Hinterhalt

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Keine halbe Stunde später brachen wir in Richtung des Bergwerks auf. Die Nervosität unserer Gruppe war mehr als deutlich von unseren Gesichtern abzulesen. Den Großteil der Strecke verbrachten wir im Schweigen. Ich stellte mir immer wieder die Frage, ob es nun die richtige Entscheidung war oder ob wir doch dem falschen Phantom hinterherjagten. Und noch immer machte mir ein Fragezeichen Kopfschmerzen. Ein Detail, welches ich nicht einordnen konnte. Wir trafen auf unserem Weg keine Menschenseele. Aus der Ferne konnte ich noch eine Weile das besagte andere Dorf sehen, bis es irgendwann aus meinem Blickfeld verschwand. Je mehr Zeit verging, desto mehr nahm ein ungutes Gefühl in meinem Körper Platz ein. Sicherheitshalber prüfte ich noch einmal, dass ich meinen Revolver auch wirklich mitgenommen hatte. Ein kurzer Griff an die rechte Seite meines Jacketts bestätigte mir dies.

Nach ungefähr 2 Stunden begann ich in der Ferne eine Gebäudestruktur zu erkennen. Besonders imposant wirkte dabei der riesige Verladekran, welcher selbst das höchste der Gebäude um mehrere Meter übertraf. "Ich denke, wir haben unser Ziel erreicht meine Herren.", sagte Scottie zuversichtlich. Es dauerte noch knapp eine Viertelstunde, bevor wir nur noch knapp 100m von dem Komplex entfernt waren. Es entsprach absolut nicht meinen Vorstellungen. Ich hatte eine riesige Grube mit mehreren Stolleneingängen erwartet. Doch das... war schon fast eine gesamte Siedlung. Zwei große Hauptgebäudekomplexe, welche mit einer schmalen Brücke und einem gemeinsamen Eingang miteinander verbunden waren. Über allem immer noch der große Kran thronend. Alles zusammen wirkte mehr als baufällig und ich hätte vermutet, dass es jede Sekunde wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen würde. Jedes Fenster war beinahe blind vor Schmutz und mehrere Risse verzierten die Fassade der Wände. Und aus einem der oberen Fenster- wuchs tatsächlich ein Baum. "Können sie uns mehr darüber sagen, Scottie?", fragte Wilde skeptisch. "Es ist gänzlich anders, als ich es mir vorgestellt hatte.", fügte Harker noch hinzu. "Das sagen viele, wenn sie das erste Mal hier sind.", lachte Scottie. " An sich ist es allerdings übersichtlich. Der linke Gebäudekomplex ist für die Administration zuständig. Viele verschiedene Büros, alles sehr verschachtelt." "Und auf der rechten?", fragte Harker. "Das sind die Vorbereitungs- und Aufbereitungsräume. Man nannte es auch den oberen Stollen. Dort finden sich Umkleiden, Ausrüstungsräume, Duschen und noch einige weitere Räume, die für die Arbeiter wichtig sind. Außerdem findet man dort auch das ein oder andere Lager oder Räume, wo das gewonnene Salz oder andere Funde aufbereitet wurden. Zudem ist dann im Keller der Zugang zu den Hauptstollen unter Tage.", antwortete Scottie. "Ich verstehe, und diese Brücke dort. Die sieht ziemlich gefährlich aus. Wenn ich das recht erkenne... dann hat sie ja gar kein Geländer, ist das richtig?", fragte ich nach. "Ja, das ist richtig. Sie bietet die schnellste Verbindung zwischen Administration und oberem Stollen. Arbeiter haben dort ihre Lohntüten abgeholt und die Erträge des Tages gemeldet. Und ja, die Brücke ist tatsächlich ziemlich gefährlich. Mein Vater hat mir mal eine Geschichte erzählt, bei welcher einer seiner engsten Mitarbeiter und Freunde gestorben ist. Er sei wohl noch vom Vortrag ziemlich angetrunken gewesen und wollte sich in der Administration anmelden. Dabei stolperte er und fiel seitwärts gute 30-40 Meter in die Tiefe. Er war sofort tot. Mein Vater war seit jenem Tag nicht mehr derselbe. Etwas in ihm war zerbrochen. Einige Jahre später wurde das Bergwerk dann geschlossen. Als meine Mutter knapp ein halbes Jahr darauf bei einer Fehlgeburt verstarb, nahm er sich das Leben. Dieser graue Kasten hat mein Leben zerstört.", sagte er und musste schlucken. "Mein Beileid, Scottie.", sagte Harker. "Es ist was es ist. Man kann es nicht ändern.", sagte er.

Noch während er sprach, nahm ich eine Bewegung hinter einem Fenster wahr. "Schnell, suchen sie Deckung.", rief ich und hechtete hinter eine nahegelegene Steinformation. Meine Mitstreiter taten es mir gleich. Keine Sekunde später ertönte ein Schuss, welcher mich nur um einige Meter verfehlte. "Verdammt, das war knapp.", sagte Wilde hastig. "Konnten sie sehen, von wo der Schuss kam?", fragte Harker kurz darauf. Ohne seine Frage zu beantworten, griff ich nach meiner Waffe und legte an. Ich versuchte mich zu orientieren. Wo war das Fenster? Jenes, an welchem ich die Bewegung gesehen hatte? Ein leichtes Funkeln hinter einem Fenster beantwortete meinen Gedanken. Ich zielte und schoss. Ein Fenster klirrte, ein Mann schrie. Getroffen. "Sie könnten auch mit uns kommunizieren, Davy.", meinte Wilde genervt. Aber ich hörte ihn gar nicht. Angestrengt blickte ich in Richtung der Backsteinwand des Gebäudes. Mein Herz pochte schnell. Mich hätte es nicht gewundert, wenn die anderen es gehört hätten. "Davy!", brüllte Harker mich an. "Bleiben sie zurück und lassen Sie mich das übernehmen!", antwortete ich in einer ähnlichen Lautstärke. Ich beugte mich hinter dem Stein hervor, um weitere Schützen auszumachen. An einem der westlichen Fenster erkannte ich erneut das Glitzern eines Zielfernrohres. "Sie Verrückter, sie bringen uns noch alle um!", mischte sich nun auch Wilde ein. Wütend stand er auf und wollte hinter meine Steinformation hechten. Noch bevor er mich berührte, ertönte erneut ein Schuss. "Oscar, runter.", schrie Harker. Binnen eines Augenblicks hechtete Harker aus seiner Deckung und warf sich gegen Wilde. Hart prallten beide auf den trockenen Boden auf. "D..danke Doktor.", stammelte Wilde. Während sich Harker aufrappelte, fiel mein Blick auf Wildes Schulter. Keine Sekunde später bemerkte auch Harker, dass sich Wildes heller Mantel zusehends rot färbte. "Sie wurden getroffen!", sagte Harker erschrocken und hechtete zu Wilde. Während Harker notdürftig Wildes Wunde versorgte, hockte ich nur paralysiert da. Ich konnte mich weder bewegen noch sprechen. Taub hörte ich Harker und Scottie auf mich einreden, aber ich war nicht in der Lage auch nur ein Wort zu verstehen. Ich spürte meinen Herzschlag in meinem Kopf. Mein Mund war trocken. Vor meinen Augen flammten Bilder. Ich sah das Waisenhaus, in dem ich aufwuchs, wie ich mich damals in der Ecke verkroch, als ich meine Eltern verlor. Und ich sah Laurel. Viel mehr ein verblasster Schatten ihrer Selbst. Ein blasser Schatten in dem leeren Apartment, wo ich damals hoffte sie anzutreffen. Mein Herzschlag wurde stärker. Er begann zu schmerzen. Ein schriller Ton in meinen Ohren fügte sich hinzu. Es war als würde meine Lunge sich zusammenziehen. Ich fühlte mich allein. Unsicher. Angreifbar. Ein Gefühl, welches ich schonmal gefühlt hatte.

Three PillarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt