Der nächste Morgen

18 4 0
                                    

Als der erste Sonnenstrahl wenige Stunden später durch das Fenster fiel, wurde ich wach und stieg verschlafen aus meinem Bett. Trotz dessen die Nacht alles andere als erholsam war, schmerzten meine Knochen nur noch minimal. Noch halb in Morpheus Armen kleidete ich mich an. Als ich mein nun getrocknetes Jackett vom Stuhl nahm, fiel meine Taschenuhr aus der Seitentasche. Mit einem dumpfen Poltern landete sie auf dem Boden. Ich machte mir wenig Gedanken darüber und bückte mich um die Uhr aufzuheben. Doch mit einem Mal hielt ich inne. Ich war auf einen Schlag hellwach. In den groben Fasern des Teppich war etwas eingetrocknet und verkrustet. Es war definitiv kein Matsch. Ich löste ein Teil davon ab und verrieb es in meiner Hand. "Ich Idiot", rief ich plötzlich, als ich realisierte, was dort in meinem Teppich eingetrocknet war. Langsam fügte sich das Bild zusammen. Ich blickte auf meine Uhr, welche noch immer auf dem Boden lag. Mit einem Mal wusste ich, welches Detail ich übersehen hatte. Hastig verlies ich mein Zimmer und rannte die Treppe ins Erdgeschoss hinunter und begab mich in den großen Essraum, in welchem bereits Harker und Wilde ein knappes Frühstück zu sich nahmen. "Sieh einer an, wieder abgere-", sagte Wilde, bevor ich ihm ins Wort fiel. "Wir haben einen Fehler gemacht. Einen gewaltigen Denkfehler.", sagte ich außer Atem. Als ich die fragenden Blicke meiner Kollegen sah, fuhr ich fort. "Was haben wir letzte Nacht gehört, als Burnwood entführt wurde?", fragte ich. "Den Schrei.", sagte Wilde, als er von seinem Croissant abbiss. "Logisch, aber was noch?" Wilde und Harker schwiegen und blickten mich mit verwunderten Blicken an. Nach einigen Sekunden griff ich nach einem Messer, welches auf dem Tisch lag. "Dann etwas genauer, was haben wir nicht gehört?" Ich lies das Messer fallen und es fiel mit einem dumpfen Poltern auf den Teppich. "Was soll denn dieses Verhalten, das war mein Messer?", echauffierte sich Wilde lauthals. Mein Blick wanderte zu Harker und konnte in seinen Augen das gleiche Funkeln erkennen, wie in meinen wenige Minuten zuvor. "Natürlich Davy, sie haben recht. Wie konnte uns das nicht auffallen?" "Womit hat er recht? Kann mich bitte jemand aufklären?", fragte Wilde verwirrt. "Wilde, denken sie doch einmal nach! Versuchen sie einen knapp 120kg schweren Mann auf ein 3m tiefes Vordach aus dem Fenster zu werfen, ohne dass man nicht das geringste Geräusch hört. Vor allem, wenn wir keine 15 Meter von dem Vordach entfernt in der Lobby vor dem Kamin sitzen.", sagte Harker zu ihm. "Sie scheinen mir folgen zu können, Harker!", sagte ich. "Heißt man hat Burnwood zunächst mit einem Schlag bewusstlos gemacht, daher auch der einzelne Blutspritzer an der Wand. Danach wurde er nicht aus dem Fenster geworfen, wie wir jetzt feststellen durften, sondern vermutlich in das nächstgelegene Zimmer gebracht, da der Entführer nicht wissen konnte, wie schnell wir oben im Zimmer sein konnten. Und das nächstgelegene Zimmer wäre... ihres, Davy.", führte Wilde langsam nun fort. "Genau! Und nun sehen sie, was ich heute morgen in meinem Teppich gefunden habe. Mir war es gestern nicht aufgefallen, da ich das Licht nicht angeschaltet hatte.", sagte ich und zeigte ihnen meine linke Hand. Zwischen meinem Daumen und meinem Zeigefinger hatte ich die getrocknete und verkrustete Flüssigkeit zu feinen Partikeln verrieben. Sie war rot.

"Blut!", sagten Harker und Wilde beinahe synchron. "Sie sagen es meine Herren. Man schien wohl Burnwood während der Flucht in meinem Zimmer ablegt zu haben, in der Hoffnung, dass wir dort nicht nachgucken würden. Dann hat der Entführer das Fenster geöffnet, damit wir draußen im Nichts nach sowieso nicht existenten Spuren suchen würden. Man hat uns schlichtweg an der Nase herumgeführt." Wilde blieb sein Croissant im Hals stecken. "Er war die ganze Zeit vor unserer Nase- Und wir sind blindlinks in die falsche Richtung gelaufen. Wie die kompletten Anfänger.", sagte Harker enttäuscht. "Was machen wir jetzt?", fragte Wilde. "Lassen sie uns überlegen: Was wissen wir?" "Er kann nicht über den Haupteingang weggeschafft worden sein. Das hätte der Portier ohne Zweifel bemerkt.", antwortete Harker. "Also wurde er über einen Hinterausgang hinausgeschafft. Aber es wäre eindeutig zu gefährlich für den Entführer einen bewusstlosen Mann durch halb Edinburgh zu schleppen. Zumal wenn dieser Mann auch noch nicht gerade schlank ist.", führte Wilde fort. "Ich denke ich habe eine Idee, kommen sie mit.", forderte ich die Männer auf. Wir gingen zum Hinterausgang. Ich öffnete die Tür. "Vergessen sie es Davy, der Regen hat sämtliche Fußspuren längst weggewaschen.", sagte Wilde genervt. "Sie gehen mit falschen Erwartungen an die Sache ran, Wilde. Wie kann man einen eher korpulenten Mann am Besten durch eine Stadt transportieren, ohne dass man allzu viele Blicke auf sich lenkt?", fragte ich ihn. In dem Moment fand ich, wonach ich gesucht hatte. Ohne auch nur auf Wilde's Antwort zu warten, fuhr ich fort. "Mit einem Karren oder ähnliches. Und mit solch einem Gewicht hinterlässt der Karren keine oberflächlichen Spuren wie beispielsweise Fußspuren bei uns, sondern tiefe Furchen der Räder. Und die werden nicht so schnell weggespült, zumal dass der Regen kurz nachdem wir die Suche aufgegeben hatten, aufhörte.", sagte ich schon fast triumphierend und deutete auf die noch schwach erkennbaren Spuren von einem Räderwerk im Schlamm. "Sie haben tatsächlich recht. Man muss zwar etwas genauer hinschauen um die Spur zu erkennen, aber dann erkennt man den Weg doch ganz eindeutig. Wie praktisch, der Entführer hat uns eine Spur gelegt." sagte Wilde lächelnd.

Wir folgten der Spur. Es verging eine knappe halbe Stunde bis die Spur sprichwörtlich im Sand verlief. "Er scheint gemerkt zu haben, dass er nicht allzu unsichtbar verschwunden ist, wie er geplant hatte.", meinte Harker ernüchternd. "Wir wissen jetzt allerdings zumindest, dass wir in der komplett falschen Richtung gesucht haben. Mehr bringt uns diese Spur aber jetzt auch nicht.", fügte Harker noch hinzu. "Nicht unbedingt. Wir befinden uns hier schon fast am Stadtrand von Edinburgh. Ich denke nicht, dass er hier nochmal umgedreht ist.", sagte Wilde. "Wilde hat recht, wir sehen zwar in der Richtung bisher nur Land und Leere, doch im Hotel wird man uns bestimmt sagen können, was sich in der Richtung befindet.", stimmte ich Wilde zu. Wir traten den Rückweg an. Den halben Weg schwiegen wir. Jeder von uns machte sich Gedanken. Da war noch etwas, was mir gestern aufgefallen war, doch erneut konnte ich nicht ergründen, was es war. Irgendwas störte mich noch immer. Ein ähnliches Detail, wie das fehlende Poltern des Körpers auf dem Dachvorsprung. Auch diese schnelle Flucht machte mir Gedanken. Es musste jemand sein, der sich hier definitiv auskannte. Und was war der eigentliche Plan von dieser Entführung. Wollte man Burnwood ermorden? Warum wurde er dann noch nicht zur Schau gestellt? Wollte man einen Krieg vom Zaun brechen? Und wie sollten wir Drei, die nicht einmal mit sich selber auskamen, gegen eine unbekannte Anzahl Entführer ankommen. Und so wie ich die Blicke der anderen deutete, hatten sie genau die gleichen Fragen im Kopf.

Nach einer guten dreiviertel Stunde kamen wir wieder beim Hotel an, wo uns Scottie bereits erwartete. "Guten Morgen, Mr Davy, Mr Wilde, Dr Harker!", begrüßte er jeden einzelnen von uns. Nachdem wir ihm grob erklärten, was wir herausgefunden hatten, fragten wir ihn nach möglichen Gebäuden oder ähnliches in Richtung Süden. "Da gäbe es ein kleines Dörfchen, ungefähr 2 Meilen vom Stadtrand entfernt. Knapp eine halbe Meile weiter westlich von dem Dorf gibt es noch ein paar alte Höhlen, wo damals einige von den Dorfbewohnern versucht haben Gold zu finden. Keine Ahnung wie die darauf kamen." lachte er. "Beides sind keine optimalen Verstecke.", murmelte Wilde. "Die Höhlen dürften genügend Schutz vor Unwetter bieten. Auch im Dorf kann man mit Sicherheit gute Verstecke finden.", sagte Scottie daraufhin. "Ich stimme Wilde zu, beides fühlt sich nicht richtig an.", fügte ich hinzu.

"Was ist mit dem alten, verlassenen Salzbergwerk, Scottie? Hat da damals nicht sogar dein Vater gearbeitet?", fragte plötzlich eine Stimme hinter uns. Es war der Portier des Hotels. "Das ist es! Ein verlassenes Salzbergwerk. Viele Möglichkeiten jemanden gefangen zu halten, ohne Risiko, dass er entwischt oder Opfer der Witterung wird. Zudem muss man auch keine Angst haben, dass Fremde sich dorthin verirren!", sagte ich hastig. "Sind sie sich sicher? Es liegt allerdings viel mehr südöstlich vom Stadtrand als die anderen Orte. Sollten wir im Bergwerk nichts finden, hätten wir keine Möglichkeit schnell zu den anderen Plätzen zu kommen. Zudem ist dort alles verwittert. Mich wundert, dass die alten Hütten und Verladekräne noch nicht in sich zusammengestürzt sind.", wendete Scottie ein. "Wir sind uns sicher. Wie lange dauert es bis dorthin?", frage Wilde. "Bis zum Bergwerk sind es rund 5 Meilen. Selbst wenn wir uns beeilen brauchen wir mindestens 2 Stunden bis dorthin. Glauben sie wirklich, dass der Entführer eine solche Strecke zurückgelegt hat?", antwortete Scottie. "2 Stunden sind machbar, bereiten sie alles vor, Scottie. Und packen sie etwas ein, womit sie sich verteidigen können. Wir müssen damit rechnen, dass wir auf Gegenwehr stoßen werden.", antwortete Wilde, ohne auf Scottie's Frage einzugehen.

Three PillarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt