6.Kapitel

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Eingeschüchtert betrachtete ich meinen Look in der Spiegelung des Fensters von dem Haus neben mir. Mariella hatte mich geschminkt.
Sie hatte Eyeliner und Wimperntusche aufgetragen, sowie mir einen Smokey-eye Look verpasst, welcher mir mit den dezenten falschen Wimpern ein echt cooles Aussehen verpasste. Der Bronzer von Mariella ließ mein Gesicht zudem kantiger als sonst wirken. Meine Sommersprossen waren durch das Make-up fast komplett verschwunden und meine langen braunen Haare fielen mir glatter als sonst über die Schultern. Unsicher zupfte ich an meinem schwarzen Top. Es war wahrscheinlich mehr als offensichtlich, dass ich mich irgendwie unwohl fühlte. Klar, ich sah zwar cool aus, jedoch erkannte ich mich selbst garnicht wieder, da ich durch das Make-up ganz anders aussah. Wie eine andere Person.
War das da in der Reflektion wirklich ich?

Mariella knuffte mich in die Seite und brachte mich damit dazu, sie anzusehen. Sie selbst hatte bunten Lidschatten aufgetragen, welcher farblich perfekt ihr olivgrünes Oberteil ergänzte. Ihre schwarzen Haare fielen ihr lockig über die Schultern und sie klimperte mich mit ihren Fakewimpern besorgt an.
»Entspann dich mal Rachel, du machst mich selbst ja ganz nervös.« Ich blies die zuvor angestaute Luft hörbar aus, »Tut mir leid, ich versuchs.« Ich war nur so nervös, weil das das erste mal war, dass ich wieder so richtig unter Leute ging. Und das machte mir irgendwie Angst. Ich versuchte mich damit abzulenken, meine Umgebung zu beobachten.

Mariella und ich standen bereits in der Schlange des „Black Cat", jedoch waren wir noch circa fünf Meter davon entfernt, überhaupt erst eingelassen zu werden. Hinter uns war die Schlange mittlerweile auch mindestens zehn Meter lang. Ich erkannte einige Hotelgäste wieder, die ich heute beim Abendessen gesehen hatte. Das wunderte mich nicht, es war nur logisch so viele aus dem Hotel hier anzutreffen, wenn es schließlich direkt gegenüber von dem Club lag.

Ich verdrehte die Augen, als Mariella neben mir aufgeregt auf und ab sprang.
Also erstens konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich sie annährend so nervös machte, wie sie mich gerade mit ihrer Hibbelei und zweitens musste ich echt etwas schmunzeln. Mariella war dreiundzwanzig Jahre alt, doch im Kopf war sie echt immernoch ein Kind geblieben. Ich schluckte. Ganz im Gegenteil zu mir.
Mit meinen mittlerweile fünfundzwanzig Jahren hatte ich mehr erlebt, als die meisten siebzigjährigen. Insgeheim wünschte ich mir ein langweiliges Leben. Ich wollte einfach nur normal leben. Ohne Hunter wäre mir das aber niemals möglich.

Ich wurde leicht angeschubst, »Ausweis bitte.«
Es war der Türsteher, der mich grimmig ansah.
Ich verdrehte die Augen. Sah ich wirklich noch so jung aus oder was? Jedoch hielt ich ihm keine Sekunde später ohne Protest meinen Ausweis vors Gesicht. »Sie können rein«, grummelte er. Dem schien sein Job ja echt Spaß zu machen. Ich bemerkte, das Mariella bereits in der Tür stand und auf mich wartete. Ich schloss zu ihr auf und sah sie irritiert an,
»Haben die dich auch nach deinem Ausweis gefragt?« Mariella schüttelte grinsend den Kopf. Ein weiteres Mal musste ich meine Augen verdrehen. Ernsthaft? Mariella legte immernoch grinsend ihren Arm spielerisch um meine Schultern und geleitete mich in den Club hinein, »Schade, selbst mein Makeup kann dich anscheinend nicht älter aussehen lassen«, gab sie dabei von sich. »Scheint so.«

Ich spürte, wie mich die Nervosität wieder packte. Vor uns war nurnoch ein schwerer, schwarzer Vorhang, welcher uns von der Musik trennte. »Bist du bereit?«, fragte die Schwarzhaarige erwartungsvoll.
»Eigentlich n-«, setzte ich an, doch sie schob mich bereits, ohne auf meine Antwort zu warten durch den Vorhang.
Auf einen Schlag war ich überwältigt mit den ganzen Eindrücken. Schick, aber auch lasziv oder lässig gekleidete Menschen bewegten sich auf der Tanzfläche zum Takt der Musik.
Als Mariella mich in diese Menge hineinzog, rechnete ich bereits damit, eine Panikattacke zu bekommen. Diese blieb aber aus. Tatsächlich konnte ich mich sogar nach einigen Minuten etwas entspannen. Es war gute Stimmung, jeder achtete nur auf sich und seine Tanzbewegungen, weswegen ich versuchte, dasselbe zu tun. Meine Hüften bewegten sich aufeinmal wie von selbst zu der aktuellen
Hip-Hop Musik, wenig später folgten meine Arme. Mariella tat es mir gleich. Sie sah so glücklich aus. »Geile Moves hast du da drauf, Rachel. Wusste garnicht, dass du so gut tanzen kannst«, schrie mir die Schwarzhaarige über die Musik hinweg zu.
»Das kann ich nur zurückgeben«, entgegenete ich im selben Lautstärkepegel. Apropos Pegel - ich merkte, wie ich Lust auf Alkohol bekam.
»Sollen wir mal an die Bar?«, kreischte ich Mariella zu. Diese nickte lediglich als Antwort, wahrscheinlich um ihre Stimme zu schonen.

Als wir uns durch die Menschenmasse bewegten teilten wir diese, wie Moses das Wasser. Augenblicklich fragte ich mich, ob wir wirklich so eine Erscheinung waren. Die Blicke die ich auf mir brennen spürte, schienen mir allerdings Antwort genug zu sein. Augenblicklich fühlte ich mich unwohl. Ich hasste es, der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein. Als wir uns endlich von der Tanzfläche gekämpft hatten, bemerkte ich jedoch, dass Mariella und ich mittlerweile nicht mehr der Aufmerksamkeitsmittelpunkt waren. Stattdessen lag dieser nun an der Bar. Klar, schließlich wollten die Leute hier auch etwas trinken. Jedoch, war die Menge der Leute, die an der Bar stand, mehr als ungewöhnlich. Sie drängten sich regelrecht an den Thresen und als ich genauer hinsah erkannte ich, dass es sich dabei nur um Frauen handelte.

Unschlüssig blickte ich Mariella an, die die Situation anscheinend ebenfalls bemerkt hatte. Ihre Augenbrauen bewegten sich argwöhnisch in die Höhe. »Was ist denn da los?«, fragte sie entgeistert. Ich zuckte mit den Schultern. Die Schwarzhaarige verengte ihre Augen zu Schlitzen, »Das muss ein klassischer Fall von überdurchschnittlich heißer Barkeeper sein, anders kann ich mir das Gedränge da nicht erklären.« Ich prustete los, »Du hast sie nicht alle.« Mit ernstem Blick packte mich Mariella am Arm, »Ach ist das so?«, dann schliff sie mich in Richtung des Gedränges, »Wir werden uns einfach selbst davon überzeugen.«
Als wir uns zu den Frauen gesellten, blieb Mariella plötzlich wie angewurzelt stehen. Mit ihren eins zweiundachtzig Metern, hatte sie keine Probleme, über die Frauenmasse hinwegzuschauen. »Ich hatte recht!«, rief sie mir schließlich zu. »Niemals. Das glaube ich erst, wenn ich's sehe.« Ich reckte und streckte mich, jedoch konnte ich an den meist größeren Frauen nicht vorbeisehen.

Plötzlich verlor ich den Boden unter den Füßen und ich quickte überrascht auf. Mariella hatte mich hochgehoben, ich baumelte nun in der Luft und mein Blick schnellte sofort an den Thresen. Mir klappte die Kinnlade herunter und urplötzlich verstand ich, wieso sich soviele Frauen um diesen Mann drängten. Er war groß und sah ziemlich muskulös aus, was selbst durch sein schwarzes Polohemd erkennbar war. Tattoos zierten seine Arme und seine etwas längeren schwarzen Haare waren in ein Knäul im Nacken zusammengebunden. Hohe Wangenknochen, ein etwa Sechstagebart.
Kurz überlegte ich, ob ich ihn kannte.
Gerade, als ich darüber nachdachte, änderte sich plötzlich aufgrund eines Liedes die Lichteinstellung im Club und tageshelles Licht traf für eine Sekunde auf das Gesicht des Mannes. Genau in diesem Moment drehte er sein Gesicht zu mir und zwinkerte mir zu.
Eisblaue Augen. Über sein linkes Auge zog sich eine Narbe. Nein, dieses Gesicht konnte ich nicht einordnen. Ich spürte, wie ich errötete. Verdammt, er sah wirklich unglaublich gut aus.
Er hielt immernoch Blickkontakt zu mir. Ich konnte meinen eigenen Blick einfach nicht abwenden. Doch Mariella übernahm das einfach, indem sie mich wieder auf den Boden absetzte. »Wow Rachel, der hat dich ja total abgecheckt!«, rief sie mir grinsend, über die Lautstärke hinweg zu, »Krall dir den.«
Unsicher zuppelte ich an meiner Kleidung herum. »Der flirtet doch bestimmt mit jeder so, er ist schließlich Barkeeper.« »Rachel, es reicht. Du brauchst verdammt dringend mal wieder Sex und ein bisschen Liebe.« Empört wollte ich gerade zum Gegenschlag ansetzen, doch Mariella hatte ein Ass im Ärmel. Aus diesem zog sie nämlich - wie auch immer -, ein Kondom hervor und steckte es mir ohne Kommentar in meine Hosentasche. Entgeistert blickte ich sie an. »Jetzt guck nicht so, mach einfach mal. Ich finde hier bestimmt auch noch jemanden.«

»Aber-«, setzte ich an, verstummte jedoch, als ein Mann auf uns zukam. Als hätte Mariella es heraufbeschworen, fragte dieser sie, ob sie mit ihm tanzen wollte. Er sah gut aus, ich erkannte auf den ersten Blick, dass er mit seinen braunen Locken und dem Underground-Style total Mariellas Typ entsprach. Noch dazu sah er wirklich freundlich aus. Mariella bejahte seine Frage auch, ohne zu zögern, ihre Augen leuchteten. »Bist du wirklich okay damit?« fragte ich an meine Freundin gerichtet nach. Damit meinte ich natürlich, ob sie wirklich mit diesem fremden Mann tanzen wollte. Mariella bestätigte die Frage augenblicklich mit einem eindeutigem Nicken. »Wenn was ist, rufe ich dich an, der Club ist ja sowieso nicht so groß, ich werde mich eher am Rand aufhalten, wir werden uns schon wiederfinden.« »Ist das wirklich okay für dich?«, fragte ich nocheinmal unsicher nach. Als Antwort gab mir die Schwarzhaarige nur grinsend einen starken Schubser richtung Thresen, dann verschwand sie auf der Tanzfläche.

This Person Will Not ExistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt