, wie mein Herz brach. Konnte man überhaupt jemanden lieben, den man nie berührt hatte? Nie geküsst hatte? Der einem nie süße Worte ins Ohr geflüstert hatte? 
Genervt blickte ich auf und versuchte mich krampfhaft auf das Spiel zu konzentrieren. Weg von meinen Gedanken von Scott und Lilly und ihrem Leben in ewiger Glückseligkeit. 
Die New York Rangers spielten in ihrer Heimarena. Ich war vor einigen Jahren, während meiner Ausbildung, auf einem Konzert im Madison Square Garden gewesen und war verblüfft über die Veränderung. Nicht das sie umgebaut hatten, doch die Tatsache, dass nun eine riesige Eisfläche die Mitte ausmachte, hatte man damals nicht erahnen können.
Sie spielten gut. Aggressiv und strategisch. Doch zu unserem Glück war es gerade die Verteidigung, die heute mehr als nur Gas gab. Es passierte oft, dass nach einer Weile ohne Punkte die Spieler unruhig, unvorsichtig und frustriert wurden. Man spürte es an der Energie de Raumes. Daran wie die Luft kribbelte und man gespannt darauf wartete, dass endlich etwas passieren würde.
Als der Puck von Dex nach vorne gespielt wurde und Randy ihn annahm, hielt die gesamte Halle die Luft an. Auch ich sog die Luft ein und starrte auf den Puck, den Scott und Randy geschickt passten. Nate kam aus dem vorderen Mittelfeld dazu und half Scott aus einer Brenzligen Situation. Der Puck blieb im Besitz der Penguins. Blitzschnell steuerten sie das Tor an. Mein Herz begann zu rasen. Sie verstanden ihr Handwerk und fesselten jeden in der Halle. Lilly neben mir versteifte sich. Sie krallte sich aufgeregt in meinen Arm. 
Die Verteidigung der Ranger stellte sich ihnen entgegen, versuchten ihnen den Puck abzunehmen, doch diese drei Spieler waren mittlerweile in der vierten gemeinsamen Saison und sie alle waren gut.
Als Scott sich direkt vor dem Tor positioniert hatte und frei stand, erkannte auch Randy die Lücke, der von Nate gerade den Puck bekommen hatte. 
Die Uhr lief runter und die letzten zehn Sekunden waren angebrochen. Gebannt starrte ich Scott an. Randy passte den Puck, der schlitternd übers Eis zischte. Scott nahm ihn sicher an. Schien alle Zeit der Welt zu haben. 
Obwohl das Spiel schnell und unnachgiebig war, passierte im nächsten Moment alles auf einmal. Die Verteidigung, oder besser Raymond Steel, einer der besten Verteidiger in der NHL, aber auch einer der aggressivsten Spieler der Liga. Er hatte im letzten Jahr die meisten roten Karten und er scheute vor geringfügigen Fouls nicht zurück. 
The man of Steel, wie seine Fans ihn nannten, sauste auf Scott zu, der ihn nicht kommen zu sehen schien. Scott jedoch setzte an, holte aus und wollte gerade durchziehen. 
In der Drehung erreichte Ray Steel ihn, verhackte sich mit seinem Schläger in Scotts und hebelte ihn damit vom Eis. Die Wucht des Aufpralls schleuderte Scott ein paar Meter übers Eis. Noch immer in der Drehung wurde er gegen den Metallrahmen des Tors gerammt. Durch seine etwas erhöhte Position und durch das Gewirr mit Steel traf sein unterer Rippenbereich - oberer Hüftbereich - auf das Tor. Beide sackten zu Boden. 
Erstarrte, wie alle anderen auch, starrte ich aufs Eis. Es passierte nicht selten, dass etwas mal schlimm aussah. Das Signal ertönte und beendete das Spiel. Alle Spieler standen still da und starrten auf die beiden Spieler am Boden. Nur der Goalkeeper der Rangers, Lucas Riley, half Steel auf die Beine. Er verzog das Gesicht, jedenfalls glaube ich das durch den Helm zu sehen. Als hätte er meinen Gedanken gehört nahm er ihn ab und blickte sich um. Langsam hob er den Arm, sah wieder zu Scott hinunter, der sich noch immer nicht rührte und winkte dann zum Coach. Steel war kreidebleich. 
Erst jetzt bekam Bewegung in die Sache. Es war als würde alles in Zeitlupe ablaufen, doch ich war mir sicher, dass die Sanitäter Gas gaben. Bei akuten Traumata war Zeit ein überlebenswichtiger Faktor. Ebenso wie das Sichern aller möglichen Nerven und Arterien. 
Lillys Griff wurde fester und ich blinzelte. Dann wandte ich den Blick ihr zu. Sie war ebenfalls bleich. Panisch starrte sie mich an. "Harper." Sagte sie leise. Ich erwartete, dass sie direkt in Tränen ausbrach, immerhin war es mir so zumute, doch sie sah mich nur blass an. " Wieder sagte sie meinen Namen. Als könnte ich ihr sagen, dass alles wieder gut werden würde. Doch so gerne ich das wollte, konnte ich gar nichts sagen. Kein. Einziges. Wort! 

ICECOLD - 1 - Scott KnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt