4.Kapitel

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Ich bat Mariella für ein paar Tage bei mir einzuziehen. Ich wollte Nachts nicht alleine sein und erst recht nicht, falls ich wieder eine Panikattacke bekommen sollte. Die Schwarzhaarige kam meiner Bitte glücklicherweise nach. Wir kamen so gut miteinander zurecht, dass aus ein paar Tagen mehrere Wochen und schließlich Monate daraus wurden. Da Mariella sonst nur bei ihren Eltern lebte, kam ihr das auch als gelegene Abwechselung. Theo und May hatten sich in der Zeit kein einziges Mal bei mir gemeldet und auch ich hatte mich weiterhin an ihren Wunsch gehalten mich nicht bei ihnen zu melden. Meine Mom war immernoch in Tokyo, wir hatten zwar öfter mal telefoniert, aber ich hatte ihr noch nicht von der Theo und May Sache erzählt. Ich wollte, dass sie ihre Zeit im Ausland genoss und nicht, dass sie sich Sorgen um mich machte.

Und ich?
Ich fühlte mich immernoch mies. Jeder Tag war von Schuldgefühlen geprägt. Jeden Tag vermisste ich May und Theo. Jeden Tag fragte ich mich, wo mein Sohn war.

Langsam hatte ich das Gefühl, dass mir nichtmal mehr meine regelmäßigen Therapiesitzungen helfen konnten. Ich würde erst zur Ruhe kommen, wenn ich wieder meinen Sohn im Arm halten könnte.
Immer, wenn Mariella in der Uni war und ich nicht selbst arbeiten musste und ich mich nicht in meinen Therapiestunden befand, ging ich währenddessen der Suche nach diesem nach. Und mit jedem Tag wuchs meine Frustration.
Ich fand nichts und wieder nichts.

Meine schlechte Laune erreichte jedoch ihren Höhepunkt, als die Polizei den Fall meines Sohnes am 06.06. zum Coldcase erklärte.
Ich wollte Theo anrufen und ihn anschreien, was das denn sollte. Aber etwas hielt mich zurück. Seit dem Zeitpunkt veränderte sich nämlich etwas in mir. Ich hatte aufgegeben.

Ich schluckte hart, als ich begriff, dass ich meinen Sohn wahrscheinlich niewieder sehen würde. Seit gestern, an dem Tag, als der Fall von Hunter zum Coldcase wurde, hatte ich mich kein einziges Mal aus dem Bett bewegt.
Ich lag nur da. Konnte nichts machen. Ich starrte entweder die Wand, oder die Matratze an. Mariella brachte mir ab und zu etwas zu Essen vorbei, doch ich konnte einfach nichts essen. Wenn überhaupt, war ich gerade mal dazu fähig ein paar Schlücke Wasser zu trinken. Wenn Mariella mit mir reden wollte, konnte ich nicht antworten. Ich befand mich wie in einem Trance-Zustand, aus welchem es kein Entkommen gab.

Bis zu dem Zeitpunkt, als sich Mariella drei Tage später neben mich aufs Bett hockte.
Ich nahm wahr, wie das Bett etwas protestierend aufheulte, als sie sich setzte, was aber natürlich nicht an Mariellas Gewicht lag, sondern einfach daran, dass mein Bett bei jeder kleinsten Bewegung quietschte. Ich hörte die Schwarzhaarige aufseufzen, als sie mir sanft mit ihren Fingerspitzen über den Rücken strich. »Rachel, so kann das nicht weitergehen. Seit zwei Monaten, seit der Sache mit May und Theo bist du total neben der Spur. Ich hatte gehofft es würde besser werden... aber du liegst jetzt hier seit fast einer Woche nurnoch im Bett herum. Klar, ich kann verstehen, dass dich das total belastet, dass Hunters Fall beiseite gelegt wurde, aber bitte.... du musst versuchen weiterzumachen.« Sie machte eine kurze Pause, in welcher ich - malwieder - keinen Mucks von mir gab. Als Mariella bemerkte, dass sie keine Antwort mehr bekommen würde, seufzte sie genervt auf. Plötzlich spürte ich einen bestimmenden Griff an meinem Oberarm und wie die Schwarzhaarige versuchte, mich energisch aus dem Bett zu ziehen. »Es reicht jetzt, Rachel. Wir gehen heute Abend feiern, bringen dich ein wenig unter Leute, vielleicht kannst du ja jemand Nettes kennenlernen. Komm.«

Ich wollte mich wehren, hatte aber keine Kraft und Lust dazu, weshalb ich einfach auf den Boden neben mein Bett plumste. Ich flog genau auf mein Steißbein, was mir aber nicht nur ein schmerzhaftes Zischen entlockte, sondern mich tatsächlich irgendwie wachrüttelte. Dann starrte ich Mariella entgeistert an, »Jemanden kennenlernen?!«, meine Stimme klang heiser, »Das klingt so, als würdest du davon ausgehen, dass Theo und ich niewieder zueinander finden würden!«, rief ich empört. Seufzend hockte sich Mariella zu mir auf den Boden. »Ich denke, dass du und Theo einfach besser als Freunde funktioniert, das hast du doch selbst gesagt, Rachel. Ich sehe das einfach genauso.« Ich verstummte. Sie hatte recht. Trotzalldem lies sie mich so fühlen, als wäre das Aus mit Theo endgültig... was mich irgendwie störte.
Aber vielleicht hatte sie recht... vielleicht musste ich wirklich mal jemand Neues kennenlernen.

Energisch zückte Mariella ihr Handy. »Ich schaue jetzt nach einem Hotel, in welchem wir schlafen können. Wir fahren in die nächste Stadt und lassen uns es da einfach mal übers Wochenende gut gehen. Einverstanden?« Ich nickte kaum merklich, aber anhand davon, dass Mariella nicht einmal auf meine Reaktion achtete, wurde mir klar, dass es ihr egal gewesen wäre, ob ich nein oder ja gesagt hätte. Sie hätte so oder so dieses Hotel für uns gebucht.

Mariella klebte regelrecht an ihrem Handy und bereits nach zehn Minuten rief sie ein glückliches, »Ah! Hab eins!!«. Mit leuchtenden Augen hielt sie mir ihren Bildschirm hin.
Es war ein schönes Hotel mit moderner Einrichtung. Anhand der Beschreibung, welche »VIER STERNE HOTEL IM ZENTRUM DER STADT!!«, lautete, war es schwer zu übersehen, dass dieses Hotel die perfekte Lage hatte. »Das Hotel ist perfekt, Rachel!! Es ist nicht allzu teuer, sieht klasse aus, wir haben dort Halbpension und müssen nur zehn Schritte zum nächsten Club laufen, welcher sich übrigens direkt gegenüber befindet. Das buche ich uns.« Ich öffnete gerade meinen Mund um etwas zu entgegnen, doch Mariella legte mir warnend einen Finger auf die Lippen. »Shhh. Nein, keine Widerrede.« Also sagte ich nichts, sondern schaute nur dabei zu, wie die Schwarzhaarige mit leuchtenden Augen auf „Buchen" tippte und unsere Kontaktdaten angab. Ungewollt musste ich lächeln. Allein wegen Mariellas glücklichem Gesichtsausdruck lohnte es sich, dieses Angebot einzugehen. Sie war in den letzten Wochen immer für mich da gewesen - vorallem sie hatte sich dieses Wochenende, wo wir beide einfach mal loslassen könnten, reglich verdient. Die Stadt in welcher sich das Hotel befand, war zwar für uns nichts Neues, da sie sich in der Nähe unseres „Dorfes" befand und die Entfernung nur eine halbe Stunde Fahrzeit ausmachte, jedoch mochte ich es, dort Zeit zu verbringen. Schließlich kannte ich auch noch nicht jede Ecke dieser Stadt. Vorallem nicht die, in welcher sich unser Hotel befand.

Nun packte mich doch die Aufregung und als Mariella ein freudiges, »Hopp, hopp! Pack deine Sachen, wir fahren in zwei Stunden los!«, von sich gab, packte mich schließlich auch die Vorfreude. Das würde cool werden.

This Person Will Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt