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Ich schreckte auf, als ein dumpfes Geräusch mich weckte. Irritiert blickte ich zu Boden, wo das Buch lag, dass ich mir von der Sessellehne genommen hatte. Es war eine alte Ausgabe von Hemingways: Der Mann und das Meer
Gequält verzog ich das Gesicht und hob es auf. Es tat mir beinahe körperlich weh, dass ich mit dem Buch nicht besser aufgepasst hatte. 
Leise spielte irgendwo Musik aus meinen Kopfhörern, die mir aus den Ohren gerutscht waren, als ich eingeschlafen war. Schnell schnappte ich mir den Player, bevor ich ihn ausschaltete und mich umsah. 
Ich hätte nicht einschlafen sollen. Sowas bescheuertes. Erschrocken schnappte ich nach Luft. Mein Herz begann mit einem Mal so schnell zu rasen, dass es beinahe wehtat. Nur für eine Sekunde hatte ich gedacht, dass mich niemand entdeckt hatte und ich den Abend überlebt hatte. Doch so viel Glück hatte ich nicht. 
Durch die Fenster fiel mittlerweile sanft Tageslicht und erhellte den Raum in einem eigenartigen Licht. Es traf auf die Silhouette eines Mannes, den ich überall erkannt hätte. In meiner Erinnerung war er nicht so groß, so erwachsene und vor allem nicht so einschüchternd. Auch wenn er mir den Rücken zugewandt hatte und aus dem Fenster blickte, als wäre er völlig in einer anderen Welt, wusste ich genau wer nur zwei Meter von mir entfernt stand, als wäre das völlig normal. 
Ich schreckte auf. Dabei konnte ich gerade noch so das Buch packen, doch diesmal schmetterte mein alter MP3-Player laut scheppernd zu Boden. Doch ich starrte nur Scott Knights Rücken an. Er trug noch immer das weiße Hemd, doch er hatte die Ärmel hochgekrempelt. Langsam trank er das Kristallglas aus, stellte es auf die Kommode und wandte sich zu mir um. 
Langsam wanderte meinen Blick an ihm hinauf. Von seinen glänzenden Lackschuhen, über die schwarze Anzughose, den Ledergürtel mit silberner Gürtelschnalle und das weiße Hemd, dass ihm wie angegossen passte und einen wunderbaren Kontrast zu seiner dunklen Haut bildete. Auch er war eine Erscheinung. Und beinahe glaubte ich zu träumen. 
"Ich...äh..." Stotterte ich verzweifelt. Es war klar, dass ausgerechnet ich mich in diese Situation gebracht hatte. Das war absolut peinlich. Ich musste dem Drang widerstehen nach einem Loch zu suchen, in das ich verschwinden konnte. Verdammte Scheiße! 
Als mein Blick auf seinem Gesicht landete schnappte ich nach Luft. Für eine kurze Sekunde hatte ich erwartet, diese arrogante Lächeln zu sehen, dass er in Interviews und anderen Veranstaltungen immer trug. Doch er wirkte müde. Und angepisst. Scheiße!
Am liebsten wäre ich davon gerannt, doch mein Körper bewegte sich keinen Millimeter. Sollte ich etwas sagen? Mich entschuldigen und einfach gehen? Ich war schon lange nicht mehr das stumme, schüchterne Mädchen. Doch Scott Knight machte mich wieder zu diesem nervösen sechszehnjährigen Mädchen, dass sich nicht mal traute den Blick zu heben.
"Hör zu..." Begann er und ich sackte vor Erleichterung beinahe zusammen. "... es war ein verdammt langer Tag. Wir machen ein Foto und dann haust du ab." Er bemühte sich sichtbar um Ruhe. Als würde er sich kaum beherrschen können. Erst jetzt sickerten seine Worte zu mir hindurch. Ein Foto? Ich runzelte die Stirn. 
Er seufzte und fuhr sich über seinen rasierten Schädel. Er hatte früher seine Jahre immer in einem kurzen Afro getragen. Doch seit einigen Jahren rasierte er ihn sehr kurz. Es gab ihm etwas kantiges. Etwas raues. 
"Ein Foto?" Fragte ich verdutzt und er nickte. tief holte er Luft und kam auf mich zu. "Wo ist dein Handy?" Wollte er wissen und ich blinzelte überrascht. Mein Handy war seit einiger Zeit schon nicht mehr neu. Was aber noch wichtiger war, es hatte nicht mal eine Kamera. Langsam dämmerte mir, was er mit dem blöden Foto meinte. Doch ich sagte nichts, weil mein Gehirn wie zugenagelt war. 
Als ich das alte Telefon aus meiner Tasche gefischt hatte und ihm reichte, schnaubte er genervt. "Ihr Groupies werdet auch immer dümmer." Erklärte er kalt. Ich biss mir auf die Lippe. Denn obwohl das sechszehnjährige Ding gerade an der Oberfläche war, schob sich mein fünfundzwanzigjähriges Ich aus dem Nebel. Er hielt mich für ein Groupie. 
Bevor ich auch nur etwas sagen konnte oder es verhindern konnte, begann ich laut zu prusten. Das Lachen quoll aus jeder Pore und ich schaffte es einfach nicht mich zu beherrschen. Mir war vorher schon bewusst gewesen, dass er sich nicht erinnern würde. Wer tat das schon? Immerhin war ich Lillys kleine Schwester. Mehr nicht. Doch meine albernen Gedanken, dass er vielleicht doch wusste wer ich war, erschienen mir plötzlich wirklich dämlich zu sein.  Also lachte ich. Ein verbittertes lachen. Und ein wenig hysterisch. 
"Gut, okay. Das hier ist mein Zuhause und ich will ungern die Polizei einschalten..." Das war der Moment in dem ich stoppte. Früher war er zwar selbstbewusst, doch der Ruhm schien ihn so vernebelt zu haben. Ich war in ihn verknallt gewesen, doch ich war nicht verrückt. Ich bastelte keine Hochzeitsalben mit Zeitschriften oder so. 
"Immer mit der Ruhe, Großer." Sagte ich und war über meine feste Stimme selbst überrascht. "Ach Scott. Der große Scott Knight." Sagte ich und stemmte meine Hände in die Hüften. "Du hast dich wirklich verändert." Sagte ich, ließ mich auf den Sessel nieder und schlüpfte in meine Schuhe. "Ich brauche kein Foto mit dir. Und ich will auch nicht dass du mir den Arsch signierst. Ich bin nur eingepennt." Erklärte ich ihm belustigt. 
Scott hob seine Augenbrauen und musterte mich überrascht. Ich war ja selbst überrascht, wie selbstsicher ich klang. Es war als wäre mein romantisches, schüchternes Ding einfach verschwunden. Als wäre ich nun ganz geschäftsmäßig. Immerhin hatte ich mir eine harte Schale zulegen müssen, als ich angefangen hatte mit frustrierten Patienten zu arbeiten. Meine Zeit war zu kostbar. Also erhob ich mich und lächelte nochmal kopfschüttelnd. Dann ging ich zur Tür. Spürte wie sein Blick sich in meinen Rücken bohrte. Wie er jede meiner Bewegungen skeptisch verfolgte. Ich drückte die Klinke hinunter und öffnete die Tür. Doch bevor ich ging, sagte ich noch: "Übrigens ist Kiss Me, von Sixpence None the Richer der beste Lovesong aller Zeiten." Dann wandte ich mich zu ihm um und erlaubte mir einen Blick auf den schönen, fremden Mann vor mir. "Happy Birthday, Scott." 

ICECOLD - 1 - Scott KnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt