14.Kapitel

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Benommen sah ich mich um. Ich war in meinem Zimmer. Erleichtert atmete ich aus.
Ist dieses ganze Wochende wirklich passiert, oder war das nur ein böser Traum?
Ich schüttelte meinen Kopf, um diese seltsame Benommenheit zu vertreiben.
Dann stand ich von meinem Bett auf und bewegte mich Richtung Flur.
Als ich ein schepperndes Geräusch hörte, zuckte ich zusammen.

Trotzdem ging ich weiter, wenn auch etwas langsamer als zuvor. Ich folgte dem Geräusch und fand mich im Wohnzimmer wieder.
Dort kniete ein Mann mit schwarzen Haaren auf dem Boden. Wie war sein Name doch gleich? Sandor? Zion!
Endlich verstand ich, was passiert war. Ich hatte mal wieder eine Panikattacke gehabt und war in Ohnmacht gefallen. Zion hatte mich nach Hause gebracht. Das Wochenende war real und er hatte mich nicht entführt. Wie war er aber in mein Haus gekommen? Irgendwie fühlte es sich seltsam an, ihn bei mir zu haben. Er hatte mich immernoch nicht bemerkt, als ich näher zu ihm trat. Erst dann erkannte ich, was er überhaupt tat. Er sammelte Scherben auf. Ihm war ein Bild runtergefallen, welches ich zuvor auf einem Regal stehen hatte.

Ich trat noch näher an ihn heran und endlich bemerkte er mich. »Hey Rachel, tut mir echt leid für dieses Chaos. Geht's dir wieder besser?« Ich nickte nur stumm. »Ich habe einen Haustürschlüssel unter deiner Fußmatte gefunden und dich reingebracht, als du in Ohnmacht gefallen bist.« Ah, somit wurde die Frage wohl nun auch beantwortet. Und ich sollte mir wohl dringendst ein neues Versteck für meinen Ersatzschlüssel ausdenken.
»Tut mir echt nochmal sehr leid wegen dem Bild.« Ich winkte ab. »Welches ist es denn überhaupt gewesen?« Zion hielt es mir hin und ich riss die Augen auf. Fuck. Es war ein Foto von mir und Theo. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, saß auf dem Bild auch noch Hunter auf Theos Schultern. »Ich wusste garnicht, dass du eine Familie hast«, Zion klang zutiefst enttäuscht. »Ist das dein Freund? Und dein Sohn?« Ich schluckte hart. »Das war mein Freund. Er ist es jetzt schon seit einer Weile nicht mehr.« »Heißt, im Club war ich sowas wie eine Ablenkung für dich?« Verletzt sah er mich an. Seine eisblauen Augen wirkten aufeinmal noch kälter. »Das mit meinem Ex-Freund hat schon länger nicht funktioniert«, sagte ich lediglich, als wäre es die Erklärung für alles.

Hilflos sah ich dabei zu, wie er nun auf Hunter tippte. »Und das ist euer Sohn? Als ich dich reingebracht habe, habe ich auch viel Kinderspielzeug und sogar ein Kinderbett gesehen.« Ich sagte nichts. Ich konnte nicht.
»Witzigerweise finde ich, dass mir der Junge ähnlicher sieht, als deinem Ex-Freund.«
Wow, das war eine sehr direkte Aussage.
Scheiße, wie konnte es sein, dass er so verdammt schlau war. Er war mir auf der Schliche und ich war noch nicht bereit für dieses Gespräch. Also baute ich mir ein weiteres Lügenkonstrukt, als ich sagte, »Das ist nicht mein Sohn, dass ist mein... Cousin?«, Fuck, das würde er mir doch niemals abnehmen. »Ist ja witzig, dass dein Cousin vom Aussehen her der Bruder meiner Tochter sein könnte. Sie sah als Kind fast identisch aus.« Ich blieb still. Zion stellte das Bild wieder zurück auf seinen ursprünglichen Platz. Jedoch wurde es nun nurnoch von seinem Rahmen geschützt. Das Glas war komplett zerstört. »Wo ist deine Tochter jetzt überhaupt?«, versuchte ich hektisch das Thema zu wechseln. »Hast du sie wieder zu dir genommen?« Zion richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Sie lebt in einer Pflegefamilie, was ich auch nicht schlimm finde. Sie wird dort besser behandelt, als ich es jemals könnte. Ab und zu besucht sie mich, wir verstehen uns immernoch super, obwohl sie sich in den letzten vier Jahren sehr verändert hat. Sie ist so ein schönes Mädchen geworden«, lächelte er. »Das freut mich zu hören, ich hoffe, ich kann sie auch mal wiedersehen«, lächelte nun auch ich. Zion sah mich direkt an, »Natürlich, Rachel. Sie liebt dich. Sie hat schon öfter nach dir gefragt.« Ein warmes Gefühl machte sich in mir breit, als er das sagte. Doch im selben Moment fragte ich mich, ob es so eine gute Idee wäre, so in der Vergangenheit rumzuwühlen, wie ich es im Moment tat.

»Was war vorhin los?«, riss mich Zion wieder aus meinen Gedanken, »Wieso bist du einfach umgekippt?« Ich zuckte mit den Schultern und überlegte, ob ich überhaupt antworten sollte.
Ich tat es aber dann doch: »Ich hatte ein Flashback an die Entführung damals. Ich habe mich in dem Moment mit dir alleine im Auto um ehrlich zu sein einfach nicht sicher gefühlt«, sagte ich wahrheitsgemäß. Ich sah, dass sich Zion sichtlich getroffen fühlte. »... Du bekommst immernoch Flashbacks...?«, fragte er leise und sah zu Boden. Ich nickte, »Ja... bestimmte Trigger lösen bei mir noch heute Flashbacks und Panikattacken aus, das stimmt schon. Ich bin in Therapie, aber die scheint bei mir nicht so anzuschlagen. Ich wollte mich jetzt mal nach einer neuen Psychotherapeutin umsehen.«
»Fuck... das tut mir so unendlich leid, Rachel. Du weißt nicht, wie gerne ich die Zeit zurückdrehen würde und das alles ungeschehen machen würde.« »Ich weiß.«, schluckte ich, »Das kannst du aber nicht.«
»Rachel, für die Mission die wir vorhaben, musst du mir aber vertrauen können. Das ist enorm wichtig«, entgegnete er betroffen.
»Das tue ich ja auch irgendwie... zum Teil. Es ist nur... ich weiß garnicht, wer du eigentlich bist. Du bist nun Zion. Wir haben uns vier Jahre lang nicht gesehen - ich kenne dich also eigentlich garnicht.« Der Angesprochene seufzte auf und ließ sich auf mein Sofa nieder, welches in nur fünf Metern Entfernung stand. »Was willst du wissen?«, fragte er dann. »Alles. Deine Lieblingsfarbe, dein Lieblingsessen, deine Zeit im Gefängnis, deine Familie, deine Jugend.«

Nun schlich sich ein Schmunzeln auf sein Gesicht. »Meine Lieblingsfarbe ist - oh Wunder - schwarz.« »Schwarz ist keine Farbe.« Er überlegte kurz. »... Okay, da hast du wohl recht. Dann würde ich wohl die Farbe deiner Augen wählen.« Als hätte jemand bei mir einen Schalter umgelegt wurde ich augenblicklich rot, Zion fuhr aber unbeirrt fort. »Mein Lieblingsessen ist ganz klar alles was griechisch ist. Ich habe griechische Wurzeln, wegen meinem Vater. Zumindest hat mir das meine Mom erzählt, ich habe meinen Dad schließlich nie richtig kennengelernt.« Langsam ließ ich mich auf das andere Sofa, gegenüber von seinem sinken und hörte weiter aufmerksam zu. »Mein Vater hat sich als ich noch im Kindergarten war verpisst, keiner weiß wohin. Aber die fehlende Vaterfigur hat mich wohl in diese Drogenschiene rutschen lassen, in welche ich als Teenager reingeraten bin. Meine Mom hat mich in eine Entzugsklinik einweisen lassen, als ich einmal fast an einer Überdosis gestorben wäre. Erst da hatte sie bemerkt, dass ich überhaupt Drogen nahm. In der Entzugsklinik lernte ich meine jetzige Ex-Freundin Jenny kennen. Sie hatte dort damals ein FSJ angefangen und war so ein positiver Mensch, dass mich Ihre Ausstrahlung sofort verzaubert hat. Durch sie und die Klinik konnte ich endlich einen gesunden Weg einschlagen. Was das sexuelle Thema angeht...«, er räusperte sich peinlich berührt, »... waren wir sehr naiv und kurz darauf wurde Jenny mit Loreen schwanger. Ich habe mir daraufhin noch mehr als sowieso schon vorgenommen, mich zu bessern. Eine gute Tat am Tag hieß es. Dann habe ich bei einem Spaziergang dich mit deinem Vater spielen sehen. Ich wohne jetzt zwar in der Stadt, habe damals aber auch hier im Dorf gewohnt. Ich hab die Szenerie damals wahrscheinlich länger betrachtet, als ich sollte. Ich habe nicht verstanden, wie man ein so unbeschwertes Verhältnis zu seinem Vater haben konnte. Ich selbst kannte das schließlich nicht so.«
Ich wusste was jetzt kommen würde und versuchte mich innerlich schonmal darauf vorzubereiten. Aber allein schon, dass er meinen Vater erwähnt hatte, gab mir einen Stich ins Herz. Ich vermisste ihn. Er würde mich mit aller Macht vor den Dingen beschützen, die mir Angst machten.

»...Jedenfalls, habe ich euch eine Weile so betrachtet und da ist mir ein Auto aufgefallen, was mit hoher Geschwindigkeit auf euch zu fuhr. Dir war gerade ein Federball auf die Straße geflogen und du bist ihm hinterher, um ihn aufzuheben. Dein Vater wiederrum ist dir nach, hat versucht, dich auf den Bürgersteig zurückzuziehen. Es ging alles so schnell... er hat sich im letzten Moment vor dich gestellt und Derek hat euch mit seinem Auto erwischt. Deinen Vater hat es somit weitaus schlimmer getroffen als dich. Derek hat nicht mal richtig überprüft, ob ihr noch am Leben wart. Da war soviel Blut - und er hat euch mit so einer Wucht getroffen - , selbst ich bin eigentlich sofort davon ausgegangen, dass ihr tot sein müsstet. Als ich auf euch zugerannt kam, hat er mich gesehen und Fahrerflucht begangen. Ich war mir sicher, dass wenn ich nicht zu euch gerannt wäre, er nochmal über euch gefahren wäre. Als Derek - wahrscheinlich durch die Medien erfuhr -, dass du noch am Leben warst und ich dich mit Hilfe von Mund-zu-Mund-Beatmung am Leben gehalten habe, bis der Krankenwagen kam, muss er mich als den Feind gesehen haben. Er terrorisierte mich über mehrere Monate hinweg... entführte meine Ex-Freundin und meine Mom. Dann erpresste er mich schließlich mit meiner Tochter und hat mich gezwungen dich zu misshandeln.«
Eine unglaubliche Woge von Traurigkeit brach über mir zusammen. Er hatte soviel Vergangenes wieder hervorgeholt und es drohte mich zu ersticken. Nein, dieses Mal bleibst du stark, Rachel. Dieses eine Mal rennst du nicht weg, sondern stellst dich der Vergangenheit. »Ich habe dich bei Derek wirklich nicht erkannt, obwohl ich nach dem Unfall öfter mal an deinem Krankenbett war, bis mir deine Mom sagte, dass es wahrscheinlich besser wäre, dich in Ruhe zu lassen«, er machte eine kurze Pause, »... Die Entführung und das alles tut mir mehr als leid. Das hat mich und dich psychisch kaputt gemacht. Im Gefängnis habe ich deswegen aus Frustration, die sich gegen mich selbst richtete, oft Schlägereien angezettelt. Ich dachte, ich würde diese Schläge verdienen, nachdem ich so eine Scheiße abgezogen hatte. Sie haben mir geholfen, mich am Leben zu fühlen. Zu einer dieser Schlägereien hat ein Insasse jedoch eine Glasscherbe mitgebracht, mit welcher er mir ins Gesicht schnitt, deswegen die Narbe.«, er deutete auf sein eines Auge, um seine Erzählung bildlich zu untermauern. »Die Zeit im Gefängnis war schrecklich, aber sie half mir schließlich etwas netter zu mir selbst zu werden. Ich half mir zudem auch viel mit Sport. Und mein Antrieb...«, er schluckte hart, »...warst jedes mal du. Ich war mir eigentlich sicher, dich nach der Gefängniszeit niewieder zu sehen, aber ich hatte gehofft, dass falls ich dich doch nochmal wieder sehen sollte, du mir vielleicht irgendwann verzeihen könntest. Das war alles, was ich wollte.«

Ich schluckte betroffen, als er mich nun direkt ansah, »Und dann kommst du mit deiner Freundin ausgerechnet in meinen Club hineinspaziert. Ich habe dich zwar nicht erkannt, hatte aber irgendwie ein vertrautes Gefühl bei dir, deswegen habe ich mich auf dich eingelassen. Ich glaube nicht an Zufälle, Rachel. Ich glaube, wir sollten uns an diesem Tag treffen. Wir müssen das mit Derek aufklären und dazu musst du mir bedingungslos vertrauen.«

This Person Will Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt