24.Kapitel

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Es war für mich schwer zu begreifen, dass dieser Mann einmal mein Freund gewesen war.
Wie konnte ich so jemanden einmal geliebt haben? Ich erinnerte mich an früher zurück, wo Derek noch der kleine nette, etwas rundliche Junge war, der gerade neu an die Schule kam. Ich war von Anfang an für ihn da gewesen. Habe ihn vor seinen Mobbern in der Schule verteidigt. Und das war aus ihm geworden? Er war schlimmer als alle diese Menschen die ihm damals weh getan haben zusammen.

Seine Augen wirkten dunkel und müde, aber sprühten gleichzeitig Wahnsinn aus. Genau derselbe Blick, den ich bereits vor etwas mehr als vier Jahren bei ihm sah. Als Sandor und ich vor ihm flüchteten, sowie bei dem Gerichtstermin. Und doch wirkte Derek langsam älter, er hatte nun einen Bart und seine dunklen Haare waren länger. Ich aber konnte nichts schönes an diesem Menschen mehr finden. Ich hatte auch kein Mitleid mit ihm. Da war nurnoch Verachtung für ihn übrig. Ich spürte die Wut in mir aufsteigen. Den Hass. Ich wollte, dass er endlich seine gerechte Strafe bekam. Und nicht, dass er schon nach vier jämmerlichen Jahren wieder aus dem Gefängnis entlassen wird und nun weiter Menschen weh tun kann.

Sandor strich mir weiterhin beruhigend über meinen Oberschenkel, aber an seinem angespannten Blick bemerkte ich, dass er sich gerade wirklich beherrschen musste.
Aber mir half es. Säße Sandor nicht neben mir, hätte ich wahrscheinlich schon einen Nervenzusammenbruch gehabt.

»Erstmal ein herzliches Danke an alle hier Anwesenden! Ihr habt mir die frühzeitige Freilassung aus dem Gefängnis ermöglicht!«, sprach Derek enthusiastisch weiter, während er auf sein Tattoo am Unterarm deutete. Erst jetzt fiel mir auf, dass er auch eins hatte. Dieses hässliche, katzenartige Auge, mit welchem ich für das Wohl der Mission leider nun auch gebrandmarkt war. Aber das bestätigte mir gerade wieder einmal, dass das hier tatsächlich eine Mafia sein musste. »Durch eure Spenden konnte ich befreit werden... aus diesem Grund wollte ich euch etwas zurückgeben. Das hier zurückgeben! Ich habe unseren sonstigen Gruppentreffpunkt hier zu einem Redroom umfunktioniert. Ihr könnt diesen nun alle gratis genießen. Lediglich für besondere Wünsche muss bezahlt werden«, zwinkerte Derek dem Publikum zu. Wow, Leute haben für ihn bezahlt, dass er aus dem Gefängnis kommt? Das erklärte einiges. Derek schien von diesen Menschen hier regelrecht verehrt zu werden. Aber Tanner hatte ihn schließlich auch als „Boss" bezeichnet. Wie konnte es sein, dass dieser schüchterne Junge von damals, mein Ex-Freund, nun zu so etwas geworden war? Ich konnte es mir einfach nicht erklären, egal wie oft ich mir diese Frage stellte.
»Am Ende der Show gibt es außerdem einen Preis, den ihr ersteigern könnt!«, sprach er weiter. Ich runzelte sorgenvoll die Stirn. Das konnte nichts Gutes bedeuten.

Jubel ertönte, Leute klatschten, brüllten, freuten sich, auf das, was gleich passieren würde. »Tanner, bring mir den heutigen Preis!«, befahl Derek dem Mann im weißen Anzug. Okay, alle Restzweifel waren nun beiseite geräumt. Die beiden arbeiteten also definitiv zusammen. Tanner hatte die ganze Zeit etwas abseits, aber dennoch im Arenabereich gestanden. Er verschwand nun in einer großen, schwarzen Tür, wahrscheinlich der „Backstage" Bereich.

Kurze Zeit später trat er wieder aus der Tür hinaus. An der Hand hielt er... einen kleinen Jungen. Er musste ungefähr drei Jahre alt sein. Ich schlug mir die Hand vor den Mund. Das kann doch nicht sein. Ein Kind?! Die Schritte des Jungen waren wackelig und ich war mir sicher, dass er unglaubliche Angst haben musste, da er gerade mit weit aufgerissenen Augen die Tribüne abscannte. Das Jubeln der Zuschauer wurde lauter, doch in mir verebbte das Geräusch und wurde stattdessen durch ein Rauschen im Ohr ersetzt. Woher hatten sie dieses Kind? Hatten sie es jemandem weggenommen? Hatten sie es mir weggenommen? Ich war kurz davor aufzuspringen, doch Sandor hielt mich davon ab. Flehend sah er mich an. Sein Blick bedeutete sowas wie: bitte Rachel, wir dürfen nicht auffallen. Doch ich wusste einfach nicht, wie ich jetzt noch ruhig bleiben konnte, als sich eine fiese Vorahnung in mir breit machte.
Sandor und ich saßen zwar in der obersten Reihe der Tribüne, aber ich war trotzdem noch in der Lage das Gesicht des kleinen Jungen ausreichend zu erkennen. Grund dafür war unter anderem der Bildschirm, auf welchem vorhin noch der Counter angezeigt wurde. Auf diesem wurde nun das Bild näher übertragen.
Und ich erkannte schwarze Haare und stechend grüne Augen auf diesem. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten und fing an zu Schluchzen. Mein Wimmern ging ohnehin in dem begeisterten Brüllen der anderen Zuschauer unter. Ich hatte noch nie einen so großen seelischen Schmerz verspührt wie jetzt.
Ich konnte mein Herz förmlich in tausend Teile zersplittern fühlen. Denn das da auf dem Bildschirm, der kleine Junge in der Arena - das war mein Sohn Hunter, an der Hand eines Kriminellen, als wäre mein Sohn Tanners Eigentum. Ich konnte nicht sagen, ob ich erleichtert oder entsetzt war, Hunter nun endlich gefunden zu haben. Als ich ihn zitternd neben Tanner stehen sah, wünschte ich mir fast, ich hätte ihn tatsächlich nie gefunden. Ihn so zu sehen tat mir mehr weh als alles andere, was ich bisher erlebt hatte.

This Person Will Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt