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Es war gerade mal zwei Wochen her und ich war wütend. Immer wieder spielte ich durch was passiert war. Ich hatte mich selbst so gehen lassen. Hatte gewusst, dass ich nicht gut genug war für Scott und das er meine Schwester heiraten wollte, doch der romantische Teil in mir hatte das ignoriert. 
Lilly hatte gehört, dass Scott mit dem Training begann und somit für die nächste Saison aufgestellt werden konnte. Was bedeutete das Scott King wieder da war. Dass er wieder erfolgreich werden konnte und nachdem er so einen Unfall vor laufender Kamera erlebt hatte, rissen sich die Nachrichtensender förmlich um ihn. 
Nun und obwohl ich irgendwie geglaubt hatte, dass Scott mehr in mir sah. Oder weniger in Lilly. Aber es hatte nur eine Sekunde gebraucht, die sie wieder da war und die Hochzeit stand wieder. Und ich hatte meine Sachen gepackt und war gegangen. 
Ich hätte mit ihm reden sollen, anstatt vor ihm davon zu laufen, doch ich konnte es nicht. Und was wichtiger war: Ich wollte es nicht. 
Mein halbes Leben war ich hinter einem Mann her gewesen und er hatte mich nicht verdient. Und Casey hatte recht. Auch Lilly hatte mich nicht verdient. Doch sie war meine Schwester. 
Seit unserer Nacht hatte ich mit Scott nicht mehr gesprochen. Denn ich hatte früh los gemusst und in der Klinik arbeiten müssen. Noch nie hatte ich so gute Laune gehabt. Sarah hatte mich regelrecht ausgequetscht. Ich war froh über diese Normalität. Darüber dass ich ihr etwas erzählen konnte. 
Doch als ich nach der Arbeit, einer langen Schicht wieder zum Haus kam, begrüßte mich nur Abi mit langem Gesicht. Ich hätte es sehen müssen, den mitleidigen Blick. Doch ich war viel zu sehr damit beschäftig gute Laune zu haben.
Bis ich die Blumendekorationen, den Tüll, die Menschen und Lilly sah, wie sie glücklich durchs Haus tänzelte, als würde es ihr gehören. Nun vermutlich würde es ihr auch bald gehören.
Sie hatte mich gesehen und gestrahlt. "Harper!" Noch immer hörte ich ihre Stimme. "Ich bin wieder da. Scott und ich haben uns ausgesprochen. Wir heiraten. Nächsten Monat schon." Am liebsten hätte ich gelacht, doch sie machte keine Scherze. 
Also hatte ich meinen Schock heruntergeschluckt und mich für sie gefreut. Oder wenigstens so getan. Gleichzeitig aber hatte sie mir mit den paar kleinen Worten das Herz gebrochen. Doch ich hatte geschwiegen und ihr versichert, sie zum Brautgeschäft zu begleiten. 
Aber mit jedem Tag wurde meine Wut größer, heller und heißer. Denn ich war es leid immer alles für sie zu geben. Ich hatte mein Leben lang an sie gedacht und ich war müde. 
Und als sie mir gestern eröffnete, dass Lydia Townsen ihre Brautjungfer werden würde... Sagen wir mal so, ich bin gegangen. Ich habe abgeschlossen und beschlossen, dass meine tolle Schwester mich mal konnte. Kreuzweise. 
Und vielleicht war das nicht das Ende der Welt, doch wenn ich mir jetzt gerade nicht einfach einen Drink verdient hatte, wusste ich auch nicht weiter. 
"Hey, Harper." Sagte Dex, als er sich neben mir auf den Hocker gleiten ließ. Ich hatte ihn angerufen und ein einfaches SOS abgesendet. Keine Stunde später war er hier. Eine weitere Stunde später, hatte ich ihm alles erzählt und uns beide ziemlich abgefüllt. 
"Dieses Arschloch hat dich wirklich nicht verdient. Wirklich nicht." Sagte er eiernd und ich nickte. Ich sah das immerhin genauso wie er. "Du kannst gerne ein paar Tage bei mir pennen." Bot er mir an und ich lächelte. Ich hatte mein Zimmer bei meinem Dad und eigentlich hatte ich eine eigene Wohnung, doch die Schlüssel hatte Lilly. 
Manchmal konnte ich echt nicht glauben, was ich für ein naiver Mensch war. "Also gehst du nach New York? Während der Hochzeit?" Fragte mich Dex nach einer Weile, doch auf diese Frage hatte ich keine Antwort. Vielleicht sollte ich das tun. Doch was wenn ich es irgendwann bereute. Wenn Lilly mir das nicht vergeben würde. Scheiß auf Lilly!
Ich seufzte und zuckte die Achseln. "Keine Ahnung. Ich weiß nicht was ich machen soll." Er lachte auf. "Was willst du denn machen?" Fragte er nach und drehte sich auf seinem Stuhl so, dass er mich direkt ansah. "Ich will Scott eine verpassen und Lilly gleich mit." Gab ich ehrlich zu und war über den verbitterten Tonfall überrascht. Dex nickte, rutschte vom Hocker und griff nach meiner Hand. "Dann lass uns das machen." Sagte er, warf einen Bündel Geldscheine auf den Tresen und zog mich mit sich, bevor ich überhaupt realisierte was passierte. 
Doch diese Wut hielt nicht lange. Denn ich war nicht wirklich wütend auf Lilly oder auf Scott. Ich war wütend auf mich und auf das Leben. Denn ich wollte nur einmal, einmal die Person sein, die am wichtigsten war. Ich wollte die erste Wahl sein, wollte die Person sein, die mehr geliebt wurde als alles andere. Doch das war ich nicht. Nicht mal ich selbst war so gut zu mir. Denn auch ich stellte alle anderen immer voran. 
"Ich will nur weit weg. Und vergessen, dass das alles passiert ist. Das ich Scott King je getroffen habe und dass ich ihn je geliebt habe." Dex nickte traurig. "Dann lass uns nach New York fahren. Ich begleite dich für ein paar Tage." 
Dex war ein guter Freund und für eine Sekunde wünschte ich mir, dass es Dex war den ich liebte. Den ich begehrte und der mich begehrte. Doch wir waren nur Freunde und dafür war ich mehr als dankbar. 
"Dann auf in den Big Apple!" Rief er und sagte dem Taxifahrer seine Adresse. Vermutlich wäre er sofort zum Flughafen gefahren, doch wir mussten beide vorher ausnüchtern. Und vielleicht würde die Welt schon morgen wieder ganz anders aussehen. Wieder eine dieser naiven Ideen. Doch Naivität per se war ja nichts schlechtes. Sie war der Deckmantel der Hoffnung. Und Hoffnung hatte ich längst noch nicht aufgegeben. Nur war ich mir nicht so sicher worauf ich hoffte. Darauf dass alles gut werden würde, vermutlich. Was auch immer das bedeutete.  

ICECOLD - 1 - Scott KnightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt