Schockiert sah ich ihn an, ehe ich hektisch versuchte, den Tor-Browser zu schließen. In meiner Hektik verfehlte ich jedoch mehrmals das „X" und versuchte aufgrunddessen den Bildschirm schlicht und ergreifend mit meinen Händen zu verdecken. Garnicht verdächtig oder so. Vorallem nicht für einen angehenden Polizisten.
Theo schritt mit langsamen Schritten auf mich zu, griff bestimmend nach meinen Handgelenken und riss diese vom Monitor weg. »Was soll das, Rachel?«,fragte er bedrohlich ruhig, »Ich dachte, du hättest damit aufgehört.« Sichtbar enttäuscht ließ er meine Hände los. Diese fielen wie abgestorben, kraftlos auf meine Oberschenkel.
Langsam ging er zwei Schritte zurück und ließ sich auf mein, bzw. unser Bett sinken. Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen.
»Du hast das doch garnicht nötig«, verzweifelt sah er mich wieder an, seine blauen Augen waren aufgerissen und glänzten feucht.
»Ich verdiene doch mittlerweile genug«, seine Stimme brach. »Wieso lügst du mich an?«, hauchte er nach einigen Minuten der Stille, in denen ich ihm immernoch nicht geantwortet hatte, sondern ihn stattdessen immernoch nur schockiert ansah. »Ich... I-«, fing ich an, doch mein Freund unterbrach mich direkt.
»Ja, auf die Erklärung bin ich mal gespannt. Seit wann machst du das wieder?«, fragte er verletzt.»Ich...«, mein Herz klopfte bis zum Hals. Dieser enttäuschte Ausdruck Theos war mittlerweile Alltag geworden, was jedoch nicht bedeutete, dass ich mich daran gewöhnte. Ich machte mir jeden Tag Sorgen, diesen Gesichtsausdruck wieder sehen zu müssen.
»Ich mache das wieder, seitdem Hunter auf die Welt gekommen ist«, nuschelte ich und starrte beschämt auf den Boden. Ich traute mich garnicht, Theo anzusehen. Es entstand eine lange Stille zwischen uns.
»Aber wieso?«, fragte er verzweifelt, »Verdienst du im Café nicht genug? Verdiene ich nicht mittlerweile genug?«»Nein, ich verdiene dort nicht genug. Als Hunter auf die Welt kam, wollte ich ihm ein schönes Leben ermöglichen. Deswegen habe ich meine Darknet Geschäfte wieder angefangen. Und vorallem will ich finanziell nicht von dir abhängig sein. Ich will mein eigenes Geld verdienen.«
»Aber du kannst dein Geld doch auch anders verdienen, Rachel!«, rief er fassungslos.
»Oder ist das, weil das hier einfach bequemer für dich ist, mh? Da musst du nicht persönlich mit Kunden verhandeln. Sind ja nur paar Klicks auf dem Computer und schon kriegst du deine Bitcoin«, spie er mir entgegen.
Das tat weh. Das hatte mich nun wirklich verletzt.Theo hatte auf etwas angespielt, was mich seit der Entführung bedrückte. Seit der Entführung hatte ich panische Angst vor fremden Menschen. Man könnte es mit einer Sozialen Phobie vergleichen, jedoch beruhte meine Angst dabei hauptsächlich darauf, dass ich mittlerweile nurnoch das Schlechte im Menschen sah. Ich probierte ungern Neues. Deswegen konnte ich mir nicht vorstellen woanders, als im Café bei Mrs. Hill zu arbeiten. Ich kannte dort die Leute, ja sogar fast alle Gäste bereits ewig. Das Café war mein Alltag, meine Normalität, meine Realität. Situationen außerhalb meiner Komfortzone machten mir mehr Angst, als alles andere. Ja, wahrscheinlich war ich deswegen wieder zu thispersondoesnotexist.onion zurückgekehrt.
Weil ich seit meinem neunzehnten Lebensjahr mit dieser Seite Geld verdiente.
So Unrecht hatte Theo also nicht.
»Das ist unfair«, ich bekam Tränen in die Augen. »Du verstehst mich nicht.« Nun sah ich ihn direkt an und konnte somit perfekt dabei zusehen, wie sich eine steile Zornesfalte auf seiner Stirn bildete.»Nein Rachel, ich verstehe dich tatsächlich nicht. Ich weiß, dass du viel durchgemacht hast, aber irgendwann muss man halt mal weitermachen.« »Verdammt, ich kann nicht weitermachen, solange ich immernoch diese Flashbacks und Panikattacken bekomme und vorallem nicht, solange mein Sohn verschwunden ist!«, heulte ich auf.
»Dein Sohn? Ich glaube, es ist ja sehr wohl auch mein Sohn.« Ich biss mir augenblicklich auf die Lippe. Theo kannte mich leider schon lange genug, um diesen Gesichtsausdruck zu deuten und scherzte dann, »Außer du hast mich auch noch damit angelogen und Hunter ist garnicht mein Sohn.« Ich sagte nichts. Ich konnte nicht. Meine Unterlippe zitterte.
Zuvor hatte er Hunter noch nie in Frage gestellt. Das spöttische Lächeln verschwand schlagartig aus Theos Gesicht. »Sag mir nicht, dass ich recht habe.« »Natürlich nicht«, erklang meine heisere Stimme. Dann räusperte ich mich.Fassungslos starrte Theo mich an. »Du lügst. Warum lügst du ständig? Ich dachte wir wollten ehrlich zueinander sein. Wer war der andere Mann in deinem Leben?«
»Niemand«, piepste ich. Theos himmelblaue Augen wirkten aufeinmal eisig. »Sag mir verdammt nochmal die Wahrheit, Rachel!«, wurde er nun lauter. »Nur dieses eine einzige Mal.« Ich merkte, wie die Panik wie eine Welle über mich schwappte. Ich fühlte mich, als würde ich untergehen und ertrinken. Ich merkte, wie ich einer Panikattacke nahe kam. »Fuck«, hechelnd hielt ich mir den Hals. Theo sah mich zuerst entgeistert an und ich dachte kurz, er würde mir nicht helfen. Dann aber, nach einer gefühlten Ewigkeit, zog er mich in seine Arme und befahl mir, gleichmäßig mit ihm zu atmen. So konnte ich mich tatsächlich etwas beruhigen.Ruhig lauschte ich Theos gleichmäßigem Herzschlag. Ich spürte, wie mir dieser sanft übers Haar strich. »Rachel, ich kann das mit dieser ganzen Geheimniskrämerei nicht mehr«, fing er irgendwann wieder verletzt an. »Du sagst mir jetzt bitte, was du wirklich immer machst, während ich arbeiten bin.«
Wieder einmal bemerkte ich, wie verschieden wir beide eigentlich waren.
Theo war ein Mensch, welcher Stabilität, Sicherheit und Loyalität versprach. Ich dagegen war ziemlich fehlerhaft. Voller Probleme. Voller Ängste.
Genau deswegen konnte ich Theo nie die ganze Wahrheit sagen. Ich wollte ihn nicht so verderben, wie ich verdorben war. Ich wollte nicht, dass er sah, was für ein Mensch ich wirklich war. Dass ich, entgegen seiner Erwartungen, weder stabil, noch sicher in irgendwas war. Aber jetzt hatte er sowieso schon von der thispersondoesnotexist.onion Sache Wind bekommen. Dann konnte ich ihm wohl auch die anderen Sachen sagen. Unser Verhältnis war sowieso schon zerstört. »Ich weiß, du dachtest, dass ich selbst immer im Café arbeiten bin, während du auf deiner Arbeit bist. Eigentlich arbeite ich aber nur drei Tage unter der Woche, mehr kann und darf ich auch garnicht bei Mrs. Hill arbeiten.« Ich schluckte, als ich merkte, wie Theo sich versteifte. »Ich war aber sonst immer Zuhause und habe auf thispersondoesnotexist.onion Geschäfte gemacht, oder aber... oder...« »Oder?«, fragte Theo ungeduldig nach. »...Oder im Darknet nach Hunter gesucht.«»Wie bitte?«
Er schob mich von sich weg, sodass er mich ansehen konnte. »Was soll das? Du weißt doch, wie gefährlich das sein kann. Du musst nur einmal auf den falschen Link klicken und dann-« »Ja ich weiß, aber-«, schnitt ich ihm das Wort ab, wurde gleich darauf aber wieder von dem Blonden unterbrochen, »Nichts aber. Wieso tust du das überhaupt? Die Polizei sucht doch nach ihm. Du brauchst das doch garnicht machen.«
Nun kamen mir die Tränen in die Augen, »Verdammt Theo, deine tollen Polizeifreunde haben jetzt in diesen zwei Jahren nichts gefunden, NICHTS! Dann ist es ja klar, dass ich selbst nachschauen will, wenn ihr NICHTS GEBACKEN BEKOMMT!«, den letzten Satz spie ich ihm entgegen, ehe ich wieder leiser wurde. »Ich will doch einfach nur meinen Sohn zurück.« »Es ist eben nicht so einfach, vorallem wenn Derek auch behauptet, dass er nichts damit zu tun hatte und die Einbrecher vor einem Jahr absolut keine Spuren hinterlassen haben«, fauchte er zurück. »Polizisten sind eben auch nur Menschen, Rachel. Ich bin kein Überwesen oder sowas. Die Suche nach Hunter wird bald auch bis auf weiteres eingestellt, wenn wir nichts mehr finden und das ist auch sinnvoll so, wenn es noch keinen einzigen Anhaltspunkt gibt.« »Dann muss man sich eben mehr bemühen einen zu finden!« heulte ich auf. »Na schön! Dann hast du sicher schon was gefunden oder? Wenn du dich so bemüht hast?«, wurde er wieder lauter.
Ich wurde wieder stumm. Ich hatte bisher selbst noch keinen Anhaltspunkt. Das einzige, woran ich mich festklammern konnte, war der Nutzername Donotcry666, jedoch konnte weder die Polizei, noch ich irgendwas mit diesem Namen im Endeffekt anfangen - man konnte ihn nämlich nicht weiter verfolgen. »Wie ichs mir dachte«, knurrte er. Er machte eine kurze Pause, in der er einmal tief durchatmete. »Weißt du was? Mach doch was du willst, es reicht mir. Such nach deinem Sohn, meiner ist es ja offensichtlich nicht, mach dein Ding, aber lass mich in Ruhe. Ich will keine Freundin die auf kriminellen Seiten im Darknet hantiert. Ich mache verdammt nochmal eine Ausbildung zum Polizisten. Ich darf mir so jemanden an meiner Seite nicht erlauben.« Tränen flossen mir die Wange hinab. Wars das jetzt? »Rachel. Irgendwie... ich hoffe sogar, dass Hunter wirklich nicht mein Sohn ist. Das würde mir einiges an Stress ersparen und vorallem auch uns beiden. Ich glaube wir wären besser Freunde geblieben, das funktioniert einfach nicht mit uns. Geh zu deinem Loverboy und lass mich einfach in Ruhe.« Er sprach genau das aus, was ich sowieso schon gedacht hatte, aber verdammmt, wieso tat es so weh, dass von Theo zu hören?
Er musste sich wahnsinnig verraten fühlen, denn so verletzende Sachen hatte er noch nie zuvor zu mir gesagt. Ich spürte mein Herz in tausend Teile zerbrechen.Ich griff nach Theos Ärmel, als er aufstehen wollte. »Ich will dich nicht verlieren«, krächzte ich weinerlich. Sein Blick war kalt. Distanziert.
»Das hättest du dir früher überlegen müssen.«
Dann ging er.
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This Person Will Not Exist
Misteri / ThrillerEr wird mich niemals in Ruhe lassen. Er wird immer irgendwie präsent in meinem Leben sein, egal ob physisch oder psychisch. Entweder er oder ich. Sonst wird es nie enden. *ZWEITER BAND VON „This Person Does Not Exist"* ++++ !ACHTUNG! Diese Geschicht...