Flammen der Vergangenheit

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Nach minutenlanger Stille richtete Harker das Wort an mich. Seine Stimme klang warm und mischte sich harmonisch unter das Knistern des Feuers. "Verzeihen sie meine Aufdringlichkeit, aber ich habe das Gefühl, dass sie etwas bedrückt. Mit Verlaub, sie machen einen betretenen Eindruck." Meine Augen folgten dem Lodern der Flammen. Ich spürte die wohlige Wärme des Feuers auf meiner Haut. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich Harkers Frage unterbewusst nur beiläufig wahrnahm. Er wiederholte sich: "Davy?" Ich ließ die Flammen aus meinem Fokus und schüttelte mit dem Kopf, als wolle ich meine Gedanken abschütteln. "Oh Verzeihung, ich war in Gedanken.", antwortete ich etwas neben der Spur. "Was für Gedanken, wenn ich fragen darf?". Ich schwieg. "Es kommen nur gerade ein paar Erinnerungen hoch, mehr nicht. Etwas Persönliches.", sagte ich und musste schlucken. "Kein Grund mir nicht davon zu erzählen.", lächelte er. Er beugte sich leicht nach vorn. "Hören sie, ich kann sie nicht dazu zwingen, aber mit jemandem über schmerzhafte Erinnerungen und Erlebnisse zu sprechen, kann helfen." Ich blickte ihn verwirrt an. "Woher wollen sie wissen, dass sie schmerzhaft sind." Harker musste schmunzeln. "Ich bitte sie, dafür muss man kein Sherlock Holmes sein. Ihre Augen sind leicht glasig. Und mit Verlaub, so wie sie gerade den Brandy runtergekippt haben, kann es nur schmerzhaft sein." Ich musste erneut schlucken. "Oh", schmunzelte der Doktor, "wie heißt sie?" In diesem Moment war es, als ob eine eiskalte Hand nach meinem Herzen griff. Ich merkte, wie meine Hand anfing zu zittern. Mit zittriger Stimme fragte ich ihn: "Woher? Woher zum Teufel wissen sie das?" "Ein Mann in ihrem Alter hat Tränen in den Augen, mit Verlaub, worum soll es sonst gehen? Die Fotografie im Deckel ihrer Taschenuhr- Sie ist es, oder?" Erneut durchzog mich ein eiskalter Schauer. Es war, als ob sich mir für den Moment kurz die Kehle zuzog. Ich schnappte nach Luft. "Woher wissen sie von der Fotografie?" Ich spürte, wie mein Herz pumpte. "Keine Sorge, ich habe keine übersinnlichen Kräfte oder solch ein Humbug.", lachte er. "Während ihres Frühstücks mit Wilde sah er die Fotografie für einen Moment und erzählte mir davon." Ich holte die Uhr heraus. Sie bestand aus Messing, mit einigen goldenen Verzierungen. Ich erinnerte mich, wie meine Mutter sie mir nach dem Tod meines Vaters gegeben hatte. Ich drückte auf den Knopf, wodurch der Mechanismus zum Öffnen der Deckel ausgeführt wurde. Auf der Innenseite des einen Deckels war die Fotografie, welche noch wenige Wochen zuvor in einem Bilderrahmen auf meinem Tisch im Militärlager stand. Ich zeigte Harker das Bild. "Sie ist wunderschön." Bedrückt blickte ich auf mein Brandyglas. "Oh ja, das ist sie. Die schönste Frau, welche ich in meinem Leben je erblickt hatte. Ihr Name ist Laurel Winters. Sie war... Ich war... Wir waren liiert. Vor knapp 2 Jahren. Ich lernte sie zufällig auf einer Fähre von Calais nach Dover kennen. Ich würde schon fast sagen, es war Liebe auf den ersten Blick. Wir trafen uns immer öfter und es führte eins zum anderen. Sie war wie ich Waise und wollte sich in London ein neues Leben aufbauen. Ich erinnere mich noch an einen Abend. Wir saßen auf einem Hügel nahe des Stadtrandes. Wir beobachteten den Sonnenuntergang. Es wurde immer kälter und der Wind zog uns eisig um die Ohren. Ich nahm eine Decke und legte sie um unsere Schultern. Ich nahm all meinen Mut zusammen und gestand ihr meine Liebe. Ich war furchtbar nervös. Sie können sich meine Freude vorstellen, als sie sie erwiderte. Wir saßen dann einfach nur da. Schauten uns einfach nur an. Ich weiß, das klingt absolut kitschig. Es tut mir leid.", lächelte ich zaghaft und wischte mir die aufkommenden Tränen aus den Augen. "Keinesfalls, Davy. Das was sie hatten, haben nicht viele in diesen Zeiten. Das ist nicht kitschig- das ist größte Glück.", sprach er beruhigend auf mich ein. "Wenn sie meinen. Wir zogen wenig später in ein gemeinsames Apartment. Das war die schönste Zeit meines Lebens, das können sie mir glauben. Doch leider wurde unsere Beziehung zunehmend von meiner Ausbildung in der Army überschattet. Oft war ich wochenlang fort und ließ sie allein. Sie arbeitete in einer Schneiderei und konnte somit allerdings für sich selbst sorgen. Wir pflegten allerdings eine durchaus aktive Brief-Korrespondenz. Glauben Sie mir, ich vermisste sie jeden Tag aufs Neue. Wissen Sie, wenn man jemanden vermisst, ist es, als ob einem das Herz Tag für Tag erneut herausgerissen wird." Ich hielt einen Moment inne und schwieg.

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