10.Kapitel

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Am nächsten Morgen standen Mariella und ich völlig übermüdet an der Rezeption.
Meine Freundin wollte sich unbedingt eine Meinung darüber einholen, was das beste Restaurant hier in der Stadt sei. Unbeteiligt stand ich daneben. Meine Gedanken drifteten wieder an mein Gespräch mit Zion gestern ab.
Was aber ganz wichtig ist: kannst du dein Aussehen vielleicht auch etwas anpassen? Es könnte sonst gefährlich für dich werden, einige von Dereks Komplizen wissen ziemlich sicher, wie du aussiehst - kamen mir seine Worte wieder in den Sinn. Das war doch alles so absurd. Was ist, wenn Zion falsch liegt und da eigentlich garnichts hinter diesem Club und den Mafiagerüchten ist?
... Aber was ist, wenn er tatsächlich recht hat? Ich würde dieses Mal alles auf diese eine Karte setzten. Dieses eine Mal. Ich würde Zion vertrauen. Ich will schließlich meinen Sohn zurück.

Mit welcher Frisur und Haarfarbe würde ich wohl gut aussehen?

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als der Angestellte an der Rezeption aufeinmal eine Karte auf den Thresen knallte. Wild gestikulierend zeigte er verschiedene Orte, wo wir essen gehen könnten. Er hatte wohl genug von der Diskutiererei mit Mariella, was mich etwas schmunzeln ließ. Als er jedoch so gestikulierte, rutschte ihm der Ärmel seines weißes Hemdes etwas nach oben und entblößte ein Tattoo. Sofort verzog ich das Gesicht. Ein Auge, mit einer länglichen Pupille. Es war schwarz um die Iris herum, statt weiß.
Es war genau dasselbe Tattoo, wie das des Typen, mit dem Mariella gestern getanzt hatte.
Und auch noch an der selben Stelle.
Und bevor ihr denkt, es wäre derselbe Typ:
Nein, war es nicht. Ich denke, vorallem Mariella hätte es erkannt, wenn der Mann von der Rezeption der gleiche Mann aus der Disco gewesen wäre.

Was wollten alle mit diesem hässlichen Tattoo? Gabs das letztens im Sonderangebot, oder was war da los? Ich verdrehte die Augen. Wäre ich Tättowierer, hätte ich dieses Tattoo meinen Kunden niemals gestochen. Aber in Ordnung.
Als der Mann meinen forschen Blick bemerkte, zog er erst die Augenbrauen zusammen und dann blitzschnell seinen Hemdsärmel wieder herunter. Vielleicht fand er das Tattoo ja selbst so hässlich, dass er nicht wollte, dass es irgendjemand sah. Verständlich wäre das aufjedenfall.

Genervt zog ich an Mariellas T-Shirt Ärmel.
»Mariella, komm schon, lass uns gehen. Wir finden schon was.« »Jaja«, gab sie schnippisch zurück, riss die Stadtkarte an sich und stolzierte Richtung Ausgang. Peinlich berührt von ihrem Verhalten, bedankte ich mich nochmal bei dem Rezeptionisten, ehe ich meiner Freundin nach draußen folgte.

»Ich habe jetzt das perfekte Restaurant für uns.«

Keine zwei Stunden später fiel mir das Laufen schwer. Ich hatte mich in diesem leckeren asiatischen Restaurant so vollgefressen, dass ich mich kaum noch bewegen konnte. Stöhnend hielt ich meinen Bauch, als ich Mariella anflehte, ob wir eine Pause machen könnten. Wir hatten das Buffet bestellt und ich hatte fünf Teller in mich reingehauen. Bei Mariella war es sogar einer mehr gewesen, trotzdem zog sie missbilligend eine Augenbraue in die Höhe, als ich mich auf der nächsten Bank niederließ. Sie selbst war noch Topfit und ließ sich ihren vollen Magen nicht anmerken.

Als ich meinen Kopf an die Scheibe hinter mir lehnte und ihn leicht nach rechts drehte, fiel mir auf, dass wir direkt vor einem Friseurladen saßen. Augenblicklich fiel mir wieder ein, dass ich laut Zion ein Makeover brauchte. Sofort sprang ich, wie von der Tarantel gestochen, wieder auf. Mariellas Augenbrauen zogen sich so stark zusammen, dass sie sich fast in der Mitte trafen. »Wolltest du nicht gerade eine Pause machen? Wieso stehst du jetzt wieder auf?« »Ich hätte Lust auf eine neue Frisur.«
»Wieso das denn und wieso so plötzlich?«, Mariella war total entsetzt, »Deine Haare sind doch total schön«.
»Ich will eine Veränderung. Ein neues Ich.«
Ich war schon dabei, die Tür des kleinen Friseursalons aufzuziehen und einzutreten und ließ Mariella somit keine Chance, mich aufzuhalten.

»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, empfing mich sofort eine ältere Dame, welche mehr als nett wirkte. »Ich hätte gerne eine Veränderung. Ich habe aber keinen Termin gemacht, ist das schlimm?« Sie winkte ab, »Gerade ist sowieso nichts los, setz dich.«
Ich hörte, wie Mariella in den Laden stürmte.
»Guten Tag, haben Sie einen Termin?«, fragte die ältere Frau sie lieb, während sie mich zu dem nächsten Stuhl dirigierte. »Nein, nein«, keuchte Mariella außer Atem, »Ich bin eine gute Freundin von ihr und wollte zuschauen, sowie sie gegebenenfalls vor ihrem größten Fehler bewahren.« »Mariella, übertreibs nicht«, grinste ich, »Es sind nur Haare.«

Es sind nur Haare.

Mindestens das hundertste Mal griff ich in diese, als ich mich malwieder in der nächsten Scheibe begutachtete, während wir vor dem Club Black Cat standen und auf den Einlass warteten. Ich hielt mir eine Strähne direkt vors Gesicht. Sie war blond und um einiges kürzer als vorher. Um genau zu sein, hatte ich nun schulterlange Haare. Zudem hatte ich einen Stufenschnitt und einen längeren Pony geschnitten bekommen. Der Haarschnitt umschmeichelte mein Gesicht perfekt, sodass ich mich augenblicklich fragte, wieso ich mich nicht schon früher für eine andere Frisur entschieden hatte. Vorher hingen meine braunen langen Haare einfach nur langweilig herunter. Mariella schien meine positive Meinung über meine neuen Haare jedoch nicht ganz zu teilen. Sie stand jetzt immernoch fast schon beleidigt neben mir. Sie meinte, dass ich nicht mehr aussehen würde, wie ich selbst.
Diese Aussage freute mich jedoch mehr als alles andere, denn genau das war das Ziel.
Nicht ich zu sein.

Auch war ich wieder stärker geschminkt, meine Sommersprossen waren, wie auch gestern, komplett unter dem Makeup verschwunden.
Bei dem Augenmakeup hatte sich Mariella diesesmal bei mir etwas zurückgehalten. Heute betonte ein warmer Braunton meine dunklen Augen. Wimpern hatte ich mir trotzdem wieder aufgeklebt.

Erstaunt bemerkte ich zudem, wie mir mein neuer Look neues Selbstbewusstsein schenkte.
Eben weil ich mich wie in einer Schauspielrolle fühlte, konnte ich meine Ängste einmal komplett zur Seite legen und zum ersten mal nach circa vier Jahren, fühlte ich mich nicht unwohl, in einer Menschenmasse zu sein, als wir in den Club traten.

Sofort scannte ich den Club nach Zion ab. Dabei fiel mir erst jetzt die komplett verspiegelte Wand des Clubs auf. Komische Wahl was das Design angeht, da Spiegel eigentlich sehr schnell kaputtgehen können, wenn einmal jemand beispielsweise dagegen tritt. Vorallem kann man es in einem Club wohl kaum verhindern, dass irgendjemand mal gegen die Wände stolpert. Trotzdem konnte ich keinen einzigen Riss ausmachen. Vielleicht tauschten sie ihre Spiegel relativ häufig. Oder vielleicht war es einfach dickeres Material?
Wieso beschäftigte ich mich eigentlich damit? Das konnte mir doch egal sein. Also richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Suche nach Zion. Ich sah ihn nicht am Thresen stehen. Mariella hatte mehr Glück als ich, denn ich sah sie aufeinmal wieder neben irgendeinem neuen Typen stehen. Ich verdrehte die Augen. »Mariella, ich gehe mal Zion suchen, den Barkeeper von gestern.«, rief ich ihr zu. »Geht klar«, sagte sie zwar, beachtete mich aber schon garnicht mehr. Ihre Arme waren um den Hals des Mannes geschlungen und sie sahen sich tief in die Augen. Wie schaffte es Mariella immer so eine Wirkung auf Männer zu haben? Es war mir ein Rätsel.

Kopfschüttelnd begab ich mich also auf die Suche nach Zion. Kurz schrieb ich ihm übers Handy ein, „Bin da", ehe ich meine Suche fortsetzte. Als ich an einer schwarzen Tür vorbeilief, hörte ich es plötzlich trotz der lauten Musik neben mir knarzen, als hätte sie sich gerade geöffnet. Gerade, als ich mich herumdrehen wollte, um meine Ahnung zu bestätigen, wurde ich in einen dunklen Raum reingezogen. Ich schrie erschrocken auf, doch der Schrei wurde davon abgedämpft, dass mir jemand seine Hand über den Mund hielt. Die Tür wurde hinter mir zugezogen und das Licht wurde angeschaltet. Ich schlug um mich, um mich aus dem Griff der anderen Person zu befreien und als ich das schaffte, wirbelte ich wutentbrannt zu dieser herum. Es war niemand anderes als Zion.

»Sorry, Rachel. Ich wollte dich nicht erschrecken.«

This Person Will Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt