3.Kapitel

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Heulend versuchte ich meine Mom anzurufen. Die Chance sie zu erreichen war jedoch in den letzten Tagen verschwindend gering geworden, da sie sich gerade in einem mehrmonatigem Tokyo-Urlaub mit einer Arbeitskollegin befand. Und wie auch die letzten Tage ging sie nicht ran. Ich machte mir aber auch keine Sorgen, dass sie sich so gut wie garnicht meldete. Meine Mom konnte einfach nicht mit elektronischen Geräten. Ganz im Gegensatz zu mir.
Das half mir im Moment aber auch nichts. Ich hatte gehofft, dass mir meine Mom helfen könnte. Das wäre das erste Mal gewesen, dass ich sie wirklich um Hilfe bitten würde.
Wie gesagt, meine Mom und ich waren nicht zerstritten, aber wir mussten uns allerdings auch nicht allzu häufig begegnen. Diese Ansicht beruhte zum Glück auf Gegenseitigkeit. Als ich es ein zweites Mal versuchte und sie immernoch nicht ran ging, gab ich schließlich auf.

Stattdessen gab ich mit zitternden Fingern die Nummer meiner besten Freundin ein. May.
Als ich mir das Handy ans Ohr hielt und auf ihre Stimme wartete, fiel mir auf, wie viel Zeit sie sich dieses Mal ließ, um ranzugehen.
Ich nahm an, dass Theo ihr sofort von unserem Streit erzählt haben musste, als er vor vier Stunden mein Haus verlassen hatte und nicht mehr wiederkam. Das würde mich zumindest nicht wundern, da sich die beiden alles und ich meine wirklich alles erzählten.
Was auch normalerweise kein Problem wäre, da May ebenfalls alles von mir erfährt, jedoch empfand ich es in diesem Fall als äußerst ungünstig, da ich mir bereits vorstellen konnte, wie May zu meinem und Theos Streit reagieren würde. Und ich behielt recht.
Nach circa zwei Minuten warten ging May endlich ans Telefon. Sie begrüßte mich aber nicht wie sonst, sondern wartete darauf, dass ich etwas sagen würde.

»May, hey, ehmm... wie geht's dir?« Ich hörte sie am anderen Ende der Leitung aufseufzen, »Wow ernsthaft, Rachel? Smalltalk? Wir beide?« Ich schwieg betreten. »Lass uns doch direkt zum Punkt kommen. Ich denke mal, du hast wegen Theo angerufen? Spoiler: Ja, er hat mir bereits alles erzählt.« Nervosität machte sich in mir breit, »Und was denkst du darüber?«
»Ich denke, Rachel, dass du verkackt hast. Ich finde dein Verhalten um ehrlich zu sein auch nicht okay. Wieso hast du meinem Bruder das alles verheimlicht? Wieso hast du mir, deiner besten Freundin das alles verheimlicht? Ich bin so enttäuscht von dir.« Ich schluckte, »Es tut mir leid, aber-« »Nein, kein aber. Das kann man nicht entschuldigen. Niemand hätte es dir übel genommen, wärst du einfach ehrlich gewesen. Vorallem Theo und ich hätten es dir nicht übel genommen, wenn du es einfach direkt gesagt hättest«, fiel sie mir ins Wort. Ich schluckte nocheinmal hart, vorallem als ich merkte, dass sie mit ihrer Ansage noch nicht fertig war, »Und was ist mit Hunter? Stimmt das? Ist es nicht Theos Sohn? Von wem dann?« »Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht Theos Sohn ist«, krächzte ich. Jetzt war es doch raus. Irgendwie fühlte es sich wie eine Befreiung an. May seufzte wieder auf. »Wow Rachel... das ist wirklich unter aller Sau. Ich kenne dich so garnicht. Und es tut weh. Es tut weh, dass ich dich so falsch eingeschätzt habe. Bitte...«, sie machte eine lange Pause, »... melde dich erstmal nicht mehr bei mir und Theo. Ich glaube wir beide müssen erstmal auf deine Aktionen klarkommen. Ich bin so wahnsinnig enttäuscht von dir. Und bitte akzeptier diesen Wunsch von uns.« Dann legte sie auf.
Fassungslos blieb ich sitzen. Mir wurde erst jetzt das Ausmaß meiner Handlungen bewusst. Ich hätte niemals gedacht, dass es einmal zwischen uns so ausarten würde und es tat verdammt weh. Theo und May waren wie eine Familie für mich. Nein, sie waren meine Familie. Plötzlich bekam ich keine Luft mehr. Ich hatte meine besten Freunde verloren. Wen hatte ich denn jetzt noch? Ich spürte, wie ich immer heftiger atmete und begriff, dass ich gerade wieder eine Panikattacke bekam.

Aus Reflex wählte ich mit zitternden Fingern Theos Nummer, erkannte dann aber meinen Fehler. May hatte gesagt, ich solle die beiden in Ruhe lassen. Hektisch ging ich stattdessen den Rest meiner Kontaktliste durch. Und meine Wahl fiel auf Mariella. Meine Arbeitskollegin, mit welcher ich ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hatte. Die schöne Schwarzhaarige nahm bereits nach drei Sekunden ab. »Rachel, was gibts?«
Ich schnappte nach Luft, um überhaupt einen Ton herauszubringen. »Bitte... Hilfe.« »Was ist los?«, hörte ich Mariella panisch nachfragen.
»Ich hab einen Schlüssel.... unter der Türmatte«, krächzte ich angestrengt, »Ich glaube nämlich ich-«, weiter kam ich nicht, denn mir wurde schwarz vor Augen.
Die Ohnmacht überrannte mich, wodurch mein Handy, welches ich vor rund vier Jahren von meiner Mom und den beiden Geschwistern Theo und May zu Weihnachten bekommen hatte, auf den Boden knallte.

Irgendwann spürte ich eine sanfte Bewegung.
Jemand strich mir durch die Haare.
Als ich aufwachte, erblickte ich Mariella.
»Jag mir bitte nicht nochmal so einen Schrecken ein«, lächelte sie, »Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte, hättest du keine Atmung, oder Atmungsunregelmässigkeiten gehabt, hätte ich einen Arzt gerufen. Ich konnte aber nichts derartiges feststellen, deswegen dachte ich es wäre das beste zu warten, bis du wieder von selbst aufwachst.«
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass Mariella auch mit einem Medizinstudium angefangen hatte?
Übrigens an derselben Universität wie May, wobei diese bereits ihren Master machte.
Ich wusste nicht, was alle an Medizin fanden, aber mir sollte es egal sein. Ich zu meinem Teil wollte wahrscheinlich mein Grafikdesignstudium im nächsten Semester wieder aufnehmen, wenn es meine Ängste zulassen würden.

Als Mariella merkte, dass ich nicht antwortete, fragte sie nach, »Rachel, ernsthaft. Sag mir, was los ist.« Als sie das sagte, fing ich augenblicklich an zu weinen, »Theo hat sich von mir getrennt.« Fassungslos starrte mich meine Freundin an, »Was?! Wieso das denn?!« Ich versuchte krampfhaft den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. »Wir haben nicht mehr zusammen funktioniert. Und ich habe ihn bei ernsthaften Dingen belogen«, schluchzte ich, »Jetzt ist auch May auf mich sauer, die beiden werden mir doch niewieder verzeihen«, heulte ich auf. Erleichtert stellte ich fest, dass Mariella nicht nachfragte, wobei genau ich Theo belogen hatte. Stattdessen sagte sie nur: »Rachel, das tut mir so leid. Aber in einem Punkt hast du Unrecht: die beiden werden dir aufjedenfall wieder verzeihen. Geb ihnen einfach Zeit. Ihr seid doch wie eine Familie.« Ich war in diesem Zusammenhang weniger zuversichtlich als sie, aber ich hatte gerade auch keine Kraft dazu, ihr zu widersprechen. Mariella zog mich in eine Umarmung. Ich war ihr gerade so dankbar, dass sie hier war. »Ich fühle mich aufeinmal so alleine...«, nuschelte ich weinerlich gegen ihre Schulter.

Die Schwarzhaarige seufzte auf. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer das alles im Moment für dich sein muss... deine mentalen Probleme, deine Panikattacken, das Verschwinden deines Sohnes... und jetzt sind auch noch Theo und May sauer auf dich. Das ist einfach alles scheiße. Und du bist echt stark, Rachel. Wenn du Hilfe brauchst, dann sag mir bescheid. Ich stehe dir gerne bei.«
»Danke«, Ich drückte sie nochmal stärker, »Ich kann mich glücklich schätzen, dich als Freundin zu haben.«

This Person Will Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt